Gedächtnisprobleme beim US-Präsidenten Sonderermittler zweifelt an Joe Bidens «bewusstem Geisteszustand»
Ein Ermittlungsbericht zum Umgang des US-Präsidenten mit Geheimakten steckt voller Peinlichkeiten für Joe Biden. Dieser reagiert aufgebracht.
Diese Peinlichkeit hat Joe Biden gerade noch gefehlt. Die Umfragewerte des US-Präsidenten sind miserabel, und er hat diese Woche wenig dafür getan, die Zweifel an seiner Amtsfähigkeit zu zerstreuen: Einmal schien der 81-Jährige den französischen Präsidenten Emmanuel Macron mit dem längst verstorbenen François Mitterrand zu verwechseln, kurz darauf redete er vom ebenfalls verblichenen Helmut Kohl, als er Angela Merkel meinte.
Die jüngste Peinlichkeit liegt wie die Amtszeit der deutschen Kanzlerin schon einige Jahre zurück. Doch an die Öffentlichkeit gelangt ist sie erst am Donnerstag durch die Veröffentlichung eines Berichts von Sonderermittler Robert Hur. Ihn hatte das Justizministerium im Januar 2023 eingesetzt, um Bidens Umgang mit Geheimdokumenten zu untersuchen. Die Mitarbeiter des Präsidenten hatten an verschiedenen Orten geheime Akten entdeckt, die dort nicht hingehörten: In Bidens Büro bei einem Thinktank in Washington, dann in einem Karton hinter Bidens Chevrolet Stingray in seinem Haus in Delaware, später in einer Schublade in einer Gerümpelkammer.
Der Fund war politisch hochbrisant: Erst sechs Monate zuvor war die Bundespolizei FBI vor Donald Trumps Anwesen in Mar-a-Lago vorgefahren und hatte bei einer Razzia mehrere Kartons mit teilweise hochgeheimen Unterlagen beschlagnahmt. Trump könnte militärische Einsatzpläne und Atomgeheimnisse von Partnerländern verraten haben, lautete der Verdacht, die Untersuchungen eines Sonderermittlers, Jack Smith, liefen auf vollen Touren. Inzwischen ist Trump deswegen angeklagt, unter anderem wegen der Beeinflussung von Zeugen, des Verschwindenlassens von Beweismaterial und Verschwörung zu all diesen Taten; begonnen hat der Prozess noch nicht.
Anklage nicht gerechtfertigt
Eine Strafverfolgung muss Joe Biden hingegen nicht befürchten: Der Sonderermittler in seinem Fall hält gleich im allerersten Satz fest, dass eine Anklage nicht gerechtfertigt sei. Auf den restlichen 345 Seiten des Berichts lässt er dann aber kein gutes Haar an dem Präsidenten und dessen Verhalten. «Präsident Biden hat willentlich Geheimakten aufbewahrt und offenbart, als er nach seiner Amtszeit als Vizepräsident ein Privatmann war», schreibt Hur. Da waren militärische und diplomatische Geheimakten über Afghanistan, vor allem aber Bidens handschriftliche Notizen, die er einem Ghostwriter vorlas, der für ihn die Autobiografie «Promise me, Dad» verfasste. Die Notizen enthielten Informationen über die nationale Sicherheit, die US-Aussenpolitik sowie «heikle Geheimdienstquellen und -methoden» aus Bidens Zeit als Vizepräsident von Barack Obama.
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Biden habe gewusst, dass er dabei Geheimhaltungsvorschriften verletzte, hält der Sonderermittler fest. In seiner Amtszeit waren die Notizen eingeschlossen in einem Safe im Weissen Haus. Zu Hause in Delaware hingegen bewahrte er sie in einer ungesicherten Schublade auf. Mindestens dreimal habe Biden dem Autoren auch wörtlich Geheiminformationen vorgelesen, hält der Sonderermittler fest, und zitiert maliziös, wie Biden über Trump sagte, er verstehe nicht, wie «jemand sich so unverantwortlich verhalten kann». Hur zeichnet dabei das Bild eines Egomanen.
«Während seiner Karriere hat sich Herr Biden selbst als historische Figur betrachtet», schreibt er. Er habe Geheimakten gehortet, «um sein Vermächtnis zu dokumentieren und um sie als Belege anzuführen, dass er ein Mann war, der das Zeug zum Präsidenten hat». Und, das ist neu: Auch in einer Sammlung von Biden-Akten an der Universität von Delaware fanden FBI-Agenten geheime Unterlagen.
