Britischer Premier in der KriseDer nächste Hammer für Boris Johnson
Die historische Wahlniederlage seiner Partei in einer Tory-Bastion lässt die Kritik am Premier noch lauter werden. Gleichzeitig rollt die Omikron-Welle auf Grossbritannien zu.
Boris Johnsons Autorität und seine Popularität schwinden. Bei einer parlamentarischen Nachwahl im mittelenglischen Wahlkreis North Shropshire hat seine Konservative Partei in der Nacht auf Freitag eine katastrophale Niederlage erlitten.
Der Wahlkreis, der fast 200 Jahre lang eine uneinnehmbare Hochburg der Tories gewesen war, ging mit grosser Mehrheit an die Liberaldemokraten. Die siegreiche liberale Kandidatin und künftige Unterhaus-Abgeordnete Helen Morgan teilte dem Premierminister mit: «Die Party ist vorbei.»
Das Debakel von North Shropshire hat eine Grosszahl konservativer britischer Abgeordneter in Angst und Schrecken versetzt. Wenn schon eine der sichersten Tory-Hochburgen so ohne weiteres kollabieren könne, fragen sich viele Parlamentarier: Welche Chance hätten sie dann in umkämpfteren Gebieten, sich zu behaupten bei der nächsten Wahl?
Der Tory-Veteran Sir Roger Gale erklärte, Johnson sei in Downing Street «fehl am Platz». Für ihn sei die «letzte Runde» eingeläutet. Ein anderer einflussreicher Hinterbänkler, Sir Charles Walker, meinte zum Nachwahldebakel: «Die Leute sind müde, zornig, erschöpft nach 20 Monaten Pandemie hierzulande. Die Regierung findet sich unterm Mikroskop. Man hat Fehler gemacht.»
Selbst Parteipräsident Oliver Dowden räumte ein, dass es «Frustration» in der Bevölkerung gebe. Einen «Wetterumschlag» sehe er nicht, aber die Stimmung sei natürlich nicht gut. Die Wähler hätten schlicht alles satt. Nicht aussprechen mochte Dowden, was die Wähler in North Shropshire satthatten – nämlich nicht nur die Regierungspolitik, sondern vor allem auch Johnsons Regierungsstil.
Dazu gehörte unter anderem der Versuch, seinem Ex-Minister Owen Paterson eine wegen Korruption verhängte parlamentarische Strafe zu ersparen. Dafür liess sich der Regierungschef zu spektakulären Manövern und groben Fehltritten hinreissen. Hätten diese Aktionen nicht Patersons Rücktritt erzwungen, wäre es nie zur Nachwahl dieser Woche gekommen. Denn Owen Paterson war der Abgeordnete für North Shropshire – der bislang letzte Tory dort.
Auf frohe Weihnachten kann Boris Johnson also auch dieses Jahr nicht hoffen. Denn gleichzeitig rollt die neue Covid-Welle aufs Vereinigte Königreich zu. Britische Forscher sind der Ansicht, es werde «die grösste aller Zeiten». Trotzdem zögert der britische Premierminister, noch vor den Festtagen Massnahmen zu ergreifen.
Wichtig sei jetzt vor allem massenhaftes Boostern, verkündet Johnson stattdessen täglich. An einen erneuten Lockdown denke er nicht. Dabei drängen fast alle namhaften Experten in England, drängt ihn selbst sein medizinischer Chefberater Professor Chris Whitty zu klaren Appellen zu sozialer Distanzierung.
Unnötige Kontakte müssten dringend vermieden werden, hat der sonst eher zurückhaltende Whitty verkündet – was zu empörten Reaktionen von Tory-Hardlinern geführt hat, die ihm vorwerfen, mit seinem «Alarmismus» die britische Wirtschaft zu «ruinieren».
Johnsons selbst sieht jedoch keinen Grund, warum seine Mitbürger auf Weihnachtspartys verzichten sollten. Obwohl selbst Ihre Majestät, die Königin, ihr eigenes traditionelles Vorweihnachtsessen für 50 Familienmitglieder in Windsor abgesagt hat.
Tatsächlich ignorieren jedoch immer mehr Britinnen und Briten die demonstrativ unbekümmerte Haltung des Premiers. Pubs, Bars und Restaurants melden massenhaft Abbestellungen. Diese Woche hat sich die Zahl der Passagiere in Bahnen und Bussen in London gegenüber der Vorwoche um 20 Prozent verringert. Der Strassenverkehr nimmt ebenfalls ab. Die Leute bleiben daheim.
Wegen Omikron, das jetzt in London schon die Mehrheit aller Fälle ausmacht und sich rasend schnell ausbreitet, erwarten Experten eine Million Fälle pro Tag noch vor Jahresende. Die gemeldeten täglichen positiven Tests hatten am Donnerstag, dem Tag der Nachwahl, schon knapp 90’000 erreicht.
Genau deshalb sei es nun am allerwichtigsten, dass er sich «auf die wirklichen Themen, die den Leuten wichtig sind», konzentriere, erklärte Johnson am Freitag – nämlich auf die Bekämpfung der Pandemie. Natürlich begreife er die Frustration vieler Wähler in North Shropshire und sei selbst sehr enttäuscht vom Nachwahlergebnis, meinte der Premierminister.
Aber viel davon sei auch eine Folge der endlosen Beschäftigung der Medien «mit Politik und Politikern» statt mit echten Problemen, fügte er hinzu. Er werde jedenfalls alles Weitere daransetzen, nach der schnellsten Impfkampagne aller Zeiten nun auch «den schnellsten Booster-Roll-out» in Europa zu organisieren.
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