Versorgungssicherheit gefährdetSchon in wenigen Jahren könnte der Strom knapp werden
Findet die Schweiz keine Lösung mit der EU und baut auch die eigene Stromproduktion nicht aus, dann ist die Versorgungssicherheit gefährdet. Das zeigt nun auch eine Analyse im Auftrag des Bundes.
Im Winter ist die Schweiz stets auf Stromimporte angewiesen. Künftig dürfte der Bedarf wegen der Dekarbonisierung noch zunehmen. In den vergangenen Jahren vertraute der Bund in seinen Strategien darauf, dass der grenzüberschreitende Markt spielen würde. Doch die Rahmenbedingungen haben sich geändert: Es drohen Importschwierigkeiten.
Ohne institutionelles Rahmenabkommen will die Europäische Union kein Stromabkommen mit der Schweiz abschliessen. Das ausgehandelte Stromabkommen liegt deshalb auf Eis. Inzwischen ist es ohnehin überholt, denn seit 2020 sind in der EU neue Regeln in Kraft: Die EU-Länder müssen mindestens 70 Prozent der grenzüberschreitenden Kapazitäten für den Handel zwischen EU-Mitgliedstaaten reservieren, spätestens ab 2025.
Damit droht die Gefahr, dass die Schweiz deutlich weniger Strom importieren kann. Ausserdem könnten durch eine Zunahme des Handels innerhalb der EU ungeplante Stromflüsse durch die Schweiz zunehmen und die Netzstabilität gefährden. Im Auftrag des Bundes hat das Beratungsunternehmen Frontier Economics nun untersucht, was das für die Schweiz bedeuten könnte. Das Ergebnis, das der Bundesrat am Mittwoch zur Kenntnis genommen hat: Ohne Vereinbarungen – zumindest auf technischer Ebene mit Nachbarländern – wird es kritisch.
Untersucht wurden drei Szenarien für das Jahr 2025.
Szenario 1: Keine Kooperation
Zwischen der Schweiz und der EU gibt es keine Kooperation. Die Nachbarländer halten die 70-Prozent-Regel ein, indem sie die Übertragungskapazität zur Schweiz einschränken. Im Normalfall wäre die Netz- und Versorgungssicherheit zwar gewährleistet. In einer Stresssituation mit Kraftwerksausfällen könnte aber der inländische Strombedarf nicht mehr gedeckt werden. Zudem drohen negative Auswirkungen auf die Wohlfahrt der Schweiz.
Szenario 2: Technische Vereinbarungen
Die Netzbetreibergesellschaft Swissgrid schliesst technische Vereinbarungen mit den europäischen Netzbetreibern ab. Diese gewährleisten, dass die Bedürfnisse der Schweiz bei der Umsetzung der 70-Prozent-Regel berücksichtigt werden. Damit könnten auch Worst-Case-Situationen bewältigt werden. Die Versorgungssicherheit wäre gewährleistet, die Netzbetriebssicherheit – mit hohem Aufwand – ebenfalls. Ob solche Vereinbarungen rechtzeitig realisiert werden können, ist offen. Weil sich Probleme in der Schweiz auch auf andere Länder auswirken würden, dürfte eine vertraglich abgesicherte technische Zusammenarbeit aber auch im Interesse der EU liegen.
Szenario 3: Stromabkommen mit der EU
Die Schweiz und die EU schliessen ein Stromabkommen ab, das der Schweiz ermöglicht, gleichberechtigt am EU-Strombinnenmarkt teilzunehmen. Das wäre der sicherste Weg. Ob und wann ein solches Abkommen abgeschlossen werden kann, ist aber ungewiss.
Mehr Strom produzieren
Das Fazit der Studie: Um auch in den kommenden Jahren eine sicherere Stromversorgung zu gewährleisten, müssen zumindest die bestehenden Vereinbarungen mit Nachbarländern weiterentwickelt werden.Zum selben Schluss kommen die Eidgenössische Elektrizitätskommission (Elcom) und Swissgrid: Der Abschluss von privatrechtlichen, technischen Vereinbarungen zwischen Swissgrid und den Netzbetreibern in der EU habe Priorität, schreiben sie in einem Bericht, den der Bundesrat ebenfalls am Mittwoch zur Kenntnis genommen hat.
Daneben empfehlen Elcom und Swissgrid, die Umsetzung bereits beschlossener Massnahmen zu beschleunigen. Bis im November wird die Elcom ausserdem ein Konzept für den Bau eines Gaskraftwerks vorlegen.
Der Bundesrat will auf Basis der Berichte die nächsten Schritte vorbereiten. Im Sommer hatte er das Stromversorgungsgesetz ans Parlament überwiesen. Vorgesehen sind darin der Ausbau der Speicherwasserkraft, die Schaffung einer Energiereserve und die Förderung des Ausbaus erneuerbarer Energien.
Am falschen Ort investiert
Das Departement von Energieministerin Simonetta Sommaruga weist in den Unterlagen darauf hin, dass primär die Stromunternehmen in der Verantwortung stehen. Im Energiegesetz steht: «Die Energieversorgung ist Sache der Energiewirtschaft. Bund und Kantone sorgen für die Rahmenbedingungen, die erforderlich sind, damit die Energiewirtschaft diese Aufgabe im Gesamtinteresse optimal erfüllen kann.» Ist die sichere und erschwingliche Stromversorgung gefährdet, kann der Bundesrat jedoch eingreifen und Massnahmen anordnen – auch daran erinnert das Departement.
Die Stromunternehmen haben in den vergangenen Jahren beträchtlich in den Ausbau erneuerbarer Energien investiert – allerdings im Ausland. Gemäss einer Erhebung von «Energie Zukunft Schweiz» beliefen sich die Investitionen der Schweizer Energieversorger bis Ende 2019 auf eine Jahresproduktion von 11,5 Terawattstunden.
Zum Vergleich: Die Atomkraftwerke Beznau I und II erzeugen im Jahr 5 Terawattstunden Strom, das stillgelegte Atomkraftwerk Mühleberg produzierte 3 Terawattstunden. Der Ausbau der erneuerbaren Energien geht also voran. Eine sichere Versorgung würde aber unter den neuen Voraussetzungen mit möglichen Importbeschränkungen nur der Ausbau im Inland gewährleisten.
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