Umsetzung der EnergiestrategieEin bitterer Tag für die Umweltverbände
Weniger Schutz für Biotope, bedrohte Restwassermenge, keine Solarpflicht für alle Neubauten: Eine bürgerliche Mehrheit setzte sich im Ständerat grösstenteils durch.
Die Diskussion über den raschen Zubau von inländischer erneuerbarer Energie besteht zu weiten Teilen aus einem grossen Zielkonflikt: Ist der Schutz von Landschaft und Umwelt oder die Versorgungssicherheit höher zu gewichten?
Am Donnerstag haben jene Kräfte im Ständerat Siege errungen, die eine zuverlässige Produktion für wichtiger halten. Thema des Tages war das Bundesgesetz zur sicheren Stromversorgung mit erneuerbaren Energien, der sogenannte Mantelerlass.
Dieser hat zum Ziel, die Elektrifizierung im Verkehrs- und Wärmesektor umzusetzen, die das Volk 2017 mit seinem Ja zur Energiestrategie 2050 beschlossen hat. Die Vorlage gilt als eine der bedeutendsten, aber auch kompliziertesten der auslaufenden Legislatur.
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Bereits beschlossen sind unter anderem verschiedene Förderinstrumente und der Bau von 15 Wasserkraftprojekten, auf die sich die Wasserwirtschaft und die Umweltorganisationen geeinigt haben. In einigen Punkten sind sich die Parlamentskammern jedoch noch nicht einig.
Weniger Schutz für Biotope
Als «ganz bitter» bezeichnete Jonas Schmid, Sprecher der Umweltorganisation WWF, den Ausgang einer Abstimmung über den Schutz von Biotopen. Der Nationalrat hatte entschieden, dass in Biotopen von nationaler Bedeutung und Wasser- und Zugvogelreservaten weiterhin keine Kraftwerke gebaut werden dürfen. In Gletschervorfeldern, die durch die Klimaerwärmung neu entstehen, und alpinen Schwemmebenen sollen solche jedoch grundsätzlich infrage kommen.
Der Ständerat schwächte dies deutlich ab: Er will, dass Kraftwerke auch erlaubt sind, «wenn lediglich die Restwasserstrecke im Schutzobjekt zu liegen kommt». Das bedeutet: Oberhalb eines Biotops darf gebaut werden. Ein Argument der Befürworter war, dass die verantwortlichen Stellen trotz des Entscheids weiterhin eine Interessenabwägung über den Natur- und Heimatschutz vornehmen müssten.
«Diese Lebensräume sind enorm wichtig für die Biodiversität in der Schweiz, und sie sind komplett abhängig vom Wasser», sagt Schmid. «Dieser Entscheid gefährdet die wertvollsten Naturgebiete der Schweiz.»
Keine Solarpflicht für Neubauten
Anders als der Nationalrat will eine Mehrheit des Ständerats mit Blick auf die Eigentumsfreiheit keine Pflicht einführen, auf neue Gebäude generell Solaranlagen zu bauen. Sie folgte dabei dem zuständigen Bundesrat Albert Rösti, der die Ratsmitglieder bat, «im Sinne der Mehrheitsfähigkeit dieses Gesetzes» zu stimmen. «Sie kennen auch die Kraft des Hauseigentümerverbands», sagte der Energieminister und meinte damit die Gefahr eines Referendums von rechts.
Für den Ständerat soll eine Solarpflicht nur auf neu gebauten Gebäuden mit einer Fläche von über 300 Quadratmetern gelten. Anders als der Nationalrat ist die kleine Kammer auch gegen eine Pflicht, Parkplätze ab einer bestimmten Grösse mit Solarelementen zu überdachen.
Bundesrat soll über Restwasser entscheiden
Im März hatte der Nationalrat entschieden, dass sich bestehende Kraftwerke bis 2035 nicht an eine Erhöhung der Restwassermenge hätten halten müssen, die seit langem geplant ist. Bei der Restwassermenge handelt es sich um eine festgeschriebene Menge an Wasser, das immer aus Wasserspeichern abfliessen muss – unabhängig davon, ob gerade Wasser zur Stromgewinnung durch die Turbinen schiesst. Die Regelung hat unter anderem den Zweck, Fischen die freie Wanderung zu ermöglichen.
Ein wichtiges Argument für die Entscheidung des Nationalrats war gewesen, dass gegenüber der heutigen Situation keine Verschlechterung eingetreten wäre. Mitunter der Fischereiverband hielt allerdings dagegen: Die Situation in Schweizer Flüssen sei heute so prekär, so viele Fischarten seien bedroht, dass eine Erhöhung der Restwassermenge zwingend sei.
Eine Mehrheit der vorberatenden Kommission des Ständerats hatte das auch so gesehen. Sie machte weiter geltend, es handle sich bei der Energiemenge, die sich mit der Massnahme des Nationalrats gewinnen liesse, um einen Tropfen auf den heissen Stein. Tatsächlich liegt das Potenzial bei rund 200 Gigawattstunden pro Jahr; 2021 lieferte die Wasserkraft schweizweit 36,7 Terawattstunden, also knapp 200-mal mehr.
Letztlich stimmte der Ständerat knapp einem kurzfristig eingereichten Kompromissvorschlag von Stefan Engler (Mitte, GR) zu: Mit diesem soll der Bundesrat die Möglichkeit erhalten, bei der Restwassermenge Abstriche zu machen – aber nur dann, wenn die Schweiz ihre Stromproduktionsziele nicht erreicht.
Wenn alles nach Plan läuft, soll der Mantelerlass auf Anfang 2025 umgesetzt werden.
Wie erwartet hat der Ständerat ausserdem die sogenannte Lex Windkraft abgesegnet. Dabei sollen so lange beschleunigte Bewilligungsverfahren zur Anwendung kommen, bis Windenergieanlagen mit der Kapazität von 1 Terawattstunde pro Jahr zugebaut geworden sind.
Allerdings ergänzte der Ständerat die Version des Nationalrats mit einer Einschränkung: Die beschleunigten Verfahren dürfen nur angewendet werden, wenn die betroffenen Gemeinden der Anlage bereits im Rahmen der Nutzungsplanung zugestimmt haben.
Die Vorlagen gehen nun zurück an den Nationalrat. Wenn alles nach Plan läuft, soll der Mantelerlass auf Anfang 2025 umgesetzt werden. Eine mögliche Gefahr dafür stellt das von Bundesrat Rösti angeschnittene Referendum dar: Es droht der Vorlage nicht nur von rechts.
Zwar sagt WWF-Sprecher Jonas Schmid, man unterziehe das Gesetz erst einer Gesamtbetrachtung, sobald das Parlament es abschliessend behandelt habe. Mit den Entscheiden vom Donnerstag ist die Wahrscheinlichkeit, dass die Umweltverbände die getroffenen Lösungen als untauglich erachten, jedoch gestiegen.
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