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Gleichstellung bei den Steuern
Wie die Präsidentin der FDP-Frauen zum zweiten Mal auf die Welt kam

Susanne Vincenz-Stauffacher, Nationalrätin FDP.

Die FDP-Frauen haben ein grosses Projekt: Die Inidvidualbesteuerung. Nun muss es FDP-Frauen-Präsidentin Vincenz-Stauffacher schaffen, die Linke im Parlament dafür zu gewinnen. © Adrian Moser / Tamedia AG
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Es kommt nicht jeden Tag vor, dass sich FDP-Präsident Thierry Burkart für die Gleichstellung der Geschlechter einsetzt. Er redet normalerweise über andere Dinge. Über dringend nötige Ausgaben für die Armee zum Beispiel. Nun aber steht er vor einem selbst gebastelten Gleichstellungskreuzworträtsel aus Karton und sagt: «Es gibt Lücken bei der Gleichstellung, und die sind jetzt zu schliessen.» Für eine Partei, die eben erst noch gegen einen zweiwöchigen Vaterschaftsurlaub stimmte, ist das bemerkenswert. 

Bloss hört das an diesem Mittwochabend Ende August in der Berner Innenstadt kaum jemand. An der «Aktion zur liberalen Gleichstellung» der FDP ist nur ein einziger Stuhl besetzt. Susanne Vincenz-Stauffacher steht neben Burkart und lächelt in den leeren Saal.

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Für Vincenz-Stauffacher, St. Galler Nationalrätin und Präsidentin der FDP-Frauen, ist die Veranstaltung ein Erfolg – unabhängig von der Besucherzahl. Das öffentliche Bekenntnis ihres Parteipräsidenten zur Gleichstellung ist nämlich vor allem eines: beste Werbung für die Individualbesteuerung, ihr bisher grösstes politisches Projekt. 

Nach Burkarts Rede ist sie dran. Sie erklärt, wie ihre Steuervorlage die Gleichstellung verbessern soll. Jede Person soll künftig ihre eigene Steuererklärung ausfüllen – egal ob verheiratet oder nicht. So wird nicht nur die Heiratsstrafe abgeschafft, sondern «es wird sich für verheiratete Mütter finanziell endlich lohnen, in hohen Pensen erwerbstätig zu sein», sagt Vincenz-Stauffacher.

Wenige Stunden vor dem Auftritt mit dem FDP-Präsidenten sitzt Vincenz-Stauffacher im Bundeshaus und erzählt von den Anfängen der Volksinitiative für die Individualbesteuerung. Zusammen mit den FDP-Frauen hat sie diese bewusst in jenem Jahr lanciert, als die Schweiz 50 Jahre Frauenstimmrecht feierte. Sie erzählt von ihrer Arbeit als Scheidungsanwältin.

Von Trennungen, die auch heute noch viele Frauen in die Armut stürzen, weil sie während der Ehe viel im Haushalt arbeiteten und wenig auswärts. Als Susanne Vincenz-Stauffacher darauf zu sprechen kommt, dass sie, Rechtsanwältin, Karrierefrau und Nationalrätin, auf der Steuererklärung nach wie vor nach ihrem Ehemann «Person Nummer zwei» ist, wird ihre Stimme lauter. «Das ist doch einfach veraltet!» 

Susanne Vincenz-Stauffacher als «Dealmakerin»

Im Bundeshaus gibt es zwei Arten, sich durchzusetzen: mit knallharter Machtpolitik oder mit dem Schmieden ungewöhnlicher Allianzen. Wer im Parlament nach Einschätzungen zu Susanne Vincenz-Stauffacher fragt, hört immer wieder dasselbe Wort, das es nur auf Englisch gibt: «Dealmakerin». Sie sei eine begnadete Verhandlungsführerin, die es als eine von wenigen schaffe, von links bis weit ins bürgerliche Lager Kompromisse zu finden. Ihre grosse Stärke sei ihr Netzwerker-Gen: Sie gebe ihrem Gegenüber das Gefühl, bei ihr gut aufgehoben zu sein. 

