Entgleisung im Gotthard-BasistunnelWer haftet für die Folgen des Radbruchs? Bericht heizt Debatte um Schadenersatz an
Der am Donnerstag veröffentliche Zwischenbericht der Sust macht einen Radbruch für das Zugunglück im Gotthard verantwortlich. Der Besitzer des Unfallwagens hat bereits technische Massnahmen getroffen.
Der am Donnerstag veröffentlichte Zwischenbericht der Schweizerischen Sicherheitsuntersuchungsstelle (Sust) bringt Klarheit zum Unfall im Gotthard: Ein Radbruch führte zur schweren Entgleisung eines Güterzuges Mitte August. Die gefundenen Radstücke im Tunnel konnten einem Wagen des Unternehmens Transwaggon AB zugeordnet werden. Dieses ist eine schwedische Tochterfirma des Zuger Unternehmens Transwaggon.
Damit dürfte die Debatte um Haftung und Schadenersatz wieder aufflammen. Bekannt ist bereits, dass in erster Linie SBB Cargo als Frachtführerin für den Unfall im Gotthard-Basistunnel haftet, jedoch Regress auf den Wagenbesitzer nehmen kann. Eine Schadensumme hat die Muttergesellschaft SBB bisher noch nicht genannt. Diese dürfte aber im hohen Millionenbereich liegen.
Transwaggon will Schlussbericht abwarten
Transwaggon hält es für verfrüht, aufgrund des Zwischenberichts Fragen der Haftung und des Schadenersatzes klären zu wollen. Das sei erst mit dem Abschlussbericht möglich, heisst es beim Unternehmen. «Wir halten es derzeit für durchaus möglich, dass es multifaktorielle Unfallursachen gegeben hat», ergänzt eine Transwaggon-Sprecherin. Das Unternehmen sei gegen Schadenersatzforderungen versichert.
Als Sofortmassnahme nach dem Unfall habe Transwaggon verfügt, alle Radsätze der betroffenen Baureihe vorsorglich gegen Radsätze eines anderen kompatiblen Typs auszutauschen. Damit gehe die Firma über die Empfehlungen der Sust im Zwischenbericht hinaus. Die Untersuchungsstelle schlägt vor, eine Liste mit allen betroffenen Rädern zu erstellen, die im Einsatz stehen. Zudem mahnt die Behörde weitere Kontrollen an.
Den Schaden für die Betriebe des Güterverkehrs bezeichnet Frank Furrer, Generalsekretär des Branchenverbands Cargorail, als «erheblich». Konkrete Zahlen nennt Furrer indes keine. Nicht nur hätten Güter nicht rechtzeitig geliefert werden können, es seien auch haufenweise Überstunden angefallen. Beispielsweise seien die Mitarbeiter der Güterverkehrfirmen damit beschäftigt gewesen, die betroffene Kundschaft rund um die Uhr zu informieren.
Inwiefern die Branche Schadenersatzforderungen anstrebt, lässt Furrer offen. Generell seien Fragen des Schadenersatzes im Gütertransport grenzübergreifend und klar geregelt, sagt er dazu. In der Regel gebe es deshalb nur tiefe und pauschale Entschädigungen. Ein Grund dafür sei, dass die Marktteilnehmer so besser geschützt seien und sich nicht durch gegenseitige Klagen schädigten. Transwaggon ist Mitglied von Cargorail.
Mit einem «Schaden in einem gewissen Rahmen» rechnet Andreas Züllig, Präsident der Hotelleriesuisse. Der Unterbruch des Reiseverkehrs hatte vor allem den Tourismus im Tessin getroffen. Politiker wie der Mitte-Nationalrat Fabio Regazzi hatten sogar Schadenersatz von den SBB gefordert.
Tessiner Hotels entgehen Millionen
Der oberste Hotelier Züllig geht von einem Umsatz im einstelligen Millionenbereich aus, der den Hotelbetreibern im Tessin entgangen ist. Schadenersatzforderungen kommen für Züllig indes nicht infrage. «Wir müssten den Tatbeweis schwarz auf weiss erbringen, dass der Unfall im Gotthard die Gäste vor einer Reise ins Tessin abgehalten hat und nicht etwa das schlechte Wetter», sagt er. Das sei ein Ding der Unmöglichkeit.
Ähnlich tönt es bei Gastro Ticino. Der Verband verzichte auf Schadenersatzforderungen, da die Einbussen nur schwer bezifferbar seien. Präsident Massimo Suter spricht von einem deutlich spürbaren Rückgang bei der Zahl der Tagestouristen während der Dauer des Unterbruchs. «Wir reden von einer Grössenordnung von 20 bis 25 Prozent», was sich unmittelbar auf die Restaurants und Hotels ausgewirkt habe, so Suter.
Wie heikel das Thema der Haftung bei einem solchen Unfall ist, zeigt eine Umfrage bei spezialisierten Anwälten und Rechtsprofessoren. Sie wollten keine Einschätzung abgeben. Um kompetent und glaubwürdig Auskunft geben zu können, müssten sie erst den endgültigen Bericht der Sust lesen. Um den Schadenfall korrekt zu beurteilen, sei jedes Detail wichtig – dazu gehörten auch neue Erkenntnisse, die erst im Abschlussbericht aufgeführt würden.
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