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Rücktritt mit erst 23
Mit Braathen verliert der Skisport eine seiner schillerndsten Figuren

26.10.2023, Hotel Bergland, Sölden, AUT, FIS Weltcup Ski Alpin, Pressekonferenz Norwegen, im Bild Lucas Braathen (NOR) // Lucas Braathen of Norway during a press conference of Norwegian Ski Association prior to the FIS Ski Alpine Worldcup opening at the Hotel Bergland in Sölden, Austria on 2023/10/26. EXPA Pictures © 2023, PhotoCredit: EXPA/ Johann Groder - 20231026_PD5249 (KEYSTONE/APA/Johann Groder)
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Es ist ein Beben, das den Skisport erschüttert. Und das noch vor den ersten Weltcuprennen des Winters.

In Sölden bittet Lucas Braathen am Freitag zur Pressekonferenz, nicht ungewöhnlich für einen Athleten seines Formats, immerhin war der Norweger der beste Slalomfahrer des vergangenen Winters, gewann in Val-d’Isère und Adelboden und einen Riesenslalom in Alta Badia. 23 ist der junge Mann aus Oslo, der Sohn eines Norwegers und einer Brasilianerin. Die Tür zur grossen Skiwelt steht ihm offen. Eigentlich.

Seit diesem Freitagmorgen muss es wohl heissen: Sie stand ihm offen. Braathen spricht im Raum mit dunkler Holztäfelung nicht über seine Ziele in dieser Saison. Nein, er gibt seinen Rücktritt bekannt. In bester Form. Als Überflieger des Vorjahres. Aus dem Nichts.

Unter Tränen bedankt er sich für all die Liebe, die ihm entgegengebracht worden sei, «ich habe immer alles gegeben, um diese zu erwidern». Und dann: «I’m out!» Ich bin raus! Zack!

Für ihn ging es immer mehr als um Sport

Die Entscheidung mag kaum nachvollziehbar sein, doch wer Braathen in den letzten Jahren beobachtete, seit er 2018 sein Debüt gab im Weltcup, der wundert sich weniger. Für den exzentrischen Norweger, der mit lackierten Fingernägeln, Halstuch und Wuschelfrisur stets ein Hingucker war, ging es immer schon um mehr als nur den Sport. In den Gesprächen war zu spüren, wie sensibel er ist, wie viele Gedanken er sich macht, über den viel zitierten Tellerrand hinaus.

Braathen suchte beim Surfen und Skateboarden den Ausgleich, war mit seiner Art mehr Freestyler als Alpiner. In einem Interview mit dieser Redaktion sagte er im Januar 2022: «Ich denke, der grösste Unterschied zwischen mir und vielen anderen in der Skiwelt ist, dass ich mehr Abstand vom Sport brauche. Ich kann nicht für immer in dieser Blase leben, ich werde auch nicht bis 40 fahren. Ich werde wohl einer der Jüngeren sein, die aufhören.» Seine Ankündigung hat er nun früher umgesetzt als erwartet.

Mit in die Entscheidung spielten auch die letzten Wochen, in denen Braathen litt. Ende September hatte er für eine schwedische Kleidermarke geworben, die nicht zu den offiziellen Ausrüstern des norwegischen Verbandes gehört. Es entstand grosser Wirbel, der Verband drohte mit einer Geldstrafe.

Svindal als grosse Werbeausnahme

Es ist eine Aktion, die gerade in dem Land als grosser Affront gesehen wird, in dem Gleichheit für alle so wichtig ist, das kaum Ausbrüche erlaubt oder verzeiht. Und der Skiforbundet steht exemplarisch für diese (Lebens-)Haltung. Aksel Svindal schaffte es als einziger Alpiner, den Verband von den Vorteilen zu überzeugen, die auch dieser hat, wenn er mit Red Bull zusammenarbeitet und dessen Logo auf Helm und Mütze präsentieren darf.

Andere dagegen rieben sich auf an den engen Richtlinien des Skiverbandes, die den Athleten etwa verbieten, einen eigenen Kopfsponsor zu haben. Allen voran Henrik Kristoffersen, der sogar gerichtlich gegen die Entscheidung vorging, Red Bulls Logo nicht zeigen zu dürfen.

