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Krawalle in Grossbritannien
Wie aus dem Hass im Netz Gewalt auf der Strasse wird

A protester uses a fire extinguisher on police officers as trouble flares during an anti-immigration protest outside the Holiday Inn Express in Rotherham, England, Sunday Aug. 4, 2024. (Danny Lawson/PA via AP)
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Die tödliche Messerattacke auf drei Mädchen in Southport hat eine Welle der Gewalt ausgelöst, die Grossbritannien schon lange nicht mehr erlebt hat. So nachvollziehbar die Wut und die Empörung über die brutale Bluttat sind, so inakzeptabel und verstörend ist der in über 20 Städten explodierte Hass gegen Migranten, der von Sachbeschädigungen und Plünderungen begleitet wurde.

Bei diesen Gewaltexzessen spielten die sozialen Medien offensichtlich eine unrühmliche Rolle. Denn sie haben die Krawalle begünstigt, indem Fake News und Desinformationen eine rasche und breite Verbreitung fanden – eine Einladung für die rechtsextremen Randalierer und ihre Mitläufer.

Falschmeldung über Täter von Fake-Sender

Beispielsweise publizierte ein TV-Kanal mit dem Namen «Channel3 Now» auf der Plattform X (ehemals Twitter) die Nachricht, dass der Täter von Southport ein unter Terrorismusverdacht stehender muslimischer Asylbewerber gewesen sei. Damit wurde implizit der Vorwurf geäussert, dass die Sicherheitsbehörden versagt haben.

Die Falschmeldung verbreitete sich innert weniger Stunden millionenfach. Tatsächlich handelt es sich beim Täter um einen 17-jährigen Briten, der in Wales geboren und aufgewachsen ist, dessen Eltern aus Ruanda eingewandert waren. Das Motiv seiner Tat ist noch unklar.

Schliesslich stellten britische Medien und Experten fest, dass «Channel3 Now» ein fiktiver TV-Sender ist und dass der Tweet von einem russischen Account verbreitet worden war. Dass russische Akteure immer wieder an Desinformationskampagnen mitwirken, ist Teil der hybriden Kriegsführung des Putin-Regimes, deren Ziel die Destabilisierung westlicher Staaten ist. Die Desinformationen im Fall Southport waren aber vor allem hausgemacht.

Rechte und rechtsextreme britische Influencer in den sozialen Medien – vor allem auf Tiktok, Telegram oder X – missbrauchten das Verbrechen von Southport für ihre Zwecke. Der wohl prominenteste von ihnen ist Tommy Robinson, der 2018 von Twitter verbannt worden war, aber seit der Übernahme der Plattform durch Elon Musk auf X wieder ungehindert seine kruden Thesen über Migranten und falsche Behauptungen verbreiten darf.

Elon Musk lobt Rechtsextremisten

Der 41-jährige Robinson ist ein mehrfach vorbestrafter Ex-Hooligan, und er war einst Anführer der rechtsextremen, islamfeindlichen «English Defense League». Erst letzte Woche hat er sich ins Ausland abgesetzt, um einem Prozess in England zu entkommen. Laut Medienberichten hält sich Robinson derzeit in Zypern auf und befeuert von dort aus die Krawalle in Grossbritannien, indem er etwa die Regierung von Premier Keir Starmer attackiert. Robinson bezeichnet die rechtsextremen Ausschreitungen als Resultat «legitimer Anliegen». Und er fordert Massendeportationen von Migranten.

Auf X hat Robinson rund 880’000 Follower – einer von ihnen ist X-Eigentümer Musk, der Posts von Robinson auch schon lobend kommentiert hat. Seit der Milliardär und Unternehmer Musk Twitter übernommen und in X umbenannt hat und sich gerne als Garant der Meinungsfreiheit inszeniert, verkommt die Plattform zunehmend zu einem Kanal für Fake News, Hass und Hetze.

Online-Influencer, «Content Creators» und lokale Netzwerke

Online-Influencer wie Robinson hätten wahrscheinlich die wichtigste Rolle bei den jüngsten Ausschreitungen in Grossbritannien gespielt, schreibt Peter Neumann, Professor für Sicherheitsstudien am King’s College in London, in seinem Newsletter zu den Krawallen. Solche Influencer geben der dezentral organisierten Bewegung «eine politisch-ideologische Richtung, sie verbreiten Videoclips und motivieren Anhänger dazu, eigene Proteste zu organisieren».

Wichtige Helfer der rechtsextremen Bewegung sind laut Neumann sogenannte «Content Creators», also Leute, die Texte und Videos erstellen und sie online verbreiten. Teilweise handelt es sich um Personen, die selbst an Protesten teilnehmen und Konfrontationen mit Polizei oder Gegendemonstranten filmen. Auch selbst ernannte «Migrantenjäger», die vermeintliche Missetaten von Ausländern aufspüren, sind unter den «Content Creators» zu finden.

epa11524716 Anti-migration demonstrators hold signs during a protest outside the Potters International Hotel which houses migrants in Aldershot, Britain, 04 August 2024. Violent demonstrations by members of far-right groups have sprung up across Britain in the aftermath of a fatal stabbing attack in Southport, in which three children were killed and eight more seriously injured along with two adults. EPA/NEIL HALL

«Entscheidend sind letztlich lokale Netzwerke, die die Proteste auf die Beine stellen», schreibt Neumann. Er beobachtet, dass rechtsextreme Gruppen neuerdings an einem Strang ziehen. Und dass die Mobilisierung weit über die «üblichen Verdächtigen», wie etwa Militante aus der Hooligan-Szene, hinausgeht. An den Protestaktionen hätten sich auch Bürgerinnen und Bürger beteiligt, die bisher nichts mit Rechtsextremismus zu tun hatten.

Das weist darauf hin, dass reale Missstände wie Arbeitslosigkeit oder hohe Lebenshaltungskosten einen Nährboden für die Proteste liefern. Immer mehr Britinnen und Briten müssen mit schwierigen Lebensumständen klarkommen. Dass sich der Frust von Menschen in Aggressionen gegen Fremde richtet, ist ein gängiger Vorgang, den Rechtsextreme gezielt zu befeuern wissen. Sie haben erkannt, wie sie die sozialen Medien für ihre Themen nutzen können.

Als Multiplikatoren für aggressive, antimigrantische Stimmungen wirkten auch reichweitenstarke Politiker am rechten Rand. So zum Beispiel Nigel Farage, Brexit-Vorkämpfer und Chef der rechtspopulistischen Partei Reform UK. Farage hat auf der Plattform X rund zwei Millionen Follower. Im Fall Southport verbreitete auch Farage falsche Tatsachenbehauptungen.

In den jüngsten Ausschreitungen in Grossbritannien sieht Sicherheitsexperte Neumann eine Art Drehbuch, mit dem Rechtsextremisten soziale Unruhen herbeiführen können. Und er warnt: Was in Grossbritannien passiert ist, kann sich auch in anderen westlichen Demokratien wiederholen.