So auch an der Gleichstellungsaktion der FDP in Bern. Eine junge Parteikollegin fragt die Nationalrätin vor dem gemeinsamen Auftritt, ob sie ihre Rede auswendig vortrage. Susanne Vincenz-Stauffacher lacht laut und sagt dann, gut hörbar für alle: «Auswendig, ich? Nein, nein, das kann nur unser Präsident, gäll Thierry?» Der Angesprochene lächelt, und die Stimmung auf der Bühne ist sofort gut. 

Als das Parlament im vergangenen Jahr das Sexualstrafrecht reformierte und den Schutz von Vergewaltigungsopfern stark verbesserte, sprach danach niemand öffentlich über die Rolle von Susanne Vincenz-Stauffacher. Sie wirkte hinter den Kulissen. Zu Beginn sei sie selbst für eine konservativere Lösung gewesen, sagt sie. 

Doch ihre Tochter schrieb eine Masterarbeit darüber, was es für Vergewaltigungsopfer bedeutet, wenn die Täter mangels Beweisen freigesprochen werden. «Sie überzeugte mich, dass es mehr braucht. Und so half ich mit, den Kompromiss zu schmieden, dem Linke, Liberale und Konservative zustimmen konnten.» 

Vincenz-Stauffacher war schon immer bei der FDP

Vincenz-Stauffacher sitzt auch im Vorstand des Frauendachverbands Alliance F. Dessen Co-Präsidentin Kathrin Bertschy (GLP) schätzt den «Sportsgeist» der FDP-Nationalrätin: «Sie sucht immer einen Weg.» Es gibt linke Politikerinnen, die sich lieber nicht zu lobend über die bürgerliche Kollegin äussern möchten, weil sie befürchten, dass dies ihrem Ansehen in der eigenen Partei schaden könnte.

Daraus zu schliessen, dass Susanne Vincenz-Stauffacher in der falschen Partei ist, wäre allerdings falsch. Schon mit 18 trat sie den Freisinnigen bei, sie ist nach eigenen Angaben «privilegiert aufgewachsen» in einem kleinen Dorf im Kanton St. Gallen, später studierte sie an der Hochschule St. Gallen und wurde Anwältin. Es war für sie schon immer selbstverständlich, sich für Schwächere einzusetzen. Und gleichzeitig prägte sie das Credo der Eigenverantwortung, die Einstellung, dass man alles schaffen kann, wenn man denn nur will.

Bis sie Mutter wurde. Vincenz-Stauffacher, heute 57, sagt es so: «1995 kam nicht nur meine erste Tochter auf die Welt, sondern auch ich. Plötzlich wurde mir klar, dass Frauen und Männer eben doch nicht dieselben Chancen haben.»

Rundherum hätten alle vorausgesetzt, dass sie ab sofort beruflich zurückstecken müsse. Ihr Mann konnte sein Pensum nicht reduzieren. Nur dank ihrer Mutter, die trotz eigenem Job bereit war, zwei Tage pro Woche Kinder zu hüten, war es Susanne Vincenz-Stauffacher möglich, weiterzuarbeiten. Sie war als Anwältin selbstständig und erledigte einen Teil der Arbeit abends oder an Wochenenden. Im Vergleich zu anderen habe sie es gut gehabt, sagt Vincenz-Stauffacher. «Und doch hätte ich mir als junge Mutter eine Kita gewünscht in meinem Dorf.»

Nationalrat entscheidet über die Individualbesteuerung

Gut 30 Jahre später steht nun ihr grosses Gleichstellungsprojekt vor der ersten Bewährungsprobe: Heute Montag entscheidet der Nationalrat über die Individualbesteuerung. Dabei geht es nicht nur um die Volksinitiative der FDP-Frauen. Im Auftrag des Parlaments hat der Bundesrat bereits einen Vorschlag ausgearbeitet, wie die Individualbesteuerung umgesetzt werden könnte: Wie hoch die Steuerausfälle für den Bund sein dürfen, welche Personen von einem solchen neuen System profitieren und welche mehr bezahlen müssten. Ein klassischer Fall für die Dealmakerin Vincenz-Stauffacher – könnte man denken. 