Auch Aleksander Kilde, der beste Abfahrer der Gegenwart, beschwerte sich im vergangenen Winter gegenüber dieser Redaktion über diese Ungerechtigkeit im Vergleich mit anderen Grössen des Sports aus anderen Nationen, die wie selbstverständlich auch eigene Geldgeber haben und deren Logos zeigen dürfen.

Auch die Langläufer Johannes Kläbo und Petter Northug befanden sich schon im Clinch mit dem Verband. Braathen sagt: «Ich lebe nach dem Motto, dass ich immer das tun sollte, was mich am glücklichsten macht. Das System, das wir heute haben, ist meiner Meinung nach rechtswidrig.» Er sagt aber auch, er gebe «nicht aus Protest auf, weil ich rachsüchtig oder verbittert bin».

Der Verband? «Extrem respektlos»

Doch der Verband hielt bis jetzt weitgehend an seinen Prinzipien fest, auch wenn er für seine Besten zumindest auf sportlicher Ebene auch Sonderlösungen mit besserer Betreuung schuf und schafft. Nun hat Norwegen auch wegen seiner Haltung eines seiner grössten Talente verloren.

Der Verband habe ihn «extrem respektlos behandelt», sagt Braathen. Und in der Öffentlichkeit in der Heimat wurde Braathen vorgeworfen, er verhalte sich unsolidarisch. Es sei «einige Monate lang» eine Medienkampagne gegen ihn gelaufen, «in der behauptet wurde, ich sei ein Egoist, denke nicht an die Gemeinschaft und sei gierig». Die Vorwürfe scheinen bis auf den Werbedreh gänzlich verfehlt.

Braathen fiel eher dadurch auf, dass er sich auch für die Teamkollegen stark machte, ihm war das Kollektiv wichtig, er genoss die Zusammenarbeit und das Leben mit Gleichgesinnten – im Gegensatz etwa zu Kristoffersen, der mit einem Privatteam einen eigenen Weg beschreitet. In besagtem Interview sagte Braathen: «Wir sind füreinander da, keiner ist wichtiger als der andere und jeder bedeutet gleich viel. Es ist bei uns möglich, alles zu fragen, was man will, und es ist nicht falsch. Das ist ungewöhnlich in unserem Sport. Darum können wir als kleines Land mit wenig Ressourcen solch grosse Resultate erreichen.»

McGrath verliert seinen Zwilling

Besonders eng war Braathen mit Atle Lie McGrath, oft auch als sein Skizwilling bezeichnet. Gemeinsam mit ihm reifte er zu einem der besten Techniker überhaupt. Gewann der eine, umarmte ihn der andere, so war das mit den beiden, die auch als Zeichen ihrer Verbundenheit stets ein Halstuch trugen. Und nun also soll alles vorbei sein?

Wie gross das Entsetzen in der Skiwelt darüber ist, bringt vielleicht die einstige Slalomgrösse Felix Neureuther am besten auf den Punkt. Bei Instagram schreibt er: «Ich glaube das nicht! Wenn das wegen des Verbandes ist, dann kannst du mich gern heiraten und für Deutschland starten. Für meine Frau geht das in Ordnung.»

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Die Hoffnung dürfte nicht nur in Norwegen gross sein, dass Braathens Rücktritt ein Schnellschuss war, vielleicht auch ein Druckversuch auf den Verband. Skurril an der Geschichte ist auch, dass er am offiziellen Termin der Norweger am Donnerstag noch davon sprach, wie sehr er doch die Strecke von Sölden «liebe», auch wenn sie schwierig sei.

Vielleicht überlegt er sichs ja noch einmal, vermisst er die Rennen, wenn sie dann losgehen. Oder springt der Verband über seinen Schatten. Claus Johan Ryste, Alpinchef der Norweger, spricht am Freitagabend jedenfalls von einem «Schock». Dies sei zwar nicht der richtige Ort, über die Regeln des Verbandes zu reden, aber Diskussionen müssten diesbezüglich nun geführt werden. «Kommt Lucas nicht zurück, werden wir ihn vermissen.»