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Deutschlands Schuldenpaket
Wofür sind die 1000 Milliarden? Kann es noch schiefgehen? Und profitiert die Schweiz?

Friedrich Merz von der CDU und Lars Klingbeil von der SPD geben eine Erklärung in Berlin nach Sondierungsgesprächen zur Regierungsbildung nach der Wahl vom 23. Februar 2025 ab.
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Das deutsche Parlament kommt heute zu einer historischen Sitzung zusammen: Kurz vor der Einsetzung des bereits gewählten neuen Bundestags soll der alte noch eine Schuldenaufnahme beschliessen, die es in dieser Höhe in der Bundesrepublik noch nicht gegeben hat. Insgesamt geht es um mindestens 1000 Milliarden Euro.

Um die Schuldenbremse zu umgehen, muss das Grundgesetz geändert werden. Dafür ist eine Zweidrittelmehrheit beider Parlamentskammern nötig. Nach dem Bundestag entscheidet am Freitag der Bundesrat, die Kammer der 16 Bundesländer. Die künftige Regierung von Christ- und Sozialdemokraten verfügt zusammen mit den Grünen im alten Bundestag über die nötige Zweidrittelmehrheit – im neuen Bundestag können AfD und Linkspartei zusammen Verfassungsänderungen mit ihrer Sperrminorität blockieren. Beide haben gegen dieses Manöver beim Bundesverfassungsgericht geklagt, ohne Erfolg.

Kann das Ganze noch scheitern?

Im amtierenden Bundestag verfügen CDU, CSU, SPD und Grüne über 520 Stimmen, 31 mehr als die nötige Zweidrittelmehrheit. Das ist in einem Parlament mit 733 Abgeordneten nicht viel. Jede Abwesenheit wirkt wie eine Nein-Stimme. In der letzten Sitzung, bevor sich nächste Woche der neue Bundestag konstituiert, haben die Fraktionen kaum mehr Einfluss auf ihre Abgeordneten: Dutzende sind bereits abgewählt; ob sie noch einmal im Sinne ihrer Partei stimmen, ist nicht sicher.

Bei Schwarzen, Roten und Grünen wird es «Abweichler» geben. Bei CDU/CSU sind manche Abgeordnete nicht einverstanden, dass ihr Kanzlerkandidat Friedrich Merz die Schuldenbremse lockert, nachdem er im Wahlkampf nur von Sparen gesprochen hatte. Bei SPD und Grünen gibt es abgewählte Junge, die Merz nicht verzeihen, dass seine Partei vor der Wahl zusammen mit der in Teilen rechtsextremen AfD abgestimmt hat. In den drei Parteien glaubt man, ein Dutzend Abgeordnete insgesamt werde gegen das Schuldenpaket stimmen. Es können aber auch mehr sein.

Wie steht es im Bundesrat?

In der Länderkammer sind die Mehrheitsverhältnisse noch unübersichtlicher als im Bundestag. Wie viele Stimmen ein Bundesland hat, hängt von seiner Bevölkerungsgrösse ab; die kleinsten haben 3 Stimmen, die grössten 6. Dem Schuldenpaket sicher zustimmen werden Länder, an deren Regierungen nur Christ-, Sozialdemokraten oder Grüne beteiligt sind. Zusammen kommen diese Länder derzeit auf 41 von 69 Stimmen. Die Zweidrittelmehrheit beträgt 46, fehlen also noch 5.

Nur Regierungen, die sich einig sind, können mit Ja stimmen. Bayern hat 6 Stimmen, allerdings regiert die CSU von Markus Söder mit den Freien Wählern von Hubert Aiwanger. Dieser bezeichnet das Schuldenpaket als «Wahnsinn» und lehnt es eigentlich ab. Allerdings will er darüber auch nicht die bayerische Regierung platzen lassen. Zumal auch Bayern profitieren würde, könnten die Länder künftig so viele Schulden aufnehmen wie der Bund – auch das ist Teil der neuen Gesetze.

Gestern Abend einigten sich Aiwanger und Söder schliesslich darauf, dass Bayern dem Schuldenpaket zustimme. Eine Zweidrittelmehrheit scheint dem Vorhaben im Bundesrat nun sicher.

Was würde bei einem Scheitern passieren?