Ausgerechnet bei ihrer eigenen Initiative ist es ihr nicht gelungen, hinter den Kulissen einen Kompromiss zu finden, mit dem Grüne, die SP, die GLP und die FDP zufrieden sind. Sie alle teilen das Anliegen, mit der Steuerreform mehr Gerechtigkeit zu erreichen. Doch gehen die Vorstellungen weit auseinander, wem die Individualbesteuerung nützen soll: vor allem den Gutverdienern oder doch eher den weniger Reichen? 

Auf linker Seite ist man über die nun vorliegende Lösung enttäuscht, SP und Grüne dürften dennoch vorerst einmal grossmehrheitlich Ja stimmen. Man wolle die Diskussion über die Individualbesteuerung unbedingt weiterführen, sagt SP-Präsident Cédric Wermuth. Weil die Fraktionen der SVP und der Mitte sowieso dagegen sind, wird es denkbar knapp.

Die SP hatte im Vorfeld versucht, einen Kita-Deal auszuhandeln: also die Individualbesteuerung mit den umstrittenen Subventionen für die externe Kinderbetreuung (Kitas) verbinden. Eine Forderung, die im Parlament aufgrund der aktuellen Spardebatte nicht mehrheitsfähig ist.

Susanne Vincenz-Stauffacher setzte sich jahrelang für Kita-Subventionen ein – bis sie vor eineinhalb Jahren selbst dagegen stimmte im Nationalrat. Ausgerechnet sie, die sich einst selbst so sehnlichst eine Kita gewünscht hatte. Die FDP-Frau müsse sich hin und wieder ihrer Parteimeinung beugen, sonst werde sie nicht mehr ernst genommen, raunt man in der Ratslinken.

«Wähle deine Kämpfe mit Bedacht»

Vincenz-Stauffacher hat eine andere Erklärung: «Das Kita-Paket wurde immer teurer und teurer – sodass es in der aktuellen Finanzlage nicht mehr tragbar ist», sagt sie. Am Ende musste sie auch Prioritäten setzen. Kita oder Individualbesteuerung – beides sind Gleichstellungsanliegen, die zumindest bei der Einführung viel Geld kosten. Susanne Vincenz-Stauffacher hat sich für ihr eigenes Projekt entschieden. Für die Kita-Finanzierung kämpft sie mit den FDP-Frauen nun in den einzelnen Kantonen und Kantonsparlamenten. «Choose your battles wisely», sagt sie, «wähle deine Kämpfe mit Bedacht». 

Es ist ein Grundsatz, der bei Erziehungsratgebern wie Managern gerade sehr angesagt ist. In der Politik besteht allerdings die Gefahr, mit allzu grosser Flexibilität seine Ideale zu verraten. Vincenz-Stauffacher spürt das, wenn sie innerhalb der FDP in die Kritik gerät. «Die gelegentliche Kritik der eigenen Leute, meine gesellschafts- und energiepolitischen Positionen seien nicht liberal, die trifft mich schon», sagt sie. Dabei sei der klassische Freisinn doch genau wie sie: gerade nicht stromlinienförmig.

Aber nun, so kurz vor der Abstimmung über die Rentenreform, ist das Momentum ohnehin auf Susanne Vincenz-Stauffachers Seite. Seit dem knappen Ja zur Erhöhung des Frauenrentenalters hat sich bei den Bürgerlichen die Erkenntnis durchgesetzt, dass Frauen solche Abstimmungen entscheiden können. Möglich, dass dies auch FDP-Präsident Thierry Burkart durch den Kopf ging, als er sich vor das selbst gebastelte Kreuzworträtsel stellte und ein Lob auf Susanne Vincenz-Stauffacher und die Gleichstellung sprach.