Happy End für Schweizer Slalomfahrer Sein Leben nahm so irre Wendungen, dass es verfilmt wurde
Marc Rochat wurde gehänselt, schied fast immer aus, und kaum einer glaubte mehr an ihn: Nun fand er zum Erfolg – auch dank Hypnose.
Marc Rochat stand im Starthaus, er schloss die Schnallen der Skischuhe, hinten schrie der Betreuer, um ihn zu stimulieren. Aber Rochat wusste: «Bringt alles nichts. Ich scheide aus.»
Zwischen 2017 und 2019 erreichte der Waadtländer in 16 von 20 Slaloms das Ziel nicht, er verzweifelte, hatte kaum noch Hoffnung. Ein unsichtbarer Affe sei an seinem Rücken geklebt, sagt er, «und dieser Affe rief mir ins Ohr, ich solle nicht ans Ausscheiden denken». Doch genau daran dachte er fast permanent, mehrere Mentaltrainer wurden mit ihm nicht fertig, und Rochat fand, der Rücktritt sei keine schlechte Idee. An ihn glaubte ohnehin kaum mehr jemand, nicht einmal die Kollegen und die eigene Familie.
Aber Rochat sagte sich: «Mach noch einen letzten Tag weiter.» Er wiederholte den Satz am nächsten Morgen. Und am übernächsten. Der Schriftzug wurde der Bildschirmhintergrund seines Handys. «Ich wettete auf mich selbst. Auch wenn die Quote miserabel war.»
Die Tränen vor laufender Kamera
Der Einsatz hat sich gelohnt, mittlerweile ist Rochat in der erweiterten Weltspitze angekommen. Letzten Februar nahm er in Courchevel erstmals an einer WM teil, mit 30. Er wurde Siebter in Garmisch, Vierter in Soldeu, Neunter in Adelboden. Nach dem Rennen im Berner Oberland weinte er vor laufender Kamera. Er sagt: «Ich hatte lange leiden müssen, mich alleine und verloren gefühlt. Diese Ergebnisse fühlten sich wie eine Wiedergutmachung an.»
Rochats Geschichte ist jene eines Aussenseiters. Sie enthält düstere Kapitel, irre Wendungen, etwas Drama, ein Happy End. Stoff für einen Hollywood-Streifen, und so ist die Karriere denn auch verfilmt worden.
Im vergangenen Winter reisten die Regisseure Nolan Büchi und Basil Schneeberger durch den Weltcup, Letzterer hatte einst die Filmschule von Steven Spielberg in Kalifornien absolviert. Entstanden ist eine Kurzdokumentation, sie soll auf Festivals in den USA, aber auch in Locarno, Luzern und Nyon präsentiert werden. Dem Projekt stand Rochat erst kritisch gegenüber, «ich bin kein Siegfahrer, keine grosse Nummer – ich fragte mich: Reicht meine Geschichte, um das Publikum zu fesseln?» Die Zweifel waren unbegründet, es ist ein fesselnder, sehr emotionaler Beitrag geworden.
Aufgewachsen ist Rochat in Lausanne. Er war der Städter unter den Berglern, in den Trainings wurde er deswegen gehänselt. Weil er dazugehören wollte, verstellte er sich. «Ich redete wie die anderen, habe mich verhalten wie die anderen. Ich hatte zwei Persönlichkeiten, eine beim Skifahren und eine daheim.»
Die schwerkranke Mutter als Inspiration
Früh gehörte Rochat zu den Schnellsten, aber er war keines dieser Ski-Genies, bei denen alles von alleine ging. An eine Junioren-WM schaffte er es nie. Es gab auch Wichtigeres in der Jugend, den Gesundheitszustand der Mutter vor allem.
Rochat war 16, als sie an Krebs erkrankte und eine sehr schlechte Heilungsprognose erhielt. Er litt stark darunter und zog sich zurück, nach der ersten Chemotherapie schnitt er ihr die Haare ganz kurz. «Obwohl es ihr so schlecht ging, hat sie dabei gelacht», sagt der 31-Jährige. «Als Einzige in der Familie strahlte sie Optimismus aus, blieb selbst in der schwärzesten Stunde positiv.»
Die Kampfbereitschaft der Mutter, ihre gewinnbringende Lebenseinstellung – daran orientierte sich Rochat während seiner Schaffenskrisen. «Auch wegen ihr machte ich noch einen Tag weiter. Und noch einen. Und noch einen.»
