Neues Geldspielgesetz Wegen kurioser Gesetzesauslegung sind nicht mal mehr Preisausschreiben möglich
Bei der Ausarbeitung des neuen Geldspielgesetzes wollte das Parlament, dass den Verlagen keine Nachteile entstehen. Nun ist genau das geschehen. Kritiker werfen der zuständigen Behörde vor, die Absicht der Politik zu ignorieren.
Seit Anfang Jahr schreibt diese Redaktion sowohl auf der Website als auch in der Zeitung keine Preise für Gewinnspiele mehr aus. Zuvor konnte das Publikum nach erfolgreichem Lösen eines Kreuzworträtsels zum Beispiel auf einen neuen Haarföhn oder eine Hotelübernachtung hoffen.
In diesen Wochen vollzieht das Medienhaus Tamedia, das diese Zeitung herausgibt, diesen Schritt ausserdem bei der «SonntagsZeitung» mit dem beliebten Monatsquiz und dem Magazin «Schweizer Familie». Auch Verlage wie Ringier, wo der «Blick» und der «SonntagsBlick» erscheinen, bieten keine Preise auf ihren Rätselseiten mehr an.
Hinter der Abkehr von den Gewinnspielen steht ein Volksentscheid, der schon fünf Jahre alt ist. 2018 nahm die Stimmbevölkerung das neue Geldspielgesetz mit deutlicher Mehrheit an. Nicht abzusehen war damals, welches Hickhack sich ein halbes Jahrzehnt später um einen Paragrafen entspinnen würde, der im Abstimmungskampf überhaupt keine Rolle spielte. Renommierte Juristen schätzen die Sachlage nämlich vollkommen anders ein als die federführende Behörde, die interkantonale Geldspielaufsicht.
Der Hauptzweck des Geldspielgesetzes ist, die Bevölkerung besser vor Gefahren zu schützen, die im Kontext von Geldspielen auftreten. Der Bund nennt hierfür als Beispiele Manipulation, Betrug, Spielsucht und Geldwäscherei.
Mit diesem Ziel vor Augen schrieb das Parlament eine Bewilligungspflicht für alle Betreiber von Gewinnspielen mit «geldwertem Einsatz» ins Gesetz. Dazu gehört nicht nur ein klassischer Geldeinsatz im Casino, sondern auch eine erhöhte Gebühr etwa für eine SMS oder einen Anruf, die Medienunternehmen als Teilnahmemöglichkeit bei ihren Gewinnspielen anbieten.
Bevor die Aufsicht solche Spiele unterband, kamen pro Jahr pro Verlag einige Zehntausend Franken zusammen. Einerseits finanzierten die Verlage damit Teile ihrer Redaktionen. Andererseits bezahlten sie damit Unternehmen, die in ihrem Auftrag die Gewinnspiele erstellten und Sponsoren suchten, die die ausgelobten Preise sponserten. Jetzt, wo die Medienhäuser dieses Geld nicht mehr einnehmen, haben sich viele von ihnen dazu entschieden, die Gewinnspiele gleich ganz einzustellen. So vermeiden sie ein Verlustgeschäft.
Damit harmlose Varianten von Glücksspiel wie das vielerorts beliebte Lotto im Säli oder eine Tombola trotz des neuen Gesetzes weiterhin möglich sein würden, sieht dieses eine Reihe von Ausnahmen vor. Auch für die Medien, die allesamt über keine Bewilligung für Glücksspiele verfügten, schrieb das Parlament einen Ausnahmeartikel: Unter anderem soll das Gesetz nicht gelten, wenn «Medienunternehmen kurzzeitig zur Verkaufsförderung [...] Lotterien und Geschicklichkeitsspiele» durchführen.
Der damalige Ständerat Claude Janiak (SP, BL) sagte in der Debatte im Sommer 2017, als der Rat den entsprechenden Passus beschloss: «Die Idee war eigentlich immer, dass es möglich sein soll, dass die Medien das, was sie heute machen, auch in Zukunft machen können – aber nicht mehr.»
Nationalrat Karl Vogler (CVP, OW) betonte in der darauffolgenden Diskussion im Nationalrat, Medien dürften «ihre direkt ertragsorientierten Gewinnspiele auch weiterhin anbieten, solange sie eine adäquate Gratisteilnahmemöglichkeit zur Verfügung stellen». Tatsächlich setzte sich nach Inkrafttreten des Gesetzes durch, dass Medien neben kostenpflichtigen Anrufen oder SMS unkomplizierte kostenlose Teilnahmemöglichkeiten übers Internet anboten.
Vogler betonte, auf diese Weise würden die Medienhäuser keine Verschlechterung der Rechtslage gegenüber dem vorherigen Zustand erfahren. Verschiedene weitere Parlamentarier und die zuständige Justizministerin Simonetta Sommaruga (SP) bekräftigten ebenfalls ihren Willen, Medien gegenüber der damaligen Situation nicht in ihren Möglichkeiten zu beschneiden.
«Deutlich strengere Regelung für Medienunternehmen»
Trotzdem hat die Geldspielaufsicht, kurz Gespa, im Jahr 2023 ihre Bemühungen verstärkt, Medienunternehmen die Durchführung von Gewinnspielen zu untersagen. «Die Gespa hat schon in mehreren Fällen Abklärungen getätigt und soweit notwendig interveniert», schreibt der stellvertretende Direktor der Behörde, Patrik Eichenberger. «Die betroffenen Unternehmen zeigen sich aber praktisch ausnahmslos kooperativ und wollen Konflikte mit dem Gesetz vermeiden. Formelle Verbotsverfügungen mussten deshalb bis anhin noch keine erlassen werden.»
