Alarmierende RekordtemperaturDie aktuelle Erwärmung der Weltmeere übertrifft alles bisher Dagewesene
Mehr als 21 Grad Ende April – das gab es seit Beginn der Satellitenaufzeichnungen noch nie. Welche Folgen die Erwärmung für das Wetter in diesem Jahr haben könnte.
Klimaforscherinnen und -forscher reiben sich verwundert die Augen. Dass sich die Weltmeere kontinuierlich erwärmen, vermag sie kaum noch zu überraschen. Doch die Zahlen in diesem Jahr übertreffen alles bisher Dagewesene. «Das System scheint ausser Kontrolle zu geraten», sagte die Ozeanografin Sabrina Speich zur Zeitung «Le Monde».
Seit 33 Tagen ist die globale Durchschnittstemperatur an der Meeresoberfläche nicht unter 21 Grad gefallen, wie Daten der amerikanischen Wetter- und Ozeanografiebehörde NOAA zeigen. Das gab es seit Beginn der Satellitenaufzeichnungen 1981 noch nie. Normalerweise beginnt ab Mitte März eine Phase der Abkühlung. Nun haben wir Ende April, und es gibt noch keine Anzeichen für einen Rückgang der Temperatur.
Seit Anfang Jahr waren die Ozeane durchschnittlich 20,84 Grad warm. Nur im aussergewöhnlichen Hitzejahr 2016 wurde im selben Zeitraum noch eine minimal höhere Temperatur registriert. Völlig aus dem Rahmen fällt der aktuelle Monat: Die 21,03 Grad, die bis zum 24. April gemessen wurden, übertreffen den bisherigen Höchstwert aus dem Jahr 2020 deutlich.
2020 entwickelte sich danach zum wärmsten Jahr überhaupt mit einer durchschnittlichen Meeresoberflächentemperatur von fast 20,7 Grad. Dieser Rekord könnte 2023 pulverisiert werden.
Wie aussergewöhnlich die Situation derzeit ist, zeigt auch der Vergleich mit derselben Woche des Vorjahres. Dabei war 2022 schon ein extrem heisses Jahr: Vier von sieben Weltmeeren erreichten neue Höchstwerte. Im Mittelmeer kam es bereits im Juni zu einer sogenannten «marinen Hitzewelle», bei der überdurchschnittlich starke Wärme über mehrere Tage hinweg herrschte. In der zweitletzten Aprilwoche war es global betrachtet aber längst nicht so warm wie 2023.
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Aktuell zeigen Satellitenbeobachtungen, dass es weltweit aktive «marine Hitzewellen» gibt, darunter im südlichen Indischen Ozean, im Südatlantik, vor Nordwestafrika, um Neuseeland, vor dem Nordosten Australiens und westlich von Mittelamerika. «Es ist ungewöhnlich, so viele extreme Hitzewellen zur gleichen Zeit zu beobachten», erklärte der Ozeanograf Alex Sen Gupta dem «Guardian».
Noch spezieller ist die Situation aufgrund der Tatsache, dass sich der Planet momentan in einer «neutralen» Phase des Enso-Pänomens (El Niño Southern Oscillation) befindet, welches das Klima entscheidend beeinflusst. Eine dreijährige La-Niña-Wetterlage im Pazifischen Ozean, die in der Regel die globalen Temperaturen leicht absenkt, ist gerade zu Ende gegangen. Nun bahnt sich ein starker El Niño an, der das Gegenteil bewirkt.
2016 war wegen El Niño das wärmste Jahr seit Beginn der Aufzeichnungen. Und selbst in den letzten Jahren ohne dieses Phänomen hat der Klimawandel zu extremen Temperaturen geführt. Kommen beide Faktoren zusammen, könnte die Welttemperatur bald ein besorgniserregendes neues Niveau erreichen. «Wenn sich El Niño entwickelt, ist die Wahrscheinlichkeit gross, dass es 2023 noch heisser wird als 2016», sagte die Physikerin und Klimatologin Friederike Otto gegenüber der Nachrichtenagentur Reuters.
Der Anstieg der Meerestemperaturen hat direkte Auswirkungen auf das Klima: Wärmeres Wasser führt zu einer Zunahme von Stürmen und anderen Wetterextremen. Zudem nimmt es mehr Raum ein – bekannt als thermische Ausdehnung – und kann das Abschmelzen von Gletschern aus Grönland und der Antarktis, die in die Ozeane fliessen, erheblich beschleunigen. Dadurch steigt der Meeresspiegel weltweit an, was die Gefahr von Überschwemmungen an den Küsten erhöht.
Im Meer selbst haben die anhaltenden Hitzewellen bereits verheerende Auswirkungen auf die dortige Tier- und Pflanzenwelt. Viele Korallenriffe, die zu den artenreichsten und ältesten Ökosystemen unseres Planeten gehören, werden zerstört.
Und wärmere Gewässer haben auch eine geringere Fähigkeit, CO₂ zu absorbieren. Mehr als 90 Prozent der zusätzlichen Wärme durch die Treibhausgase im Klimasystem nehmen die Ozeane auf. Wenn die Weltmeere in Zukunft weniger absorbieren, sammelt sich mehr davon in der Atmosphäre an – was zu einer weiteren Erwärmung der Luft und der Meere führt.
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