Sust-Bericht zeigtRadbruch war Ursache der Zugentgleisung im Gotthard, Wagen gehörte Zuger Firma
Die Schweizerische Sicherheitsuntersuchungsstelle hat die Entgleisung im Gotthard-Basistunnel inzwischen gut dokumentiert. Sie nennt Gründe und den Eigentümer des entgleisten Wagens. Dieser wehrt sich.
In einem am Donnerstag veröffentlichten Zwischenbericht bestätigt die Schweizerische Sicherheitsuntersuchungsstelle Sust ihren ersten Verdacht, dass ein Radbruch am 10. August zur schweren Entgleisung eines Güterzugs im Gotthard-Basistunnel geführt hatte: Rund zehn Kilometer nach Einfahrt in das Südportal brach eine Radscheibe am elften Wagen.
Kurz darauf lösten sich weitere Fragmente aus dem Rad. Wie die Sust schreibt, hatte sich der Riss an besagtem Rad bereits über einen längeren Zeitraum ausgeweitet. Die Lauffläche weise zahlreiche weitere Anrisse auf. Versagt habe das Rad aufgrund von Ermüdung – die Rede ist von sogenannten Schwingungsrissen –, ausgehend von den Rissen in der Lauffläche.
Unfallwagen gehört Transwaggon mit Sitz in Zug
Kurz nach dem Radbruch hätten sich weitere Fragmente aus dem Rad gelöst, schreibt die Sust. An der Infrastruktur seien in diesem Bereich leichte Beschädigungen an den Betonschwellen sichtbar gewesen. Die Achse hing ab diesem Zeitpunkt schräg unter dem Wagen. Der Güterzug fuhr dann rund vier Kilometer weiter.
Kurz vor der Multifunktionsstelle Faido brach das letzte Radfragment weg. Die Achse, die schräg unter dem Wagen hing, schlug vor der Weiche auf die Betonschwellen und zerstörte die Weichen. Infolgedessen entgleisten die nachfolgenden 16 Güterwagen und kippten teilweise im Tunnel um.
Der Zug brach zwischen dem 13. und dem 14. Wagen auseinander, und einige Wagen gerieten auf das Verbindungsgleis zur anderen Röhre. Der Unfall führte dazu, dass eine der zwei Röhren noch bis mindestens Anfang nächstes Jahr nicht befahrbar ist.
Wie die Sust schreibt, konnten die gefundenen Radstücke einem Wagen des Unternehmens Transwaggon AB zugeordnet werden – eine schwedische Tochterfirma des Zuger Unternehmens Transwaggon. Diese Redaktion hatte bereits darüber berichtet, dass Wagen des Leasingunternehmens Teil des Güterzugs waren.
Sust empfiehlt Kontrolle der Radsätze
Brisant ist die Feststellung der Sust, dass sich der Riss am unfallverursachenden Rad über einen längeren Zeitraum ausgeweitet hat. Transwaggon bestätigt das und schreibt in einer Stellungnahme, die Risse seien «vermutlich über Monate» gewachsen.
Sollte sich das im Schlussbericht bestätigen, drohen Transwaggon hohe Schadensersatzforderungen. Eine Schadensumme haben die SBB bisher noch nicht genannt. Diese dürfte aber im hohen Millionenbereich liegen.
Wie die Sust schreibt, kann ein solcher Riss in einer Radscheibe durch die heute in der Schweiz vorhandenen Zugkontrolleinrichtungen nicht bemerkt werden. Bei technischen Zuguntersuchungen im Betrieb könne ein Riss nur bedingt, abhängig von seiner Ausprägung und nur im sichtbaren Radbereich, festgestellt werden.
Nach vergleichbaren Radbrüchen und Radrissen in Italien und Belgien hatte die Eisenbahnagentur der Europäischen Union 2017 verschiedene Massnahmen für die betroffenen Radtypen eingeführt, darunter eine Sichtkontrolle aller Räder vor der Abfahrt eines Zugs. In einem ersten Schritt empfiehlt die Sust nun eine Ausweitung dieser Massnahmen auf den Radtyp, der den Unfall im Gotthard verursacht hat.