Auf eine Strafklage verzichtet der Sonderermittler trotzdem, weil sich Bidens Schuld nicht zweifelsfrei belegen lasse. Allerdings ist seine Begründung eine härtere Strafe als jede Busse, die ein Gericht in diesem Wahljahr gegen den amtierenden Präsidenten und Präsidentschaftskandidaten der Demokraten aussprechen könnte: «Herr Biden würde sich vor den Geschworenen wahrscheinlich so geben wie bei unserer Befragung: als sympathischer, wohlmeinender älterer Herr mit schlechtem Gedächtnis.» An mehreren Stellen doppelt Sonderermittler Hur nach. «Es wäre schwierig, eine Jury davon zu überzeugen, einen dannzumal weit über 80 Jahre alten ehemaligen Präsidenten zu verurteilen wegen einer schweren Straftat, die einen bewussten Geisteszustand voraussetzt», schreibt er und hält fest, «Herr Bidens Gedächtnis war deutlich beschränkt.» Und zwar nicht nur bei den Befragungen, die 2023 im Weissen Haus stattfanden, sondern schon bei Interviews mit dem Ghostwriter im Jahr 2017.
Die Beispiele, die der Sonderermittler anführt, dürften Biden besonders hart treffen: Die Unterhaltungen mit dem Ghostwriter seien «oft schmerzlich schleppend», und bei den Befragungen im Oktober 2023 sei Bidens Erinnerungsvermögen noch «schlechter» gewesen. Er habe nicht mehr gewusst, wann er Vizepräsident gewesen sei, ja er habe sich nicht einmal mehr daran erinnert, wann sein Sohn Beau gestorben sei. Der Tod seines ältesten Sohns im Jahr 2015 hatte Biden tief getroffen, er redet bis heute oft darüber.
Pikant ist überdies, dass der Ghostwriter die Tonaufnahmen der Interviews löschte, als er von der Einsetzung des Sonderermittlers erfuhr. Später kooperierte er aber mit den Behörden, das FBI konnte die Dateien auf seinem Computer wiederherstellen, der Sonderermittler verzichtete darauf, den Autoren wegen der Behinderung von Ermittlungen anzuklagen. Ungeklärt bleibt weiter der Verdacht, dass Biden 2017 auch in einer Mietwohnung in Virginia Geheimakten aufbewahrt haben könnte. Er sagt das selbst in einer Tonaufnahme, weitere Spuren oder gar Beweise dafür konnte der Sonderermittler allerdings keine auftreiben.
Bidens Anwalt Rob Bauer beklagte sich in einer Stellungnahme über einen «Ermittlungsexzess» von Sonderermittler Hur. Das Justizministerium schreibe vor, dass nur eine Zusammenfassung des Untersuchungsberichts veröffentlicht werde, wenn der Sonderermittler keine Anklage erhebe. «Stattdessen hat dieser Sonderermittler jeden Stein umgedreht und 379 Seiten geschrieben», beschwerte sich Bauer. Das verletze das Prinzip, dass ein Ermittler kein Verhalten kritisieren dürfe, das er nicht zur Anklage bringe.
Munition für Trump
Die Verteidiger des Präsidenten fühlen sich an das Vorgehen von FBI-Chef James Comey erinnert, der mitten im Wahlkampf 2016 Hillary Clinton «extrem leichtsinnig» nannte wegen ihrer privaten E-Mail-Server, obwohl er ihr keine strafbaren Handlungen nachweisen konnte, um wenige Tage vor dem Wahltermin die Untersuchung neu zu eröffnen, erneut ergebnislos. Die Wahl konnte Donald Trump knapp für sich entscheiden, zwei Jahre später machte er Robert Hur, einen Beamten im Justizministerium, der in die Russland-Ermittlungen von Sonderermittler Robert Mueller involviert war, zum Bundesanwalt in Maryland.
Nun dürfte sich Trump ins Fäustchen lachen. Die Unterschiede zwischen seinem Verhalten und jenem von Biden sind zwar gross: Biden verstiess zwar offenbar auch wissentlich gegen die Vorschriften, allerdings in begrenztem Rahmen. Als seine Geheimakten auftauchten, kooperierte er mit den Behörden. Trump hingegen wurde vom Nationalarchiv wiederholt aufgefordert, die Unterlagen herauszurücken – worauf er sie von Angestellten vor den Behördenvertretern verstecken liess, wie der Sonderermittler dank Videoaufzeichnungen herausgefunden hat. Politisch aber hat Trump nun neue Munition erhalten, um die Verfahren gegen sich als Hexenjagden zu bezeichnen – und Joe Biden als alten, vergesslichen Mann hinzustellen, dem eine zweite Amtszeit nicht zugetraut werden könne.
Biden trat noch am Donnerstagabend überraschend vor die Medien, was er selten tut. Er habe mit Genugtuung festgestellt, dass der Sonderermittler auf eine Anklage verzichte, sagte er. Verantwortung für seinen liederlichen Umgang mit Geheimakten aber übernahm er nur indirekt: Er hätte seine Mitarbeiter besser beaufsichtigen müssen, räumte er lediglich ein, bevor er sich darüber echauffierte, dass der Sonderermittler den Tod seines Sohns in dem Bericht erwähnte. «Warum zur Hölle masst er sich an, das aufzubringen?», schimpfte Biden. «Mein Erinnerungsvermögen ist gut», sagte der Präsident, bevor er über die Lage in Gaza und sein Telefongespräch mit dem «Präsidenten von Mexiko» zu reden begann – womit er den ägyptischen Machthaber Abdel Fattah al-Sisi meinte.
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