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Elon Musk und die US-Wahlen
Ist es moralisch noch vertretbar, einen Tesla zu fahren?

Tun oder lassen? Mit dem Tesla-Kauf unterstützt man auch das Gebaren von Elon Musk.
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Ja. Wer ein E-Auto kauft, setzt ein Zeichen gegen Trump.

Joachim Becker

Autonome Elektroautos für alle, wiederverwertbare Raketen und Satellitenempfang in den abgelegensten Gebieten: Schier utopische Technikträume sind sein Markenzeichen, falsche Bescheidenheit eher nicht.

Seit einem Vierteljahrhundert hält Elon Musk sein Publikum mit waghalsigen Visionen, Beinahe-Pleiten und polarisierenden Kurznachrichten in Atem: 200 Millionen Follower verfolgen die teils genialische, teils erratische Selbstinszenierung live auf X. Die einen feiern den Tech- und Medien-Tycoon als radikalen Erneuerer im Stil des Silicon Valley; andere prophezeien (regelmässig) sein Scheitern und sehen das Enfant terrible als reale Gefahr für die Demokratie – nicht erst, seit bekannt wurde, dass er seit Kriegsbausbruch in der Ukraine regelmässig Kontakt zu Wladimir Putin gehabt haben soll.

Richtig ist, dass sich Musk im US-Wahlkampf als chauvinistischer Grosssprecher im Gefolge von Donald Trump outet. So tollkühn-unterhaltsam er bisher agiert hat – sein Trump-Engagement ist für viele jetzt der (Sünden-)Fall: Wird die Tech-Elite an der US-Westküste zu mächtig und geht eine unheilvolle Allianz mit politisch radikalen Kräften ein?

Diese grundlegende Frage stellt sich für Tesla-Fahrer ganz konkret: Kann man jetzt noch guten Gewissens ein Modell der Musk-Marke fahren? Mittlerweile gibt es Rechtfertigungsaufkleber: «Ich habe dieses Auto gekauft, bevor ich wusste, dass Elon verrückt ist.» Muss man sich also für ein Elektroauto schämen oder gar entschuldigen? Womöglich zum Tesla-Boykott aufrufen oder den eigenen Wagen abstossen?

Hat irgendjemand in Politik oder Wirtschaft einen vergleichbaren Masterplan?

Um die Technik und die Wirkung von Tesla zu beurteilen, muss man Musk weder mögen noch seine politischen Ansichten teilen noch ihn überhaupt kennen. Er verkörpert jenen Typus des Tech-Turbokapitalisten, der auf viele Konventionen pfeift, um seine Ideen durchzusetzen. Gerade deshalb sollte man aber das Werk von seinem Schöpfer trennen. Das fällt zugegebenermassen schwer, weil Musk immer wieder provoziert und gegen Andersdenkende Stimmung macht. Doch der notwendige Schutz der freien Meinungsäusserung und des gesellschaftlichen Pluralismus darf nicht zum Alibi für eine generelle Fortschrittsfeindlichkeit werden.

Noch immer sterben jährlich mehr als eine Million Menschen im Strassenverkehr, Staus verstopfen die Städte und belasten die Menschen mit Abgasen, von der globalen Klimakatastrophe gar nicht zu reden. Musk hat diese Probleme schon 2006 in seinem ersten «Masterplan» adressiert – und wurde dafür von anderen Autoherstellern belächelt: Zu utopisch, welt- und branchenfremd schien der Weg vom kleinen, fehleranfälligen E-Sportwagen zum bezahlbaren vollelektrischen Familienauto und weiter zum autonomen Fahren in gemeinsam genutzten Autos zu sein. Hat irgendjemand in Politik oder Wirtschaft einen vergleichbaren Masterplan und die Kompetenzen sowie die finanziellen Möglichkeiten, ihn umzusetzen?

This photo provided by Edmunds shows an adaptive cruise system operating on a Tesla Model 3. Adaptive cruise holds a constant speed and can also slow or accelerate the vehicle. (Courtesy of Edmunds via AP)

Um es klar zu sagen: Ohne Tesla würde die Elektromobilität noch immer im Nirgendwo der Bedenkenträger hängen. Nicht zuletzt dank Musk haben die chinesischen Autohersteller frühzeitig erkannt, dass ihre Computer-Akkus auch E-Autos antreiben können und dass leistungsstarke Computer-Chips den Weg in die Zukunft bahnen. Die aktuelle chinesische Modelloffensive in Europa ist eine direkte Folge davon – genau wie die Schwierigkeiten der zögerlichen deutschen Autohersteller.

Tesla ist im Preis-Fortschritts-Verhältnis noch immer ein wesentlicher Massstab, deshalb werden die Modelle gut verkauft. Aber man kann auch seinen alten Verbrenner weiterfahren und einen Rechtfertigungsaufkleber draufpappen: «Ich habe dieses Auto gekauft, bevor ich wusste, dass der Klimawandel real ist.» Damit würde man dann selbst zum Troll im Trump-Gefolge.

Nein. Wer einen Tesla kauft, unterstützt Trump.

