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Bahnunglück im Gotthard-Basistunnel
SBB sind nicht in der Lage, Radschäden zu erkennen

23 Wagen entgleisten im Gotthardtunnel. Noch immer sind etliche davon vor Ort, und der Tunnel bleibt weiterhin gesperrt. 
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Nach dem verhängnisvollen Güterzugunglück im Gotthard-Basistunnel am Donnerstag letzter Woche lassen die SBB weiterhin viele Fragen offen. Bekannt wurde bislang lediglich, dass der Basistunnel länger als erwartet für den Bahnverkehr gesperrt bleibt. Personen- und Güterzüge würden über den 16. August hinaus umgeleitet.

Aber von den SBB gibt es weder Antworten dazu, von wo nach wo der Zug genau unterwegs war, noch dazu, wem der Unglückswagen gehörte oder was er genau geladen hatte. Es wird lediglich auf die Arbeit der Ermittlungsbehörden verwiesen.

Zum Zeitpunkt des Unfalls war der Güterzug mit 100 Kilometern pro Stunde unterwegs und führte 32 Wagen mit sich, 23 davon entgleisten bei der Multifunktionsstelle Faido.

Sensoren vor Tunnel erkennen keine Risse

Die Schweizerische Sicherheits­untersuchungs­stelle geht davon aus, dass eine gebrochene Radscheibe den Unfall auslöste. Und das, obwohl der Zug gemäss SBB vor der Tunneleinfahrt bei Claro TI eine Überwachungsanlage passierte. Diese soll für Sicherheit im viel befahrenen Tunnel sorgen.

Wird von der Überwachungsanlage eine Überschreitung gewisser Schwellenwerte erfasst, erfolgt automatisch eine Information an die Betriebszentrale, die dann den Lokführer darüber in Kenntnis setzt. Die Anlage habe aber keine Auffälligkeiten festgestellt.

Die gesamte Wagenladung des entgleisten Wagens liegt weit verstreut auf den Schienen und den Rampen. 

Recherchen zeigen nun: Die Sensoren der Überwachungsanlage, die verschiedene Parameter an den vorbeifahrenden Zügen messen, erkennen etwa überladene oder schief beladene Fahrzeuge, eine mögliche Brandgefahr oder Veränderungen am Zugprofil – kleine Risse im Rad beispielsweise erkennen sie jedoch nicht. Diese Art von Schäden kann nur mit einer Ultraschallmessung im Rahmen der Revision der Wagen eruiert werden. 

Noch ist die genaue Ursache für den Radbruch nicht bekannt. Dass solche Risse aber ungemein gefährlich sein können, zeigt das bislang schwerste Unglück in der deutschen Bahngeschichte. Bei einem Unfall in der Gemeinde Eschede kamen 1998 101 Menschen ums Leben, Dutzende weitere wurden verletzt. Bevor der Radreifen des ICE-Unglückszuges brach und ihn zum Entgleisen brachte, hatte sich ein Riss gebildet. Dieser Riss blieb aber unentdeckt.

Zug begann seine Fahrt in Chiasso

War der Bruch der Radscheibe des Güterzuges im Gotthard also nur eine Frage der Zeit? Das müsse nicht sein, das Unglück habe vielleicht auch durch Probleme an der Infrastruktur im Tunnel, beispielsweise an den Gleisen, ausgelöst werden können, sagt eine Expertin aus dem Transportbereich. 

Und wenn nicht? Bereits in einem Bericht von 2019 hielt das Bundesamt für Verkehr fest, dass die Qualität der Güterzüge nicht genügend sei. Das Amt verwies unter anderem auf «Mängel an den Rädern».

Doch woher kam der Unglückszug überhaupt? Die SBB informieren auch hier spärlich und teilten lediglich mit, dass dieser von Italien nach Deutschland unterwegs gewesen sei. Wie Recherchen dieser Redaktion und von Bahnportalen nun zeigen, dürfte es sich beim Unglückszug um den Güterzug 45016 handeln, der von Dienstag bis Samstag verkehrt.

