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Hurrikans, Starkregen, Megadürren
Wie La Niña das Weltwetter durcheinander­wirbelt

Kaum ein Flecken blieb im März nahe der australischen Stadt Brisbane von Überschwemmungen verschont.
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Das Wetter rund um den Globus scheint seit Wochen verrückt zu spielen. In Somalia blieb die Regensaison aus, ganze Ziegenherden sind verendet, es droht eine Hungerkatastrophe. In Kolumbien lösten Starkregenfälle einen Erdrutsch aus, der mehrere Kinder unter sich begrub. Und der Südwesten der USA erlebt eine Megadürre, die Stauseen wie den Lake Mead auf den tiefsten Pegelstand seiner Geschichte hat fallen lassen.

Man könnte diese Aufzählung an ungewöhnlichen Wetterkapriolen fortsetzen, etwa mit dem Südosten Australiens, der seit März 2021 wiederholt ungewöhnlich heftigen Regenfällen ausgesetzt ist, die vier grosse Überschwemmungen ausgelöst und Milliarden Dollar an Schäden verursacht haben. Oder damit, dass Experten eine besonders starke Hurrikan­saison für den Südosten der USA voraussagen, mit möglicherweise sechs Wirbelstürmen der höchsten Kategorien 3 bis 5. All diese Extreme scheinen unabhängig voneinander aufzutreten, und doch steckt hinter ihnen ein Wetterphänomen, das sie alle verstärkt.

Winde peitschen warmes Oberflächenwasser nach Westen

Es heisst La Niña (Spanisch für «das Mädchen»). Dabei verstärken sich die Passatwinde entlang des Äquators im Pazifik und peitschen das warme Oberflächenwasser von Osten nach Westen. Damit bewirken sie in Südostasien tropische Regenfälle. Vor der Küste Perus wiederum steigen kalte, nährstoffreiche Wassermassen auf und ersetzen das warme Wasser. Der Ostpazifik kühlt sich ab, und das Wetter wird trockener.

Flauen die Passatwinde hingegen wieder ab, was etwa alle drei bis sieben Jahre vorkommt, strömt das nährstoffreiche Tiefenwasser vor der Küste Perus nicht mehr empor, und die Fischbestände schrumpfen erheblich. El Niño («der Junge» oder «das Christkind») haben die Fischer Perus dieses Phänomen getauft, da sich das Meerwasser vor der Küste häufig um die Weihnachtszeit zu erwärmen beginnt.

Obwohl La Niña ein regionales Wetter­phänomen ist, verändert es Wind­systeme und Niederschlags­muster auf der ganzen Welt.

El Niño und La Niña sind wie Bruder und Schwester, zwei Phasen einer komplexen Atmosphäre-Ozean-Dynamik namens El Niño-Südliche Oszillation (Enso), die wichtigste Schwankung zwischen einzelnen Jahren im Klimasystem der Erde. Normalerweise hält La Niña nur einen oder zwei Winter in Folge an. Diesmal begann La Niña allerdings schon im September 2020 und könnte der US-Wetterbehörde NOAA zufolge mit einer 50-prozentigen Wahrscheinlichkeit sogar bis ins Jahr 2023 hineinreichen. Es wäre erst das dritte Mal seit 1950, dass es zu solch einem Triple-Ereignis kommt.

Obwohl La Niña ein regionales Wetterphänomen ist, verändert es wie auch El Niño Windsysteme und Niederschlagsmuster auf der ganzen Welt. Das hängt mit der Grösse des Pazifiks zusammen, der rund ein Drittel der Erdoberfläche einnimmt. Verschiebt sich dort die Wechselwirkung zwischen Ozean und Atmosphäre, hat das Einflüsse weit über die Region hinaus.

Alarmierende Dürre im US-Bundesstaat Virginia, Juli 1999: Die Dulles Greenway Wetlands werden ihrem Namen nicht mehr gerecht.

Besonders eindrücklich war das in den Jahren 1998 und 1999 zu sehen: Im Südwesten der USA entfaltete sich eine der schwersten Dürren in der Geschichte des Landes. Durch Sturzfluten und Erdrutsche starben in Venezuela Zehntausende Menschen. In China mussten infolge von Stürmen und Überschwemmungen 200 Millionen Menschen in Sicherheit gebracht werden. Und in Bangladesh stand mehr als die Hälfte der Landesfläche unter Wasser; 30 Millionen Menschen waren betroffen, Tausende starben.

Indirekter Einfluss auf Hitzewellen in Europa

Auch in diesem Jahr treten ungewöhnliche Extremwetterereignisse auf, die Wissenschaftler mit La Niña in Zusammenhang bringen. Wie die Überschwemmungen in Australien: Wenn die Passatwinde warmes Oberflächenwasser vom Osten des Pazifiks nach Westen drücken, verdunstet vor der Ostküste Australiens mehr Wasser. Dank konvergierender Winde steigt die feuchte Luft über dem Land auf, und es türmen sich Regenwolkenberge auf, die sich über dem Norden und Osten des Kontinents entladen.

