Schweiz-EUIgnazio Cassis versucht in Brüssel den Neustart
Bundesrat Ignazio Cassis will am Montag bei seinem ersten Besuch seit dem Abbruch der Verhandlungen zum Rahmenabkommen mit Vizekommissionschef Maros Sefcovic einen «politischen Dialog» beginnen. Wie sind die Chancen?
Ein gemeinsamer Auftritt vor den Medien wäre immerhin ein Signal: Das Bild könnte für den Neuanfang mit Brüssel stehen, den Bundesrat Ignazio Cassis nach dem Abbruch beim Rahmenabkommen anstrebt. Der Aussenminister könnte das als persönlichen Erfolg vermelden. Doch die EU spielt nicht mit. Vizekommissionschef Maros Sefcovic wird nach dem gut einstündigen Tête-à-Tête am Sitz der Brüsseler Behörde allein vor die Medien treten. Der Schweizer Aussenminister wird wenig später in der Botschaft an der Place Luxembourg separat seine Version über den Auftakt des «politischen Dialogs» präsentieren.
Weshalb die getrennten Auftritte? In Brüssel will man zuerst sehen, wie gross die Gemeinsamkeiten sind. Im Vorfeld sind die Erwartungen jedenfalls sehr unterschiedlich. Der Ball sei im Feld der Schweiz, heisst es von EU-Seite. Man sei offen für den Dialog, wolle aber nicht «reden, um zu reden». Ignazio Cassis müsste also mit einem klaren Fahrplan kommen, wenn sein «politischer Dialog» eine Zukunft haben und es nicht bei dem einen Termin bleiben soll. Den klaren Fahrplan wird der Bundesrat aber nicht bieten können. Die Schweiz will zumindest bis zu den Wahlen 2023 möglichst vage bleiben.
Nur keine Hektik
Ignazio Cassis wertet allein die Tatsache, dass er in Brüssel nun einen Ansprechpartner hat, schon als positives Zeichen. Er gehe nach Brüssel, um Herrn Sefcovic kennen zu lernen und gemeinsam mit ihm eine Standortbestimmung vorzunehmen, sagte Cassis in einem Interview mit der NZZ. Und er wolle ihm erklären, dass die Schweiz aus innenpolitischen Gründen nicht in Hektik verfallen könne. Die Schweiz müsse zuerst herausfinden, was sie wolle und welchen Preis sie zu zahlen bereit sei.
Aus Schweizer Sicht wäre es als Erfolg zu werten, wenn Sefcovic zu regelmässigen Treffen bereit wäre. Das Problem: Sefcovic dürfte sich nur darauf einlassen, wenn Cassis signalisiert, dass die Schweiz den Faden bei den Streitthemen des Rahmenabkommens neu aufnehmen will. Die Befürchtung sei gross, dass die Schweiz wieder auf Zeit spielen wolle, sagen EU-Diplomaten. Doch die institutionellen Fragen hätten sich nicht in Luft aufgelöst. Cassis müsse eine Roadmap präsentieren, wie er die Konfliktpunkte von der Streitschlichtung bis hin zur dynamischen Rechtsübernahme lösen wolle.
Aus innenpolitischen Gründen kann Cassis aber nicht konkret werden. Im Bundesrat gibt es Befürchtungen, der Tessiner könnte der EU zu viel in Aussicht stellen. Diskutiert wurde in der Schweiz zuletzt über die Idee, die institutionellen Aspekte in einzelnen Abkommen wie etwa zum Strom zu lösen. Bundespräsident Guy Parmelin sagte diese Woche gegenüber Medien in Brüssel, das sei «sehr gut vorstellbar». Brüssel hat ähnliche Vorschläge in der Vergangenheit allerdings dezidiert als «Rosinenpickerei» abgelehnt.
Zurück zu Horizon?
Cassis wird beim Treffen in Brüssel darauf drängen, dass die Schweiz bei Horizon Europe wieder voll mitmachen kann. Immerhin hat das Parlament die zweite Kohäsionsmilliarde freigegeben. Auch ein Konflikt um die Modalitäten der Auszahlung scheint ausgeräumt. Zumindest gibt es Anzeichen dafür, dass es hier zu einer Einigung kommen könnte.
Allerdings hat die EU inzwischen den Einsatz erhöht und knüpft eine Rückkehr der Schweiz zum europäischen Forschungsprogramm neu ebenfalls an die institutionellen Fragen. Die Ausgangslage habe sich verhärtet, konstatierte die Aussenpolitische Kommission des Nationalrates vergangene Woche nach einer Informationsreise in Brüssel. Die EU verknüpfe neu Marktzugangsfragen auch mit Kooperationsfragen wie der Forschung.
Zusätzlich irritiert haben in Brüssel andere Äusserungen im Interview mit der NZZ: Die Schweiz dürfe in der Europapolitik nicht noch einmal in die gleiche Falle tappen, sagte Cassis. Wer genau die Falle gestellt hat, lässt der Bundesrat zwar offen, stellt aber seinen Gesprächspartner Maros Sefcovic implizit als «Technokraten» dar. Kein Wunder, will der Slowake am Montag auf den gemeinsamen Presseauftritt mit dem Schweizer Besucher verzichten.
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