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«Politischer Dialog» mit der EU
Die Stolpersteine für Cassis beim Neuanfang mit Brüssel

Ignazio Cassis bei seinem letzten Besuch am Sitz der EU-Kommission, damals noch bei seinem bisherigen Gesprächspartner Johannes Hahn. 
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Der Termin hat für Ignazio Cassis grossen symbolischen Wert: Der Bundesrat will demonstrieren, dass in Brüssel der Ärger nach dem Abbruch beim Rahmenabkommen langsam abklingt und die EU-Kommission bereit ist, mit der Schweiz wieder zur Tagesordnung zurückzukehren. Der Aussenminister will mit Vizepräsident Maroš Šefčovič einen «politischen Dialog» beginnen. Für die Schweiz geht es darum, den Spielraum bei den blockierten Dossiers auszuloten, angefangen bei Horizon Europe über den Stromhandel bis hin zu den Medizinalprodukten.

Doch erfüllen sich die Erwartungen, und wird sich die EU auf einen Dialog ohne klaren Fahrplan einlassen? Auf Ignazio Cassis wartet eine Reihe von Stolpersteinen. Auch hat er seinen Gesprächspartner mit undiplomatischen Äusserungen in einem Interview mit der NZZ vor den Kopf gestossen. Die EU-Kommission funktioniere «technokratisch», sagte Cassis unter anderem. Kein Wunder, verzichtet Gastgeber Šefčovič auf den sonst üblichen gemeinsamen Medienauftritt mit dem Schweizer Besucher.

Der politische Dialog

Maroš Šefčovič, Vizepräsident der EU-Kommission, ist neuer Gesprächspartner für Ignazio Cassis. Der Slowake kümmert sich auch um die schwierigen Beziehungen mit London nach dem Brexit. 

Maroš Šefčovič gilt als freundlich und umgänglich. Er hat aber auch klar signalisieren lassen, dass er mit dem Schweizer Besucher «keinen Dialog um des Dialoges willen» führen wird: Aussenminister Cassis müsse mit einem klaren Plan und mit einer Roadmap kommen, wie er die institutionellen Fragen lösen wolle, so die Ansage in Brüssel. Diese Message hat auch die Aussenpolitische Kommission des Nationalrates (APK-N) laut Präsidentin Tiana Moser bei ihrer Informationsreise vergangene Woche in Brüssel vermittelt bekommen.

Der «politische Dialog», den der Bundesrat mit Brüssel führen will, könnte also rasch wieder zu Ende sein. «Ich gehe nach Brüssel, um Herrn Šefčovič kennen zu lernen und gemeinsam mit ihm eine Standortbestimmung vorzunehmen», sagte der Aussenminister im Interview mit der NZZ. Er will dem Slowaken zudem erklären, dass die Schweiz aus innenpolitischen Gründen nicht in Hektik verfallen könne.

Cassis bestätigt damit Befürchtungen in Brüssel, dass die Schweiz weiter auf Zeit spielen will. Dass es also vor den eidgenössischen Wahlen 2023 keine Bewegung geben dürfte. Ein Jahr später läuft dann allerdings auch das Mandat von Ursula von der Leyen aus. Die Kommissionschefin und ihr Vize werden angesichts dieser Perspektive nicht bereit sein, viel politisches Kapital in die Gespräche mit der Schweiz zu investieren.

Schweizer Kohäsionsbeitrag

Mit Mitteln aus der ersten Kohäsionsmilliarde hat die Schweiz zum Beispiel die duale Berufsbildung in einer Berufsschule für Lebensmittelverarbeitung in der Slowakei unterstützt. 

Der Streit um den zweiten Kohäsionsbeitrag der Schweiz zeigt, wie verfahren die bilaterale Beziehung zwischen der Schweiz und der EU ist. Das Parlament hat zwar im zweiten Anlauf die 1,3 Milliarden Franken zugunsten der ärmeren EU-Staaten freigegeben. Doch zuletzt stand ein neuer Konflikt um ein sogenanntes Memorandum of Understanding (MoU) einer raschen Auszahlung im Weg. Die EU-Kommission wollte im MoU festschreiben, dass der Schweizer Kohäsionsbeitrag das Zugangsbillett für den Binnenmarkt ist und damit regelmässig bezahlt werden soll. Brüssel verweist da auf die EWR/Efta-Staaten Norwegen, Island und Liechtenstein.