«La Niña verursacht keine einzelnen Regenfälle, erhöht aber die Wahrscheinlichkeit regentragender Wettersysteme über Ostaustralien», erklärt die Atmosphärenwissenschaftlerin Kimberley Reid von der Monash-Universität in Australien. Ausserdem seien nach zwei La-Niña-Jahren die Flüsse und Stauseen gefüllt, und der Boden habe sich mit Wasser vollgesaugt. «Daher kann jedes mässige bis starke Regenereignis zu Überschwemmungen führen.» Inzwischen hat die Wetterbehörde Australiens La Niña zwar für beendet erklärt, weist allerdings darauf hin, dass sich das Wetterphänomen später im Jahr wieder einstellen könnte.

«Die Hitzewellen wie jetzt in Europa werden mit Sicherheit auch von La Niña beeinflusst.»

Klimaforscher Anders Levermann

Für die USA wiederum spielt das beständige Hochdrucksystem im nördlichen Pazifik eine grössere Rolle, das typisch für La-Niña-Bedingungen ist. Es sorgt dafür, dass sich der Südwesten erwärmt und anfällig für Dürren und Waldbrände wird, während sich der Norden abkühlt und mehr Niederschläge abbekommt.

Mit den Hitzewellen, die Europa zuletzt im Griff hatten, scheint La Niña höchstens indirekt etwas zu tun zu haben. «Diese wurden getrieben vom Jetstream», erklärt der Physiker und Klimaforscher Anders Levermann vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung. Also dem Band von Höhenwinden, das Hochs und Tiefs von West nach Ost über die Erde schiebt. Wenn dieses schwächelt, manchmal fast stehen bleibt und starke Wellen schlägt, kann das zu extremen Wetterumschwüngen führen und zum Beispiel extreme Hitzewellen ermöglichen. «Die Hitzewellen wie jetzt in Europa werden mit Sicherheit auch von La Niña beeinflusst», sagt Levermann. «Etwaige Kopplungen müssen wir allerdings erst noch verstehen.»

In ferner Zukunft könnte La Niña die Oberhand gewinnen 

Die spannende Frage ist, ob auch der Klimawandel La Niña beeinflusst. Fachleute um Wenju Cai von der australischen Wissenschaftsbehörde Csiro haben genau das mithilfe von Klimamodellen berechnet. Extreme La-Niña-Ereignisse würden in diesem Jahrhundert im Schnitt fast doppelt so häufig auftreten wie im vorigen Jahrhundert, schrieben sie im Jahr 2015 im Fachblatt «Nature Climate Change». Und begründen das unter anderem damit, dass sich die Landflächen Südostasiens, Indonesiens und der Philippinen schneller erwärmen als der mittlere Pazifik. Dieser Temperaturgradient könnte die Ostwinde ankurbeln, von denen La Niña abhängt.

Aber auch eine Zunahme von extremen El-Niño-Jahren aufgrund des Klimawandels könnte die Bedingungen für intensivere La-Niña-Ereignisse verstärken. Denn La Niña schliesst sich häufig unmittelbar an extreme El-Niño-Jahre an, wie im Jahr 1998. Bewahrheitet sich dieses Szenario, würden in Zukunft extreme Wetterbedingungen zunehmen und «das Pendel von gegensätzlichen Extremen häufiger umschwingen», so die Autoren. Ein Familientreffen mit Eskalationspotenzial.

In ferner Zukunft könnte La Niña sogar die Oberhand gewinnen und zum Normalfall werden. Die Erklärung für diese Theorie findet sich im hohen Norden: Weil Grönland grosse Mengen an Eis verliert, schwächt sich die Atlantische Umwälzströmung ab, zu der der Golfstrom gehört. Mehr Hitze staut sich deshalb im tropischen Südatlantik.

Würde sich die Umwälzströmung weiter abschwächen und irgendwann ganz zusammenbrechen, könnte dies Luftdruckveränderungen auslösen, die letztlich die pazifischen Passatwinde verstärkten und damit La-Niña-ähnliche Bedingungen schafften, schrieben kürzlich australische Klimaforscher im Fachblatt «Nature Climate Change». «Die Theorie ergibt durchaus Sinn», sagt Levermann. «Aber wir konnten bislang noch keinen Strich darunterziehen.»

«Die globale Erwärmung überschreibt La Niña.»

Anders Levermann, Physiker und Klimaforscher

Klar ist zumindest, dass La Niña das Weltklima beeinflusst – und zwar abkühlt. Je nach Ausprägung zumindest für einige Monate oder Jahre. Schliesslich wird während eines La-Niña-Ereignisses viel Energie in den tiefen Pazifik gepumpt. Das könnte auch erklären, warum zwischen den Jahren 1998 und 2012 – in denen La Niña dominierte – der Erwärmungstrend schwächer als erwartet ausfiel, woraufhin Klimaleugner schon von einem Ende der Erderwärmung fabulierten.

Von einer Erwärmungspause kann für die aktuellen La-Niña-Jahre indes keine Rede sein: Das Jahr 2021 gehört zu den sieben wärmsten Jahren und der diesjährige Juli zu den drei wärmsten Julimonaten, die jemals auf der Erde gemessen wurden. «Die globale Erwärmung überschreibt La Niña», konstatiert Levermann. Gar nicht auszumalen, was passiert, wenn mal wieder El Niño vorbeischaut. 

Dieser Text stammt aus der aktuellen Ausgabe. Jetzt alle Artikel im E-Paper der SonntagsZeitung lesen: App für iOS – App für Android – Web-App