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Illegale Migration
In Deutschland ist es den Schleuserbanden am wohlsten

Flotte des Elends: Luftaufnahme von Schlauchbooten, mit denen Flüchtende den Ärmelkanal überquerten. 
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Am Ende war es ein höchst unwahrscheinliches Bild, das sich Fahndern und Polizisten bot: Auf einem Bauernhof bei Osnabrück, 500 Kilometer entfernt von den französischen Stränden am Ärmelkanal, stellten sie Dutzende von grossen Schlauchbooten sicher, zahlreiche Aussenbordmotoren und Hunderte von Schwimmwesten – Arbeitsgerät für den Menschenschmuggel auf die britischen Inseln.

Die Razzia, an der Anfang Juli in fünf Ländern fast 40 Menschen verhaftet wurden, zerschlug eine der mächtigsten Schleuserbanden Europas. Ihre Logistikzentrale hatte die irakisch-kurdische Bande nicht am Meer, sondern im deutschen Niedersachsen. Auf die Spur gekommen war die Polizei dem Netzwerk, weil ein Schleuser, den Rivalen im November 2021 in Osnabrück angeschossen hatten, den Ermittlern deren Organisation verriet.

30 Millionen Euro Gewinn

Bis zu 10'000 Menschen habe die Bande in den letzten eineinhalb Jahren illegal nach Grossbritannien gebracht, glaubt die Polizei, der Gewinn betrage mindestens 15, vielleicht sogar 30 Millionen Euro. «Spiegel» und «Le Monde» berichteten nach monatelangen Recherchen kürzlich über die Organisation und die Razzia.

Noch 2019 flüchteten die meisten Menschen an Bord von Lastwagen über den Ärmelkanal. Seit diese aufwendig kontrolliert werden, gelingt die Überfahrt allenfalls noch mit kleinen Booten. Noch nie versuchten es so viele Menschen wie in diesem Frühjahr: 22'800 zählten allein die französischen Behörden bis zum Sommer, 82 Prozent mehr als vor einem Jahr.

Deutschland eignet sich als logistisches Zentrum, weil hier Schlauchboote leicht importiert werden können.

Grossbritannien ist für viele Geflüchtete aus dem Nahen Osten oder aus Südasien attraktiver als Deutschland oder Frankreich: wegen der englischen Sprache, die viele bereits beherrschen, und weil London seit dem Brexit Einwanderer aus dem Schengen-Raum nicht mehr nach Kontinentaleuropa zurückweisen kann wie früher. Allerdings plant die konservative britische Regierung bereits, alle illegalen Einwanderer künftig nach Ostafrika zu deportieren, um deren Asylgesuche dort zu behandeln.

Deutschland eignet sich für die Schleuser als logistisches Zentrum, weil der Fahndungsdruck hier geringer ist als an den Kanalküsten und zudem Schlauchboote leicht aus China oder der Türkei importiert werden können. Im Norden Frankreichs ist der Verkauf gewisser Boote und Motoren mittlerweile stark eingeschränkt. Paris, unter starkem Druck aus London, forderte Berlin schon lange zu einem aggressiveren Vorgehen gegen transnationale Schlepperbanden auf.

Prekär und gefährlich: Noch nie versuchten so viele Menschen den Ärmelkanal nach Grossbritannien zu überqueren wie im ersten Halbjahr 2022.

Die Schleuser haben ein ausgeklügeltes System entwickelt, das den Drahtziehern ermöglicht, im Hintergrund zu bleiben. In kleinen Last- und Lieferwagen werden die Schlauchboote unmittelbar vor der Flucht an die Kanalküste gebracht. Die Fluchtwilligen erhalten die Koordinaten Minuten vorher auf ihr Handy und müssen danach alles selbst erledigen: das Boot aufblasen, seetüchtig machen und zu Wasser lassen.

Flüchtende in Seenot

Die zumeist nächtliche Überfahrt selbst ist unsicher und gefährlich: Die Hälfte der Boote wird von der französischen Küstenwache abgefangen, immer wieder geraten Flüchtende in Seenot. Im vergangenen November ertranken 27 Menschen, darunter eine Schwangere und drei Kinder, weil ihr Boot kenterte. Die Boote sind laut Polizei oft von miserabler Qualität.

Viele Fluchtwillige versuchen es trotzdem immer wieder. Ihre Schleuser bezahlen sie erst, wenn die Flucht gelingt, zwischen 1500 und 8000 Euro werden dann fällig. Die Rechnung wird häufig im Irak beglichen, von Verwandten der Geflüchteten an Verwandte der Schleuser. An die Gewinne kommen europäische Fahnder also oft gar nicht heran. Die Polizei hegt laut «Spiegel» auch keine Illusionen, das Schleusergeschäft könnte nach den Festnahmen erlahmen. Dafür seien Nachfrage und Gewinn schlicht zu gross.