Analyse zur Wahl in DeutschlandWird Merz zum Kanzler Friedrich-ohne-Geld?
Der CDU-Chef hatte Glück: Es reicht knapp für eine Koalition mit der SPD. Dafür können AfD und Linkspartei jede Reform der Schuldenbremse blockieren – mit schwerwiegenden Folgen.

- Friedrich Merz steht als wohl nächster deutscher Kanzler vor Koalitionsgesprächen mit der SPD.
- Boris Pistorius soll für die SPD massgeblich mit Merz verhandeln.
- AfD und Linkspartei besitzen im Bundestag eine Sperrminorität.
- Gemeinsame EU-Schulden für Verteidigung könnten auch in Berlin ein Thema werden.
Als sich die Wahlgewinner Friedrich Merz und Markus Söder am Sonntagabend in Berlin feiern liessen, sahen sie recht blass aus. Das Ergebnis war schlechter ausgefallen als erwartet und der Schlimmste aller möglichen Ausgänge noch nicht abgewendet: dass CDU und CSU nicht nur die Sozialdemokraten, sondern auch noch die Grünen brauchen würden, um zu regieren.
Vor allem Söder hatte im Wahlkampf gegen die Grünen polemisiert, wie wenn es sich bei ihnen um einen Systemfeind handeln würde, und am Vorabend der Wahl hatte sich auch Merz noch zu halben Beleidigungen hinreissen lassen, als er gegen «linke und grüne Spinner» wetterte und mit dem Schlachtruf «Links ist vorbei!» eine Art konservative Revolution heraufbeschwor.
Erst in der Nacht, als alle Stimmen ausgezählt waren, wurde klar, dass Merz und Söder wenigstens ein Regieren mit den Grünen erspart bleibt. Weil die Partei von Sahra Wagenknecht den Einzug in den Bundestag um die Winzigkeit von 13’400 Stimmen verfehlte, haben CDU und CSU zusammen mit der SPD eine knappe Mehrheit. Eine neuerliche Dreierkoalition sehr ungleicher Partner wäre für alle Beteiligten wohl zu einer ernsten Zerreissprobe geworden.
Das heisst nicht, dass Merz eine Koalition mit der SPD nun leichtfallen wird. Die Partei von Noch-Kanzler Olaf Scholz schnitt am Sonntag so schlecht ab wie zuletzt vor 138 Jahren. Sie, die von den vergangenen 27 Jahren 23 in der Regierung verbrachte, bräuchte nun eigentlich dringend eine Pause, um sich programmatisch und personell zu erneuern. Stattdessen wird die SPD gleich wieder gebraucht. Eine Alternative zu ihr hat Merz nicht; mit der in Teilen rechtsextremen Alternative für Deutschland zu regieren, kommt für ihn nicht infrage.

Die SPD, wie die Union eine sehr staatstragende Partei, ist sich dieser Verantwortung durchaus bewusst. In ihrem Unglück hat sie nun gewissermassen auch ein wenig Glück: Sie kann die Schuld für die Wahlkatastrophe beim gescheiterten Kanzler Scholz abladen – und hat mit Boris Pistorius, dem Verteidigungsminister, den mit Abstand beliebtesten Politiker Deutschlands in den Reihen.
Vor allem Pistorius wird nun die Aufgabe zukommen, mit Merz die Eckpunkte einer Koalition zu verhandeln. Der ehemalige Innenminister von Niedersachsen ist aus Unionssicht dafür ein Glücksfall: Er ist kein Linker, sondern steht politisch exakt für jene Themen, die Merz jetzt für seine «Politikwende» durchsetzen muss: eine restriktivere Asylpolitik, die Stärkung der inneren Sicherheit, die Wiederherstellung der Verteidigungsfähigkeit und die Unterstützung der Ukraine gegen Russland.