Die Mutter ist geheilt, es geht ihr gut. Rochat aber musste vieles einstecken; zweimal das Schienbein, der Meniskus, das Fussgelenk, die Schulter, alles war kaputt. Als Junior machte er ein Jahr Pause, wegen des lädierten Schienbeins rieten ihm die Ärzte, das mit dem Spitzensport sein zu lassen. Rochat trainierte nicht mehr, bis ihn ein Freund überredete, mit an ein Rennen nach Frankreich zu kommen. Unvorbereitet fuhr er mit. Und tatsächlich, es ging wieder ganz gut.
Seit 2015 schon ist Rochat dabei im Weltcup, lange galt er als Versprechen mit ultraschnellem Schwung, als ultrainstabil aber auch. Er fuhr zu wild, zu draufgängerisch, wollte den Erfolg erzwingen, mit dem Kopf durch die Wand. Er sagt: «Ich war nicht bereit, meine Strategie zu ändern.»
Rochat ist ein Rock ’n’ Roller zwischen den Slalomstangen, «ich bin wie ein Cowboy, das liegt in meiner DNA». Er wähle oft den riskanten Weg, etwa beim Golf- oder Kartenspielen, auch beim Wetten. Ein wenig erinnert er an Didier Plaschy, den SRF-Experten, der einst alle schlagen konnte, aber vom Taktieren überhaupt nichts hielt, stur seinen Weg ging. Und in den Ergebnislisten oft in der Rubrik «DNF» zu finden war – Did not finish.
Die Rückenschmerzen als Wendepunkt
Rochat seinerseits fühlte sich auf der grossen Bühne des Weltcups lange verpflichtet, für Spektakel zu sorgen. Er ist ein Instinktfahrer, bei ihm funktioniert wenig nach Lehrbuch. «Ich bin anders als die Teamkollegen», sagte er einmal, «aber ich habe gelernt, so zu sein wie sie.» In einem Winter fädelte Rochat dreimal in den ersten fünf Toren ein, da realisierte er, dass es so nicht weitergehen kann.
Doch lange plagten ihn Rückenschmerzen, sie waren so heftig, dass er phasenweise kaum aufstehen konnte. «Es war die Hölle, die Moral war im Keller», hält er fest. Mehr als drei Trainingsläufe am Stück konnte er in dieser Zeit nicht absolvieren, er wurde in den Europacup zurückversetzt und haderte, während die Yules, Zenhäuserns und Aernis durchstarteten. «Die anderen feierten, ich bekam auf den Deckel – es war schlimm», sagt Rochat. Swiss-Ski-Trainer Wolfgang Auderer päppelte ihn auf, «nur er setzte noch auf mich. Ohne ihn hätte ich aufgehört.»
So schlimm die Rückenbeschwerden auch gewesen sind, indirekt hatten sie etwas Gutes: Gezwungenermassen passte Rochat seinen Stil an, nahm beim Fahren eine andere Haltung ein, «ich kann nicht mehr der Rodeo-Skifahrer sein, der ich früher war». Es hat sich gelohnt, die Ausfallquote ist stark gesunken, in 15 der letzten 20 Slaloms erreichte er das Ziel.
Im finalen Karrieredrittel will Rochat nun ernten. Der Sohn des einstigen Swiss-Ski-Vizepräsidenten Jean-Philippe Rochat scheut keinen Aufwand; daheim hat er einen Kraftraum eingerichtet, macht bei einem Spezialisten Augen-Hirn-Koordinationstraining – um im Stangenwald den Überblick zu behalten. Und weil es mit dem klassischen Mentalcoaching nicht funktionierte, setzt er auf Hypnose. Seine Gedanken würden modifiziert, sagt er. «In Val-d’Isère etwa holte ich bis im Dezember nie Punkte, so etwas nistet sich im Unterbewusstsein ein. Diese Gedanken gilt es zu verbannen.»
Gerade während seiner Krisen glaubte Rochat oft, er setze auf die falsche Karte und verliere Zeit, um sich aufs Berufsleben vorzubereiten. Heute denkt er anders: «Es war nichts umsonst. Als Mensch bin ich viel weiter gekommen, habe viel Erfahrung im Umgang mit Extremsituationen. Das kannst du an keiner Uni lernen.»
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