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Kritik an South Pole
Gucci kompensiert mit CO₂-Zertifikaten einer Zürcher Firma – doch diese hat sich arg verrechnet

Reagiert auf internationale Kritik: Renat Heuberger, Chef von South Pole.

Wer sich eine Gucci-Tasche für 3000 Franken kauft, tut nicht nur etwas Gutes fürs Gemüt, sondern auch fürs Gewissen. Das italienische Modeunternehmen sagt nämlich von sich selber, seit 2018 vollständig CO₂-neutral zu sein – obwohl es durchs Produzieren von Kleidung, vom Transport oder vom Heizen der Gebäude jährlich Tausende Tonnen CO₂ ausstösst.

Dass das Unternehmen dennoch behaupten kann, es sei klimaneutral, verdankt es dem Schweizer Unternehmen South Pole. Die in Zürich ansässige Firma gilt als einflussreichste Klimaberatungsfirma der Welt. Sie hat mehr als 700 Klimaschutzprojekte entwickelt, aus denen sie Unternehmen wie Nestlé, SAP und Holcim CO₂-Zertifikate verkauft. 

South Pole betont, es handle sich um freiwillige Projekte, die zusätzlich und nicht anstelle von Emissionsreduktionen stattfinden würden. «Wenn ein Unternehmen meint, den Marktplatz fürs Greenwashing missbrauchen zu können, fliegt es raus», sagte Unternehmenschef Renat Heuberger vergangenen Oktober zu dieser Zeitung.

Doch nun hat ausgerechnet South Pole selber eine Art Greenwashing-Problem. Eines seiner grössten Kompensationsprojekte soll auf wilden Prognosen basieren, kritisieren internationale Medien. Ihr Urteil ist vernichtend: Ein Grossteil der Waldschutz-Zertifikate soll wertlos sein.

90 Prozent der CO₂-Projekte sind überschätzt

Konkret geht es um das Waldschutzprojekt Kariba in Zimbabwe. Bei diesem hält South Pole die Bewohnerinnen und Bewohner des Gebiets an, weniger zu roden, um den Wald zu schützen und kein CO₂ durch Rodung auszustossen. Auch Gucci hat in dieses Projekt investiert.

Das Problem: Viele Verantwortliche von Waldschutzprojekten überbewerten die von ihnen bewirkte CO₂-Kompensation um ein Vielfaches. Denn die Regeln des wichtigsten Zertifizierers auf dem Markt, Verra, lassen das zu.

Die gemeinnützige Organisation hat ein standardisiertes Verfahren eingeführt, nach dem die Projektbetreiberinnen prognostizieren, wie viel Waldfläche in einem Gebiet in den nächsten Jahren abgeholzt werden wird, sollte nichts unternommen werden. Der Unterschied zwischen der vorhergesagten und der tatsächlichen Entwicklung wird in eine CO₂-Menge umgerechnet, für die dann CO₂-Zertifikate verkauft werden dürfen. Diese Menge soll eben genau durch das Projekt nicht ausgestossen werden.

Das Kariba-Projekt war eines der weltweit ersten gross angelegten Klimaschutzprojekte zur Vermeidung von Abholzung.

Eine Recherche der deutschen «Zeit», des britischen «Guardian» und des Reporterpools Source Material legte kürzlich offen, dass 90 Prozent aller von Verra zertifizierten Waldschutzprojekte überschätzt und die Zertifikate damit wertlos sind. Im Fokus steht auch das Projekt Kariba von South Pole.

Die niederländische Investigativplattform «Follow the Money» warf dem Schweizer Unternehmen vor, wissentlich wertlose CO₂-Zertifikate verkauft zu haben. South Pole hat bereits im vergangenen Sommer begonnen, die Prognosen der CO₂-Reduktion zu überprüfen. Dabei soll sich schnell gezeigt haben, dass man deutlich daneben lag – um 50 Prozent, schreibt die «Zeit». Statt wie versprochen 40 Millionen Tonnen CO₂ soll Kariba demnach seit der Lancierung 2011 nur 20 Millionen Tonnen eingespart haben. 

Es fehlt der Erfahrungswert

South-Pole-Chef Renat Heuberger rechtfertigt sich, man habe sich an die Regeln des Zertifizierers Verra gehalten. Dieser schrieb bislang vor, nach zehn Jahren die Prognose zu überprüfen. Kommt hinzu: Kariba ist gemäss South Pole das weltweit erste Projekt, das nach Verra-Standard überprüft werde. «Es fehlt der Erfahrungswert.» Künftig verlangt der Zertifizierer eine Überprüfung nach sechs Jahren.

Bleibt trotzdem die Frage: Wie konnte sich South Pole dermassen verschätzen? Heuberger gibt zu: «Ich war selber überrascht über die Diskrepanz, ich hätte mit 5 bis 10 Prozent gerechnet.» Dass das CO₂-Einsparpotenzial viel geringer ist, wertet South Pole einerseits als Zeichen dafür, dass dank des Projekts weniger Wald gerodet wurde.

«Es ist unmöglich, heute zu wissen, wie hoch die Abholzungsrate in zehn Jahren ist.»

Renat Heuberger, Chef von South Pole

Andererseits habe in Zimbabwe seit dem Tod von Präsident Robert Mugabe 2019 ein Kurswechsel stattgefunden. Heuberger sagt: «Es ist unmöglich, heute zu wissen, wie hoch die Abholzungsrate in zehn Jahren ist.»

Die definitiven Zahlen, um wie viel sich South Pole verschätzt hat, liegen voraussichtlich erst im Sommer vor. Denn nicht nur die Prognose, auch die Überprüfung über die effektive Waldrodung sei sehr aufwendig.

Dass die verkauften Zertifikate wertlos seien, will Heuberger nicht auf sich sitzen lassen. Dennoch hat South Pole im Dezember den Verkauf weiterer Zertifikate vorübergehend gestoppt. Die «zu viel» verkauften Zertifikate respektive CO₂-Mengen würden dadurch nun nachträglich in den nächsten Jahren kompensiert.

Kompensieren statt einsparen

Für Greenpeace-Klimaspezialist Georg Klingler zeigt der Fall ein Kernproblem des ganzen CO₂-Kompensierens: «Man trifft irgendwelche Annahmen über Rodungen und Emissionen, die dadurch entstehen. Es ist aber wahnsinnig schwierig zu beweisen, was effektiv dank eines Projekts reduziert wird.» Insofern habe er ein gewisses Verständnis für die Fehlprognose.

Die Umweltschutzorganisation kritisiert jedoch grundsätzlich, dass der Ausstoss von Treibhausgasen durch das Kompensieren bestenfalls neutralisiert wird. Notwendig seien aber weiterhin drastische CO₂-Einsparungen.

Besonders Waldschutzprojekte stehen schon länger in der Kritik. Viel Aufsehen erregte vor drei Jahren eine Studie von US-Forscher Forrest Fleischman, der sich mit Wald- und Umweltpolitik beschäftigt. Dieser nannte keine Projekte von South Pole, kam aber zum Schluss, dass das beliebte Waldaufforsten häufig keinen Erfolg bringe. Etwa, weil das Anpflanzen keinen Einfluss auf die Waldbedeckung hatte oder die für die Bevölkerung nützlichen Waldressourcen kleiner wurden. Bei einigen Projekten entstand sogar mehr CO₂, als eingespart wurde – da vor dem Anpflanzen Wald gerodet wurde.