Streitgespräch im «Kaufleuten»Die Polizei, dein Freund, Helfer und «Big Brother»?
Der Einsatz von automatisierter Gesichtserkennung ist umstritten – und gesetzlich nicht abschliessend geklärt. Darüber diskutierten auf einem «Tages-Anzeiger»-Podium Politiker und Fachleute.
Einzelne Kantonspolizei-Korps verwenden sie schon, die Bundespolizei will sie jetzt auch einsetzen, um Jagd auf Verbrecher zu machen: die automatisierte Gesichtserkennung. Das erinnert an die Schreckvorstellung des Romans «1984», in dem ein allmächtiger und allwissender «Big Brother» ein Volk Tag und Nacht und selbst im Privaten lückenlos überwacht.
Zu dem Thema diskutierten gestern Abend auf Einladung des «Tages-Anzeigers» und der Stiftung TA-Swiss im Kaufleuten Fachleute und Politiker über die gesellschaftlichen Auswirkungen lückenloser Videoüberwachung.
«Da stehen sich unsere beiden zentralen Werte – Sicherheit und Freiheit – diametral gegenüber.»
Das Problem ist noch so neu und parlamentarisch unbeackert, dass Camille Lothe, Präsidentin der Stadtzürcher SVP, zu Beginn gleich erfrischend ehrlich zugab, ihre Partei habe dazu noch keine Position bezogen: «Da stehen sich unsere beiden zentralen Werte – Sicherheit und Freiheit – diametral gegenüber.»
Etwas weiter sind die Grünen. Ihr Präsident und Nationalrat Balthasar Glättli sagte: «Es darf nicht sein, dass die technische Machbarkeit die Anwendung dieser Technologie bestimmt.» Darum sei eine politische Diskussion dringend nötig. Es ist für Glättli «erschreckend», dass automatisierte Gesichtserkennung angewendet wird, bevor die gesetzlichen Grundlagen ausdiskutiert und beschlossen sind.
«Die Frage ist ja immer auch, ob die Technik hält, was sie verspricht.»
Einer, der Gesichtserkennung bereits einsetzt, ist Stefan Kühne, Leiter der Kriminalpolizei der Kantonspolizei St. Gallen. Er widersprach: Der Abgleich von Bildern aus den Überwachungsfotos mit einer Bilderdatenbank von Verdächtigen sei durch heutige Gesetze klar gedeckt. «Und man darf sich nicht vorstellen, dass wir laufend Personen bei der Videoüberwachung identifizieren können.»
Das sei nicht nur verboten, sagte Kühne, sondern auch mit heutigen polizeilichen Mitteln gar nicht möglich. «Das generiert so viele Daten – gute Nacht!»
Auf die technischen Limiten wies auch Bruno Baeriswyl hin, der ehemalige Datenschützer des Kantons Zürich und heutige Präsidenten von TA-Swiss: «Die Frage ist ja immer auch, ob die Technik hält, was sie verspricht – und nicht etwa Ergebnisse generiert.» Wie immer in der Polizeiarbeit gelte: Der Einsatz der Mittel müsse verhältnismässig sein.
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