Begonnen hat er seine Fahrt demnach am Rangierbahnhof Chiasso Smistamento kurz nach 9 Uhr am Donnerstagmorgen letzter Woche. Ziel wäre wohl Mannheim gewesen, der zweitgrösste Rangierbahnhof Deutschlands. In der Schweiz ist jeweils SBB Cargo für den Zug verantwortlich und stellt auch den Lokführer.

In Deutschland übernimmt dann das Güterunternehmen der Deutschen Bahn, DB Cargo. Die Wagen solcher Züge stammen von verschiedenen Unternehmen und werden dann jeweils zusammengestellt. In Europa gibt es dafür mehrere grössere und auch private Wagenvermieter.

Wagen von Zuger Unternehmen involviert

Auf einem der Fotos der entgleisten Wagen ist deutlich zu erkennen, einmal als Schriftzug und einmal als Abkürzung auf den Rädern, dass es sich bei diesem Wagen um einen gedeckten Güterwagen des Zuger Unternehmens Transwaggon handelt. 

Das Unternehmen bewirtschaftet eine Flotte von insgesamt rund 13’500 Güterwagen und gehört über eine Holding zu 50 Prozent der VTG GmbH in Hamburg, die mit ungefähr 94’000 Güterwagen über die grösste private Zugwagenflotte Europas verfügt. Auf Anfrage bestätigt das Unternehmen, dass eigene Wagen Teil des Unglückszugs waren.

Ob einer davon den Unfall ausgelöst hat, dazu kann sich das Unternehmen zum jetzigen Zeitpunkt nicht äussern. Es würden nun verschiedene Abklärungen laufen, kommunizieren könne man erst, wenn fundierte Informationen vorlägen. 

Gemäss Branchenexperten haben die Räder der Wagen sogenannte Instandhaltungs­zeiten, nach denen also Teile ausgewechselt werden müssen, zudem würden regelmässig präventive Revisionen stattfinden, bei diesen werden die Wagen beispielsweise auch auf Risse untersucht.

Vor jedem Einsatz des Wagens führt der Besitzer zudem eine wagentechnische Untersuchung durch. Ein sogenannter Visiteur schaut sich den Wagen noch einmal an. Früher fand eine solche Überprüfung auf Sicht jeweils auch bei der Grenzüberquerung statt. Ob das heute auch noch der Fall ist? Die SBB lassen derzeit viele Fragen unbeantwortet. 

Zur Arbeit der Schweizerischen Sicherheits­untersuchungs­stelle gehört es nun auch, die Dokumentationen des Wagenhalters zur Instandhaltung zu prüfen. Gleiches gilt für die Instandhaltung der Bahninfrastruktur. 

Versicherung deckt 100 Millionen Franken

Der Schaden im Tunnel jedenfalls dürfte erheblich sein. Teile des Gleises wurden von der Wucht der Güterwagen herausgerissen. «Es wird einem mulmig, wenn man sieht, was für Kräfte dort gewirkt haben», sagte Rudolf Büchi, stellvertretender Leiter Infrastruktur der SBB, an einer ersten Medienkonferenz nach dem Unglück.

Zerstörter Güterwagen: Bei der Entgleisung wurde ein Spurwechseltor gerammt und stark beschädigt.

Noch immer befinden sich derzeit 16 Wagen an der Unfallstelle, ebenso liegen noch Ladegüter auf den Gleisen. Erst jetzt kann richtig mit den Aufräumarbeiten begonnen werden. Entsprechend dürfte es teuer werden.

Bekannt ist, dass Transport­unternehmen eine Haftpflicht­versicherung von mindestens 100 Millionen Franken abschliessen. Läge ein nachweisliches Verschulden dieses Unglücks vor, dürfte diese Mindestsumme wohl nicht reichen.

Am Mittwoch wollen die SBB nun erneut eine Medienkonferenz abhalten. Dort soll unter anderem informiert werden, wie es während der Sperrung mit dem Güterverkehr weitergeht.