Für den Verband Schweizer Medien, in dem sich die grossen Medienhäuser zusammengeschlossen haben, ist der Fall darum klar. «Vergleicht man die Bestimmungen im aktuellen Gesetz mit den früheren Normen, kommt man unweigerlich zum Schluss, dass die neue Regelung für Medienunternehmen deutlich strenger ist als früher», schreibt ein Sprecher.
Was umfasst die kurzzeitige Erlaubnis?
Laut Eichenberger seien verschiedene Medienunternehmen noch nicht «sensibilisiert» dafür, dass die Ausnahme im Gesetz ihnen die Durchführung von Gewinnspielen bloss «kurzzeitig» erlaube. Was das genau bedeutet, definiert das Gesetz jedoch nicht. Auch hat noch kein Gericht beurteilt, was «kurzzeitig» in diesem Kontext bedeutet.
Die Gespa nutzt vor diesem Hintergrund ihre Freiheit, den Begriff «kurzzeitig» nach ihren eigenen Vorstellungen zu interpretieren. «Was kurzzeitig ist, ist einzelfallbezogen zu beurteilen», schreibt Gespa-Vizedirektor Eichenberger. «Am greifbaren Beispiel einer Zeitschrift oder Zeitung erklärt, wäre es zweifellos unzulässig, in jeder Ausgabe derartige Spiele anzubieten.» Wenn aber zum Beispiel einmal für ein oder zwei Monate solche Spiele angeboten würden, dürfe sicherlich noch von Kurzzeitigkeit ausgegangen werden.
Für den Anwalt hat das Parlament gepfuscht
Martin Steiger, Rechtsanwalt mit Fokus auf Medienrecht in Zürich, hält das für problematisch: «Man könnte den Begriff genauso gut so auslegen, dass zwar jeden Tag Kreuzworträtsel mit einem Gewinn angeboten werden dürfen, aber es sich nicht über eine lange Zeit um das genau gleiche Rätsel oder denselben Gewinn handeln darf.» Die meisten Zeitungen hatten, bevor die Gespa es ihnen verbot, jeweils täglich ein neues Rätsel angeboten und den Preis jede Woche neu ausgeschrieben.
Für Steiger zeigt die Debatte vor allem, dass das Parlament gepfuscht habe: «Die Parlamentarier wollten zwar das Beste, haben aber unterschätzt, welche unerfreulichen Folgen ihre Wortwahl für die Medien hat. Das kommt leider immer wieder vor.»
Ein weiteres Beispiel einer solchen Unklarheit ist die Rolle der Detailhändler in der Frage des neuen Geldspielgesetzes: Die Gespa hat es nämlich Migros und Coop verboten, in ihren Kundenzeitschriften Gewinnspiele mit Preisen und dabei eine gebührenpflichtige Teilnahmemöglichkeit anzubieten. Der Grund: Die Firmen seien keine Medienunternehmen, und damit fielen sie auch nicht unter die entsprechende Ausnahmeregelung, selbst wenn sie gleichzeitig eine Gratisteilnahme ermöglichten.
Dass die Auflagen des «Migros-Magazins» und der «Coop-Zeitung» jeweils bei deutlich über einer Million liegen und diese jeweils einen grossen Anteil redaktionellen Inhalts aufweisen, hat die Interpretation der Gespa nicht ins Gegenteil verkehren können. «Das Parlament dachte fälschlicherweise, der Begriff Medienunternehmen sei bereits etabliert und klar genug. Nun verwendet die Gespa eine eigene, erheblich abweichende Definition», kritisiert Steiger.
Doch bestünde für die Gespa auch so die Möglichkeit, den Willen des Gesetzgebers abzubilden: Sie könnte sich bei ihrer Interpretation des Gesetzestextes auf die erwähnte Debatte im Parlament stützen.
«Gespa ignoriert den politischen Willen»
Damit konfrontiert, schreibt Gespa-Vize Eichenberger: «Der historische Wille des Gesetzgebers ist eines, aber nicht das einzige Auslegungselement.» Genau so hoch zu werten seien eine textgetreue Auslegung oder die ursprünglichen Ziele des Gesetzes, nämlich der Kampf gegen Betrug, Geldwäscherei und Suchtgefahr.
Als Beispiel nennt Eichenberger einen Betrugsfall aus dem Jahr 2005. Die privaten TV-Sender Sat 1 Schweiz und Viva Schweiz hatten Zuschauer dazu verführt, Hunderte von Franken für Anrufe auszugeben, um vermeintlich leicht zu gewinnende Preise zu ergattern. Das Verhalten rief damals die Behörden auf den Plan; letztlich mussten die TV-Sender die Gewinne dem Staat abliefern. Der Unterschied der damaligen Masche zur heutigen Situation ist, dass heute kostenlose Teilnahmemöglichkeiten bestehen.
Anwalt Steiger kann die Argumentation der Gespa darum nicht nachvollziehen: «Im Parlament war zugunsten der Medien klar etwas anderes gemeint gewesen, als die Gespa nun vertritt. Die Gespa ignoriert den politischen Willen, wieso auch immer.»
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