Skistar Henrik Kristoffersen«Mein Vater wollte nicht, dass ich eine Freundin habe»
Er eckt an, und ihm ist egal, dass die Gegner ihn kritisieren: Der Norweger spricht über Streitereien, extreme Schmerzen, Alkohol – und sagt, warum er im Skisport keine Freunde braucht.
Henrik Kristoffersen, wie wird man ohne Talent Weltmeister?
(lacht) Ich habe früher oft gesagt, dass ich kein Talent habe. Bei mir ging nie etwas von allein. Als mein Bruder das erste Mal auf den Ski stand, sah jeder, wie begabt er ist. Der hatte die Handschuhe im Mund, fuchtelte mit den Stöcken herum, aber es funktionierte einfach. Bei mir war es ein riesiger Krampf. Noch heute habe ich ein schlechtes Gefühl, wenn ich nach einigen Wochen Pause im Sommer wieder auf die Ski stehe. Deshalb weiss ich, dass ich härter arbeiten muss als alle anderen.
Wie weit gehen Sie dabei?
Früher ging ich bis zur totalen Erschöpfung – und darüber hinaus. Ich hatte immer mehr Skitage in den Beinen als die anderen jungen Norweger. Für mich war es eine Flucht von der Schule, ich habe es gehasst, im Klassenzimmer still zu sitzen. Und ich konnte extreme Schmerzen aushalten. Heute ist es schwieriger, weil ich auch in den Trainings immer wieder Beschwerden habe, etwa im Rücken oder in den Knien. Es ist der Preis, den ich nach all den Jahren zahle. Aber weil ich das Gefühl von Schmerzen so gut kenne, kann ich sehr gut damit umgehen.
Ihr Ehrgeiz soll legendär sein.
Oh ja, ich kann sehr anstrengend sein für meine Mitmenschen. Schon als Kind wollte ich immer gewinnen, überall der Beste sein. Ausser in der Schule, da machte ich nur das Minimum. Aber ich konnte schon durchdrehen, wenn ich ein Kartenspiel verloren hatte. Ich bin ein wenig gelassener geworden, aber noch heute will ich jeden Riesenslalom und Slalom gewinnen. Mein Leben ist auf Erfolg ausgerichtet.
Haben Sie dafür viel geopfert?
In Norwegen nehmen alle Schüler an einem Weihnachtsball teil – nur ich war nie dabei. Zudem wird nach dem Schulabschluss bei uns einen Monat lang Party gemacht. Das machten alle. Alle ausser mir. Für mich gab es nur Schule, Essen, Training, Rennen, Schlafen. Ich bin kein Partymensch und kann mich nicht daran erinnern, wann ich das letzte Mal Alkohol getrunken habe. Früher hat es mir mein Vater sowieso verboten.
Ihr Vater Lars begleitet Sie noch immer an die Rennen. Wie streng ist er?
Sehr streng, sehr strikt, aber auch sehr fair. Er hat mich nie zum Trainieren gezwungen. Aber wenn wir beim Training waren, dann musste ich es um jeden Preis bis zum Ende durchziehen. Er lebt nach klaren Regeln, Handys am Esstisch beispielsweise sind nicht erlaubt. Früher wollte er nicht, dass ich eine Freundin hatte, er sagte, das würde mich emotional zu stark in eine Sache verwickeln und nur Energie rauben (lacht). Natürlich hatten wir unsere Differenzen. Aber mein Vater ist immer noch unglaublich wichtig für mich. Manchmal rufe ich ihn fünf Minuten vor einem Lauf an, wenn ich einen Tipp brauche. Mittlerweile ist er ruhiger geworden, er ist jetzt ja auch Opa.
Ihr Sohn kam im Sommer zur Welt …
… und er hat bei mir einiges ausgelöst.
Was genau?
Dank ihm bin ich entspannter geworden, habe meine Emotionen ein bisschen besser im Griff, kann meinen Frust nach Niederlagen eher kontrollieren. Aber fluchen, Hände verwerfen, Stöcke wegschmeissen – das gibt es immer wieder. Das gehört zu mir. Und ich kann auch nicht verstehen, wie man sich daran stören kann.
Im November beim Slalom in Gurgl flippten Sie aus und wollten den Klimaaktivisten an den Kragen, welche die Schlussphase des Rennens störten.
Es ist wohl besser, dass ich zurückgehalten wurde, weil ich in diesem Moment für nichts garantieren konnte. Es war eine abscheuliche Aktion, sie muss drastische Konsequenzen haben.
Sie bezeichneten die Klimaaktivisten als «verdammte Idioten». Würden Sie das wieder tun?
Ich habe überhaupt nichts gegen Leute, die sich für die Klimaproblematik einsetzen. Das Thema ist wichtig und soll ernst genommen werden. Aber solche Leute wie in Gurgl haben keinen Respekt vor den Athleten und Zuschauern, ihr Verhalten ist skandalös und einfach nur dumm. Sie sollen den politischen Weg gehen und konstruktiv handeln, schlaue Lösungen suchen. Mehr gibt es dazu nicht mehr zu sagen. Aber zu Ihrer Frage: Ja, ich sage, was ich denke. Dazu stehe ich.
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Und was andere denken?
Das ist mir total egal. Ich lüge nie, wirklich nie! Nicht einmal in Interviews. Ich bin nicht wie die anderen, die einfach das sagen, was die Leute hören wollen. (Überlegt) Es gibt viele Leute, die es schätzen, dass ich Emotionen zeige, auch meinetwegen schauen sie Skirennen. Aber klar, viele reden negativ über mich.