Kommt das Schuldenpaket nicht durchs Parlament, bricht der künftigen Regierungskoalition von CDU-Chef Merz und SPD-Chef Lars Klingbeil die Geschäftsgrundlage weg. Weder die nötige Wiederaufrüstung noch die Erneuerung der Infrastruktur lassen sich aus dem normalen Staatsbudget finanzieren. Um die Schuldenbremse zu lockern, bräuchten Christ- und Sozialdemokraten im neuen Bundestag aber nicht nur die Unterstützung der Grünen, sondern auch noch die der Linken.

Ohne die 1000-Milliarden-Kreditlinie dürfte es schwer, wenn nicht unmöglich werden, dass sich CDU, CSU und SPD auf eine Regierung einigen. Merz, der sich schon wie der künftige Kanzler fühlt, könnte auf den letzten Metern noch scheitern. Da ausser Schwarz-Rot realpolitisch keine Koalition möglich ist, wären vermutlich Neuwahlen nötig, um eine Staatskrise abzuwenden. Die AfD würde sich darüber freuen.

Was gibt Schwarz-Rot den Grünen?

Die Grünen werden der neuen Regierung nicht angehören, betätigen sich jetzt aber als deren Geburtshelfer. Für ihre Zustimmung haben sie CDU, CSU und SPD bedeutende Zugeständnisse abgerungen: 100 Milliarden Euro aus dem 500-Milliarden-Fonds für Infrastruktur sind Investitionen in den Klimaschutz vorbehalten. Zudem hält das Gesetz fest, dass der Fonds ausschliesslich zusätzlichen Investitionen dient, die über die üblichen des Budgets hinausgehen.

Die Verteidigungsausgaben, die künftig ab der Höhe von 1 Prozent der Wirtschaftsleistung von der Schuldenbremse ausgenommen werden, erstrecken sich dank der Intervention der Grünen nun auch auf die Nachrichtendienste, den Zivilschutz und die Cyberabwehr. Auch die Mittel zur Unterstützung der Ukraine unterliegen künftig nicht mehr der Schuldenbremse.

Wie reagieren Konservative?

Unter Konservativen und Liberalen in- und ausserhalb der CDU hat die Einigung mit den Grünen heftige Kritik ausgelöst. Deren Politik sei doch abgewählt worden, monieren viele, jetzt komme sie durch die Hintertür wieder herein. Dem ersten Verrat, der Lockerung der Schuldenbremse, habe Merz einen zweiten folgen lassen: die Wiederauflage grüner Wirtschaftspolitik. Und das nur, weil er unbedingt Kanzler werden wolle.

Was sagt Merz dazu?

Aus seiner Sicht ist das 1000-Milliarden-Paket ein «Gesamtpaket», das auf die gewaltigen Herausforderungen reagiere, mit denen Deutschland konfrontiert sei. Die Investitionen in die Verteidigung seien dringend, sagte Merz der «Bild am Sonntag». Aber viele Bürger erwarteten «zu Recht, dass wir zugleich etwas für die Infrastruktur, für die Schulen, für die Krankenhäuser und für die Verkehrswege tun». Ein Grüner werde er nicht mehr, so Merz, aber er wolle ein Kanzler werden, der sich der umweltpolitischen Verantwortung stelle. Zum Vorwurf, er habe im Wahlkampf über die Notwendigkeit, die Schuldenbremse zu lockern, gelogen, sagte er: «Ich nehme den Vorwurf ernst, halte ihn aber nicht für gerechtfertigt.»

Welche Folgen hätte das Schuldenpaket für die Schweiz?

Löst Deutschland die Schuldenbremse, könnte das mittelfristig die lahmende Wirtschaft unseres grössten Nachbarn beleben. Davon würden vermutlich auch Schweizer Unternehmen profitieren. Die gewaltigen Ausgaben für Verteidigung dürften mittelbar aber auch den Druck auf die Schweiz vergrössern, selbst mehr für die Sicherheit zu tun. Die Schweiz plant, ihre Ausgaben bis 2032 auf 1 Prozent der Wirtschaftsleistung zu steigern; Deutschland ist jetzt schon bei 2 Prozent, der Nato-Gipfel im Juni könnte das Ziel auf 3,5 Prozent erhöhen. Will die Schweizer Rüstungsindustrie von diesem Boom profitieren, müsste die Politik in Bern erst das Exportgesetz für Kriegsmaterial lockern.