Das für die Umsetzung der Massnahmen zuständige Bundesamt für Verkehr schreibt dazu: Nun gelte es, die betroffenen Radtypen und die Güterwagen, an denen diese montiert seien, zu identifizieren, zu kontrollieren und nötigenfalls aus dem Verkehr zu ziehen. «Weil der Güterverkehr europäisch organisiert ist und nur ein sehr kleiner Teil der Güterwagen aus der Schweiz stammt, ist dazu die Zusammenarbeit mit der Europäischen Eisenbahnagentur nötig.»
Die europäischen Güterverkehrsunternehmen sollten daher angeben, ob es irgendwo schon mal zu einem ähnlichen Zwischenfall mit gebrochenen Rädern gekommen sei, schreibt das Bundesamt für Verkehr. Zudem sollten sie aufgefordert werden, anzugeben, wo überhaupt Räder des besagten Typs eingesetzt seien.
SBB prüfen Einbau von Entgleisungsdetektoren
Die SBB schreiben in einer ersten Stellungnahme, dass sie die von der Sust vorgeschlagenen Massnahmen zur Erhöhung der Sicherheit begrüssten. SBB Cargo besitze keine Wagen mit dem betroffenen Radtyp.
Linus Looser, Leiter Produktion Personenverkehr und Mitglied der SBB-Konzernleitung, sagte zur Frage, ob nun im Gotthard-Basistunnel und anderen Tunneln Entgleisungsdetektoren eingebaut würden: «Diese Idee prüfen wir. Es laufen entsprechende Abklärungen.»
Beim Verband der verladenden Wirtschaft, Cargorail, heisst es, dass die Branche die Empfehlungen der Sust nun in den entsprechenden Gremien diskutieren werde.
Den Schaden für seine Branche bezeichnet Cargorail-Generalsekretär Frank Furrer als «erheblich». Er nennt aber keine konkrete Zahl. Nicht nur hätten Güter nicht rechtzeitig geliefert werden können, es seien auch haufenweise Überstunden angefallen. Beispielsweise seien die Mitarbeiter der Güterverkehrfirmen damit beschäftigt gewesen, die betroffene Kundschaft rund um die Uhr zu informieren.
Ob die Branche Schadenersatzforderungen anstrebt, lässt Furrer offen. Grundsätzlich seien Fragen des Schadensersatzes im Gütertransport grenzübergreifend klar geregelt, sagt er dazu. In der Regel gebe es deshalb nur tiefe und pauschale Entschädigungen. Ein Grund dafür sei, dass die Marktteilnehmer so besser geschützt seien und sich nicht durch gegenseitige Klagen schädigten.
Transwaggon fordert Untersuchung an der Weiche
Die Besitzerin des entgleisten Wagens, Transwaggon, betont in einer Stellungnahme, dass der Zwischenbericht einen vorläufigen Charakter habe. Eine vollständige Klärung des Unfallhergangs und der Unfallursachen werde erst im Abschlussbericht geliefert.
Transwaggon fordert weitere gründliche Untersuchungen an dem an der Weiche abgelenkten Wagen 14 und an der Weiche an der Multifunktionsstelle Faido selbst. Denn es widerspreche den Erfahrungen, dass an einer Weiche nicht der entgleiste Wagen selbst abgelenkt werde, sondern dass dies erst drei Wagen später geschehe.
SBB lassen Haftungsklagen gegen Transwaggon offen
Zur Frage der Verantwortung und damit auch der Haftung schreibt Transwaggon, dass drei Gruppen von Akteuren im Güterbahnsystem gleichberechtigt zusammenwirkten: erstens die Infrastrukturbetreiber, zweitens die Eisenbahnverkehrsunternehmen, also beispielsweise SBB Cargo, und drittens die Wagenhalter, zu denen auch Transwaggon gehöre. Jeder der drei habe spezifische Kontrollaufgaben.
Die Wagenhalter seien für die Instandhaltung zuständig. Den Eisenbahnverkehrsunternehmen obliege es wiederum, bei der Zusammenstellung eines Güterzugs den Zugverband zu kontrollieren. Bekannt ist bereits, dass primär SBB Cargo als Frachtführerin für den Unfall im Gotthard-Basistunnel haftet, jedoch Regress auf den Wagenbesitzer nehmen kann.
Ob die SBB das tun werden, lassen sie offen. SBB-Konzernleitungsmitglied Linus Looser sagte: «Eine Haftungsklage oder Schadenersatzforderungen sind zurzeit weder prioritär noch in unserem Fokus.»
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