Von Konkurrenten sind Sie immer mal wieder als unfreundlich bezeichnet worden. Stört Sie das nicht?
Nein, ich brauche keine Freunde im Skisport. Und ich glaube auch nicht, dass ich unfreundlich bin. Ich bin sehr direkt, manchmal zu direkt – gerade im norwegischen Team hat das nicht allen gepasst. Als ich in den Weltcup kam, war der Slalom bei uns kein Thema, wir hatten zehn Jahre lang nichts gewonnen. Alles drehte sich um die Speedfahrer, um Svindal und Jansrud. Also kämpfte ich um bessere Unterstützung, um mehr Geld. Mit dieser Einstellung eckte ich an.
Inwiefern?
Ich verlangte immer die besten Bedingungen. Ich sah Marcel Hirscher, der sein eigenes Team um sich hatte, der nach anderthalb Stunden Training wieder im Hotel war und sich erholen konnte, weil sich alles um ihn drehte. Bei mir dauerte eine vergleichbare Einheit drei Stunden, ich verbrauchte viel mehr Energie. Solche Dinge konnte ich nicht akzeptieren, deswegen suchte ich die Konfrontation. In Norwegen wird jeder gleich behandelt, ob er die Nummer 2 oder die Nummer 35 der Welt ist. Jeder kriegt gleich viel – das ist doch ein Witz. Mein Gegner war Hirscher, hinter Ingemar Stenmark der beste Skifahrer der Geschichte. Ich wollte ihn schlagen, hatte aber Bedingungen wie ein Europacup-Fahrer.
Der Teamgedanke wird in Norwegen über alles gestellt …
… und das ist völlig übertrieben.
Sie stritten sich jahrelang mit dem Verband, gingen sogar vor Gericht. Teamkollegen äusserten Kritik, weil Sie nur an sich denken würden.
Es heisst immer wieder, die Kultur sei unantastbar. Aber in der Vergangenheit war in Norwegen längst nicht immer alles super. Und ich habe es lieber, dass ich gewinne und die Leute schlecht über mich reden, als umgekehrt. Skifahren ist ein Einzelsport, ich muss egoistisch denken. Und ich musste kämpfen, weil der Verband gegen meinen Deal mit Red Bull war. Das Privatteam, das ich nun habe, ist die beste Lösung. Ich habe drei Trainer, einen Physiotherapeuten, einen Servicemann, die Kosten werden zwischen dem Verband, mir, Red Bull und Van Deer aufgeteilt. Mit den anderen Norwegern habe ich nicht allzu viel zu tun, wir übernachten an den Rennen auch nicht immer im gleichen Hotel. Und im Training bin ich sowieso allein.
Lucas Braathen hörte auf, unter anderem deshalb, weil er sich an den stark eingeschränkten Vermarktungsmöglichkeiten im norwegischen Verband störte. Können Sie ihn verstehen?
Absolut. Ich habe Ähnliches erlebt und überlegte auch mal, aufzuhören. Für mich war es vier, fünf Jahre lang ein mühsamer Kampf. Es ist eine grosse Diskrepanz zwischen dem, was ein Athlet erhält, und dem, was er in Form von Rechten und Sponsoringrechten abtreten muss. Da muss der Verband zur Einsicht kommen. Für den Skisport ist Lucas’ Entscheidung traurig.
Sie erwähnten Van Deer – ausgerechnet bei der Skimarke Ihres einstigen Dauerrivalen Marcel Hirscher stehen Sie unter Vertrag. Wie geht so etwas?
In unser Verhältnis wurde vieles hineininterpretiert, für die Medien war das eine tolle Geschichte. Aber an und für sich verstanden wir uns ganz gut, wir sassen auch immer mal wieder im gleichen, von Red Bull organisierten Flieger. Marcel war ein Vorbild; auch er war mit seinem Vater unterwegs, auch er hatte ein Privatteam. Aber wir bekämpften uns, ich wollte unbedingt den Gesamtweltcup gewinnen. Leider war er besser.
Phasenweise schien es, als würde Sie die Rivalität zermürben.
Ich wollte ihn unbedingt schlagen. Ja, ich war gar besessen davon, Marcel zu schlagen. In einer Saison gewann ich sechs Slaloms, in einer anderen fünf, ich wurde auch Riesenslalom-Weltmeister – es ist also nicht so, dass er immer besser war.
Hirscher hörte 2019 auf. Trainiert er noch ab und zu mit Ihnen?
Manchmal testet er meine Ski. Und im letzten Winter trainierten wir gemeinsam auf der Reiteralm. Er fährt immer noch schnell Riesenslalom, sehr schnell sogar. Wenn der Lauf nicht so lang ist, dann kann er mir gefährlich werden. Im Ernst: Ein Comeback wäre definitiv möglich.
Hirscher dominierte jahrelang, nun fährt Marco Odermatt im Riesenslalom alles in Grund und Boden. Sind Sie frustriert?
Das ist die falsche Frage. Andy Murray spielte auch in der Ära mit Federer, Djokovic und Nadal. In einer anderen Zeit hätte er sicher mehr Titel gewonnen. Ich kann behaupten, dass ich Marcel das Leben schwer gemacht habe. Wäre ich nicht gewesen, hätte er vielleicht sogar Stenmarks Rekord gebrochen (der Schwede kam auf 86 Siege, Hirscher auf 67). Nun ist Marco da, im Gesamtweltcup wird es fast unmöglich für mich, zu gewinnen. Aber auch er ist nicht unschlagbar. Und ich habe immer noch mehr Siege als er! (30 zu 29)
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