Die Schweiz stellt sich auf den Standpunkt, dass der Beitrag freiwillig ist und Zahlungen auch in Zukunft Verhandlungssache sind. Es gibt Anzeichen, dass die EU auf die umstrittene Formulierung vorerst verzichtet. Ignazio Cassis könnte dann immerhin einen kleinen Erfolg nach Hause bringen. Brüssel will aber die Forderung nach regelmässigen Schweizer Kohäsionsbeiträgen bei der nächsten Gelegenheit wieder aufbringen.

Horizon Europe

Die ETH und überhaupt Schweizer Forschungseinrichtungen drohen den Anschluss an das EU-Forschungsprogramm Horizon Europe zu verlieren. 

Bundesrat Ignazio Cassis wird in Brüssel auf eine Vollassoziierung der Schweiz beim 95 Milliarden Euro schweren Forschungsprogramm Horizon Europe drängen. Doch eine Entspannung ist nicht in Sicht. Die Schweizer Forschenden zahlen den Preis für den Abbruch der Verhandlungen über das Rahmenabkommen. Die Ausgangslage habe sich verhärtet, konstatierte die Aussenpolitische Kommission des Nationalrates (APK-N) vergangene Woche nach den Gesprächen in Brüssel. APK-N-Präsidentin Tiana Moser sprach von einer «merklichen Verstimmung»: Die EU verknüpfe neu Marktzugangs- mit Kooperationsfragen.

Brüssel pocht bisher vergeblich auf klare Spielregeln für den sektoriellen Zugang der Schweiz zum EU-Binnenmarkt und erhöht jetzt den Druck: Solange die Schweiz nicht mit Vorschlägen kommt, wie die Fragen der Streitschlichtung, der dynamischen Rechtsübernahme und der Staatsbeihilfen geregelt werden können, blockiert die EU auch Kooperationsabkommen wie jenes für Horizon Europe. Dass die EU-Kommission damit dem europäischen Forschungsplatz und proeuropäischen Kräften in der Schweiz schadet, ist eine andere Frage.

Das Stromabkommen

Die Schweiz ist wichtige Stromdrehscheibe für ganz Europa.  

Bundesrat Cassis könnte beim Gespräch mit Šefčovič sondieren, wie die Chancen für ein separates Stromabkommen stehen. Schliesslich geht in der Schweiz die Angst vor Stromknappheit um. Auch ein Gesundheitsabkommen steht auf der Schweizer Wunschliste. In der Corona-Krise ist deutlich geworden, wie wichtig eine gesicherte grenzüberschreitende Zusammenarbeit wäre. Die Idee einer Paketlösung ist deshalb wieder auf dem Tisch. Zwar macht die EU neue Marktzugangsabkommen bekanntlich von einem Rahmenabkommen abhängig. So zumindest bisher die Brüsseler Doktrin. Aus Schweizer Sicht scheint es immer einen Versuch wert, hier Spielraum auszuloten.

Cassis hat sich zuletzt bemüht, in bilateralen Gesprächen mit Aussenministern der EU-Länder die «Grosswetterlage» positiv zu beeinflussen. Schliesslich kann es nicht im Interesse der EU sein, die Schweiz etwa von ihrem Strombinnenmarkt ganz abzukoppeln. Wichtige Hochspannungsleitungen zwischen Nord- und Südeuropa führen durch die Schweiz. So zumindest die Schweizer Überlegungen. Demnach könnten horizontale Fragen wie die Streitschlichtung oder die dynamische Rechtsübernahme auch spezifisch für die Strombranche in sektoriellen Abkommen geregelt werden. Die EU hat ähnliche Vorstösse allerdings in der Vergangenheit schon als «Rosinenpickerei» abgelehnt. Eher unwahrscheinlich, dass es Cassis gelingen wird, diese Doktrin schnell aufzuweichen.