Kompromisse bei der «Asylwende» sind möglich
Vor allem zur «Asylwende» dürfte die SPD – trotz Widerstands mancher Linker – durchaus Hand bieten. Umfragen belegen, dass auch eine klare Mehrheit der SPD-Wählerinnen und -Wähler der Meinung ist, Deutschland könne nicht mehr so viele Asylsuchende aufnehmen wie zuletzt. Merz wiederum hat, weitgehend unbemerkt, signalisiert, dass er seinerseits nicht an Maximalforderungen festhalten wird.
Statt von generellen Zurückweisungen an der Grenze («Grenze zu!») ist in seinem Kanzlerprogramm für die ersten 100 Tage nur noch von mehr Zurückweisungen die Rede. Bereits kassiert hat Merz auch die (verfassungswidrige) Ankündigung, 40’000 ausreisepflichtige Asylsuchende sofort und unbefristet in Haft zu nehmen. So hart will er künftig nur noch bei verurteilten Gewalttätern und Gefährdern vorgehen – ein Anliegen, das Pistorius vermutlich teilt. Auch die SPD, hofft Merz, habe nach der schrecklichen Serie von Gewalttaten von Asylsuchenden begriffen, dass sie nicht weitermachen könne wie bisher.
Wie weiter mit Schuldenbremse und Sondervermögen?
Während also Christ- und Sozialdemokraten bald aufeinander zugehen werden und Merz hofft, bis Ostern eine Regierung bilden und Kanzler werden zu können, tut sich unerwartet ein neues Problem auf: AfD und Linkspartei verfügen dank ihrer starken Zugewinne im neuen Bundestag zusammen über eine sogenannte Sperrminorität von einem Drittel der Sitze. Gegen ihren Widerstand sind also keine Änderungen an der Verfassung mehr möglich.
Die Blockademacht vom rechten und vom linken Rand dürfte einer Regierung von Kanzler Merz in vielerlei Hinsicht Schwierigkeiten bereiten. Ganz besonders aber, was die Hunderte von Milliarden Euro anbelangt, die Deutschland benötigen wird, um die Bundeswehr wiederaufzurüsten, seinen Beitrag zur Nato zu erhöhen und die Ukraine stärker zu unterstützen. Alle drei Aufgaben sind angesichts der «America First»-Politik des neuen US-Präsidenten Donald Trump so dringlich wie nie zuvor.
Merz hat bisher nicht gesagt, wie er die neuen Verteidigungsanstrengungen finanzieren will. Fachleute aller Couleur halten es für ausgeschlossen, dass dies im Rahmen ordentlicher Budgets und der geltenden Schuldenbremse möglich ist. Für Sondervermögen ausserhalb dieses Rahmens oder eine gezielte Reform der Schuldenbremse wäre jedoch eine Zweidrittelmehrheit im Bundestag nötig. AfD wie Linke lehnen eine forcierte Aufrüstung Deutschlands aber ab und suchen mit Russland eher einen Ausgleich als den Konflikt – wie Trump.
Gemeinsame EU-Schulden könnten ein Ausweg werden
Bereits kursieren in Berlin Pläne, wie sich die absehbare Blockade von rechts und links umgehen liesse. Der alte Bundestag sei noch 30 Tage im Amt, sagen einige, in dieser Zeit könnte die Schuldenbremse mit der alten Zweidrittelmehrheit von SPD, Grünen und Union reformiert werden. Merz kündigte heute an, dass er mit SPD und Grünen darüber sprechen werde. Es gibt aber ernste Zweifel an der praktischen Durchführbarkeit eines solchen Manövers.
Bleiben die Wege zu höheren Schulden in Deutschland versperrt, könnte ein Ausweg an Attraktivität gewinnen, den Merz und seine Partei bisher immer ausgeschlossen haben: gemeinsame Schulden zum Ausbau der militärischen Fähigkeiten im Rahmen der Europäischen Union – wie während der Coronapandemie. Wichtige Partner wie Frankreich, Italien, Polen und Spanien plädieren schon lange für «Defence Bonds». Eine Zusage aus Berlin, ausgerechnet vom liberalen Friedrich Merz, käme zwar überraschend. Willkommen wäre sie durchaus.
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