Korruptionsskandal in GrossbritannienEx-Premier bezeichnet Johnson-Regierung als «korrupt»
Boris Johnson und seine Getreuen werden mit Korruptionsvorwürfen eingedeckt. Selbst bei den Tories herrscht Empörung, die Loyalität bröckelt. Und das Parlament will handeln.
Immer neue schwere Korruptionsvorwürfe gegen Boris Johnson werden laut in Grossbritannien. Selbst Tory-Abgeordnete gehen zu ihrem Parteivorsitzenden, dem britischen Premierminister, auf Distanz. Der konservative Ex-Regierungschef Sir John Major warf Johnson zu Wochenbeginn vor, auf «schändliche und unwürdige Weise» gehandelt zu haben und so «den guten Ruf unseres Parlaments zu zerstören».
Oppositionspolitiker verlangen eine umfassende Untersuchung aller Vorwürfe gegen den Premier und seine Regierung. An einer Sondersitzung des Unterhauses sollte Johnson am heutigen Montag Stellung nehmen. Stattdessen blieb er der Sitzung fern – was noch mehr Frustration auslöste, auch in seiner eigenen Partei.
Tory-freundliche Zeitungen berichteten, dass einzelne Hinterbänkler bereits heimlich seine Abwahl vorbereiteten. In Meinungsumfragen sank seine Popularität auf einen neuen Niedrigstand. Die Labour-Partei und die Grünen machten dagegen Boden gut.
Johnson wollte korrupten Brexit-Mitstreiter schützen
Ausgelöst hatte die Aufregung Johnsons spektakuläres parlamentarisches Manöver der letzten Woche, mit dem er den als Strafe verhängten sechswöchigen Ausschluss eines früheren Ministers und Brexit-Hardliners aus dem Unterhaus zu blockieren suchte. Owen Paterson war von den zuständigen Gremien in Westminster in aller Form der Korruption überführt worden.
Paterson hatte sich von zwei Firmen 110’000 Pfund im Jahr bezahlen lassen, um sich für diese Firmen heimlich als Lobbyist zu betätigen. Johnson wies jedoch seine Fraktion an, den fälligen Ausschlussentscheid für Paterson auszusetzen und darüber hinaus den von allen Parteien getragenen, regierungsunabhängigen Anti-Korruptions-Ausschuss im Parlament durch ein neues System mit eingebauter Tory-Mehrheit zu ersetzen.
Dieser Plan löste eine derartige Empörung aus, dass Johnson anderntags eine komplette Kehrtwende vollführen musste. Zu der scharfen Reaktion auch in den Tory-Reihen hatte beigetragen, dass Wirtschaftsminister Kwasi Kwarteng – wohl im Auftrag Johnsons – die für Untersuchungen zuständige unabhängige «Sittenwächterin» des Parlaments, Kathryn Stone, unverblümt zum Rücktritt drängte.
Der Vorfall veranlasste John Major, Johnsons Regierung als «politisch korrupt» und «ganz unkonservativ» zu bezeichnen. Die konservative Ex-Ministerin Karen Bradley sagte, die Regierung habe das Parlament auf unerträgliche Weise «erniedrigt und ignoriert». Auch andere prominente Tories äusserten harsche Kritik.
Zum Leidwesen Johnsons hat die Owen-Paterson-Affäre all die Vorwürfe wieder ins Licht gerückt, die in jüngster Zeit gegen den Premier und seine Partei erhoben wurden. Wie Paterson sollen auch andere Tories zum Beispiel lukrative Corona-Verträge, die von der Regierung gar nicht erst ausgeschrieben wurden, interessierten Geldgebern oder einfach Bekannten und Freunden zugeschanzt haben.
Adelstitel und Oberhaussitze für reiche Gönner
Die konservative «Sunday Times» enthüllte, dass die Tories seit längerem reichen Gönnern, die Spenden von jeweils mindestens 3 Millionen Pfund an die Partei abführen, Adelstitel und Sitze im britischen Oberhaus verschafft haben. Dem Milliardär Peter Cruddas hatte Johnson dieses Privileg Ende letzten Jahres gegen den ausdrücklichen Willen der Ernennungskommission für das House of Lords zuerkannt.
Auch Johnson selbst ist von «Sittenwächterin» Stone bereits mehrfach ins Visier genommen worden. Jetzt erwägt sie, ein Verfahren gegen ihn zu eröffnen, weil eine feudale Renovierung seiner Dienstwohnung offenbar gegen alle Vorschriften vorübergehend von einem reichen Gönner finanziert wurde.
Ein anderer Vorwurf geht dahin, dass der Premier auf Einladung eines wohlhabenden Bekannten in Spanien Gratisferien verbrachte, ohne das daheim zu deklarieren. Boris Johnson, erklärte dessen früherer Chefberater Dominic Cummings, sei «ein Blindgänger», den die Tories schnellstmöglich «loswerden» müssten.
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