Andreas Remien

Reichweite, Beschleunigung, Design, viel Platz im Kofferraum – ein Tesla ist nach solchen Kriterien offensichtlich ein Elektroauto, das Spass machen kann. Die Marke stand einst für einen ökologischen und disruptiven Fortschritt, heute steht sie vor allem für Elon Musk. Der Tesla-Chef ist gerade dabei, Donald Trump ins Weisse Haus zu verhelfen. Spätestens damit ist ein Tesla nicht mehr nur ein technisches, sondern auch ein politisches Vehikel. Und Spass macht das nicht.

Mit einem Auto kauft man nicht nur ein Kraftfahrzeug, sondern auch ein Produkt mit einem Image, einem Statement, manchmal einer Emotion. Und Tesla ist keine Automarke wie jede andere. Wer ist gerade Chef oder Chefin von Ford, Toyota oder Volkswagen? Da müssten die meisten Menschen wohl erst mal nachschauen. Tesla dagegen ist Musk. Die Personifizierung eines Unternehmens dieser Grösse ist in der Gegenwart beispiellos. Die Person lässt sich nicht von der Marke trennen und die Marke nicht von ihrem Produkt. Wem es nicht gänzlich egal ist, von wem er was kauft und was er fährt, muss seinen Blick auf Musk richten.

Die Politisierung von Tesla hat eine neue Stufe erreicht

In den vergangenen Monaten schwadronierte der Tesla-Chef auf seinem Kurznachrichtendienst X über Attentatsversuche auf Kamala Harris und Joe Biden und prophezeite Grossbritannien einen Bürgerkrieg. Die Plattform X hat er unter dem Deckmantel der Redefreiheit zu einer Kloake für Desinformation und – vorwiegend rechtsextremistische – Hetzkommentare gemacht. Der sagenhaft reiche Technolibertär torpediert weltweit Arbeitnehmerrechte (zuletzt in Schweden) und spottet öffentlich über ehemalige Mitarbeiter. Schon das reicht eigentlich aus, um Tesla nicht gerade für eine sympathische Automarke zu halten.

Mit der massiven Einmischung Musks in den US-Präsidentschaftswahlkampf erreicht die Politisierung Teslas eine neue Stufe. Mit seinen Elektroauto-Milliarden finanziert er nun einen Kandidaten, der eine Gefahr für das demokratische System, die globale Sicherheitsordnung und den sozialen Frieden Amerikas ist. Wer einen Tesla kauft, unterstützt Trump, einen misogynen, lügenden, verurteilten Straftäter. Das soll Spass machen?

Republican presidential nominee former President Donald Trump, left, claps as Tesla and SpaceX CEO Elon Musk prepares to depart after speaking at a campaign event at the Butler Farm Show, Saturday, Oct. 5, 2024, in Butler, Pa. (AP Photo/Alex Brandon).Donald Trump

Ob linke Volvo-Fahrer oder die konservative Oberschicht im Benz: Ein Auto konnte schon immer ein politisches Statement sein. Schliesslich ist es kein Wäschetrockner, den man im Keller versteckt, sondern sichtbar im öffentlichen Raum, wo es Botschaften aussenden kann wie ein Stück Mode oder Architektur. Während andere Automarken versuchen, schon aus ökonomischen Gründen so unpolitisch wie möglich zu sein, hat Musk mit seinem bizarren Wahlkampf Tesla zu einem Trump-Vehikel gemacht. Der Künstler und sein Werk, Musk und Tesla, lassen sich nicht voneinander trennen. Nicht, wenn Musk täglich in den Wahlkampf zieht, immer aggressiver und skurriler, zuletzt mit seiner vermutlich rechtswidrigen Aktion, in Swing-States pro Tag eine Million Dollar für Unterzeichner einer Petition zu verschenken, die unter anderem das Recht auf Waffenbesitz sichern soll.

Fraglos hat Musk mit seinem Pioniergeist und seinem Mut zum Unkonventionellen auch seine Verdienste. Bei der Bewertung der gegenwärtigen politischen Handlungen Musks ist es aber völlig irrelevant, wie viele Elektroautos er entwickelt und wie viele Raketen in den Himmel geschossen hat. Ohnehin ist das Modell ultrareicher Konzernchefs, die völlig ohne Legitimation und politischen Diskurs wesentliche Weichen der Gesellschaft nach ihrer eigenen Gebrauchsanleitung stellen wollen, demokratietheoretisch höchst diskutabel. Was technologisch ein Fortschritt sein mag, ist gesellschaftlich ein Schritt zurück.

Wer völlig ohne Wertekompass durch die Welt braust, ein gänzlich unpolitischer Mensch ist oder an sein Konsumverhalten grundsätzlich keinerlei ethische Massstäbe anlegt, kann mit einem Tesla unbeschwert Spass haben. Alle anderen Fahrer müssen sich vielleicht nur mit der Weisheit Woody Allens trösten, dass Komödie das Ergebnis von Tragödie plus Zeit ist. Nach 30 Jahren gibt es ein Oldtimerkennzeichen, Elon Musk wird dann 83, Donald Trump 108 Jahre alt sein. Vielleicht ist es in Zukunft spassig, einen Tesla zu fahren. Heute ist es das nicht.