Ertragsausfälle wegen PandemieGericht gibt Gastronomen im Streit mit Versicherung recht
Viele Wirte gehen juristisch gegen Versicherungen vor, weil diese die Ertragsausfälle als Folge der Pandemie nicht übernehmen. In einem ersten Verfahren unterlag nun die Versicherungsgesellschaft Helvetia.

Die Gastronomie zählt zu den Branchen, welche die Pandemie am härtesten getroffen hat: Aufgrund der verordneten Betriebsschliessungen sind die Erträge über Monate komplett ausgefallen. Etliche Wirte rieben sich verwundert die Augen, als Versicherungen sich weigerten, Ertragsausfälle zu finanzieren. Viele hatten eine Epidemieversicherung abgeschlossen. Doch die Versicherer stellten sich auf den Standpunkt, dass Covid-19 von der Deckung ausgeschlossen sei, da es sich dabei nicht um eine Epidemie in einem begrenzten Gebiet, sondern um eine weltweite Pandemie handle (lesen Sie hier mehr dazu).
Oft einigten sich Versicherer und Gastrobetriebe einvernehmlich. Während die Versicherungen von grosszügigen Lösungen sprechen, beurteilen manche Brancheninsider solche Kompromisslösungen skeptisch und sprechen von Knebelverträgen. Denn damit verpflichteten sich die Wirte, keine weiteren Forderungen zu stellen.
Tatsächlich gibt es juristischen Interpretationsspielraum. So hat das Handelsgericht des Kantons Aargau in einem Verfahren gegen die Versicherungsgesellschaft Helvetia nun einem Gastrobetrieb recht gegeben. Volker Pribnow, Anwalt in Baden, vertritt neben der Klägerin rund 150 weitere Gastronomiebetriebe. Er führt mittlerweile ein Dutzend Musterverfahren gegen acht verschiedene Versicherungsgesellschaften.
«Ermutigendes Zeichen» für Gastrobetriebe
«Das Urteil des Handelsgerichts Aargau ist für die Wirte, die während der Pandemie grosse Einbussen hinnehmen mussten, ein ermutigendes Zeichen», sagt Pribnow. Er weiss aber auch, dass das letzte Wort noch nicht gesprochen ist. «Wir gehen davon aus, dass die Frage des Pandemieausschlusses in der Epidemieversicherung letztlich vom Bundesgericht geklärt werden muss», sagt Martin Jara, Geschäftsführer Helvetia Schweiz, in einer Stellungnahme. Er verweist auch darauf, dass die Helvetia bereits mit «über 95 Prozent der betroffenen Betriebe» eine «faire» Vergleichslösung gefunden habe.
Im vorliegenden Verfahren waren insbesondere zwei Punkte umstritten. Erstens argumentierte der Anwalte des betroffenen Gastrounternehmens, dass die Helvetia die Deckung zu stark eingeschränkt habe. «Die Einschränkungen dürfen nicht so weit gehen, dass eine Versicherung nicht mehr hält, was sie versprochen hat», sagt Anwalt Volker Pribnow. Doch in diesem Punkt stützte das Handelsgericht des Kantons Aargau die Versicherungsgesellschaft Helvetia. Die Pandemie von der Versicherungsdeckung auszuschliessen, hält das Gericht also für angemessen.
Veraltete Kriterien
Im zweiten Punkt gaben die Richter jedoch der Klägerin recht. Wie andere Versicherer stützte sich die Helvetia bei der vertraglichen Definition auf die Pandemiestufen 5 und 6, welche die Weltgesundheitsorganisation (WHO) im Jahr 2005 definiert hatte. Doch diese WHO-Kriterien sind überholt, wie das Gericht ausführt. «Mehrere Versicherungsgesellschaften haben es verpasst, die entsprechenden Vertragsbedingungen rechtzeitig anzupassen», sagt Pribnow. Damit seien die Ausschlusskriterien nicht klar definiert. Für unklare Formulierungen in den Vertragsbestimmungen trage die Versicherungsgesellschaft die Verantwortung.
Im vorliegenden Urteil verpflichtet das Handelsgericht des Kantons Aargau die Versicherungsgesellschaft Helvetia, dem betroffenen Gastrobetrieb 40’000 Franken plus 5 Prozent Zins seit April 2020 zu bezahlen. Die Summe umfasst nur einen Teil des entstandenen Schadens. Weitere Ansprüche können allenfalls später noch geltend gemacht werden. Zudem werden der Helvetia auch die Prozesskosten und die Parteientscheidungen von total rund 11’000 Franken auferlegt.
Neues Gutachten im Verfahren gegen Axa
Die Zürcher Anwältin Evalotta Samuelsson vertritt rund 194 weitere Gastrobetriebe und führt sieben Pilotklagen gegen mehrere Versicherungsgesellschaften. Im Verfahren gegen die Axa legt sie nun ein neues Gutachten des Rechtsexperten Professor Roland Schaer vor. Er zieht darin einen ähnlichen Schluss wie das Handelsgericht Aargau, äussert dies aber mit unmissverständlichen Worten: Ein Deckungsschluss mit Bezug auf die WHO-Pandemiestufen 5 oder 6 «ist widersinnig, unklar, ungewöhnlich, intransparent, vertragsaushöhlend und damit nichtig». Solche Klauseln könnten weder zum Vertragsinhalt noch von einem unabhängigen Makler erkannt werden.
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