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99 Tories stellen sich gegen Johnson
«Der Premier ist jetzt in einer sehr, sehr, sehr schwierigen Position»

Unter Druck: Dem britischen Premier scheint auch im Parlament zunehmend der Rückhalt zu fehlen.
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Der Abend war schon fortgeschritten, als Keir Starmer vor einem Christbaum stand und das Desaster in Worte kleiden sollte. Keir Starmer ist der Chef der britischen Labour-Partei, er ist der Oppositionsführer im Unterhaus, Oppositionsführer sind in solchen Momenten immer gern genommene Gesprächspartner für das Fernsehen, der zu erwartenden griffigen Worte wegen. Und der Abend war nicht so schlimm verlaufen für Boris Johnson wie tagsüber befürchtet, sondern noch schlimmer.

Dieser Abend, sagte nun Starmer, sei für Johnson «ein herber Schlag» gewesen. Im Englischen klingt das tatsächlich griffig: «A significant blow.» Damit sich das auch jeder Fernsehzuschauer merken konnte, wiederholte er die Worte im nächsten Satz noch einmal.

Das britische Parlament hat in vier Abstimmungen am Dienstagabend neue Massnahmen im Kampf gegen die Ausbreitung der Omikron-Variante beschlossen, aus 2-G-Perspektive keine besonders strengen. Aber der Widerstand im Parlament war gross wie noch nie in Johnsons Amtszeit als Premierminister. Ein «Schmerzensschrei» der Partei der Konservativen sei das gewesen, sagte der Tory-Abgeordnete Charles Walker mit finsterer Miene in die BBC-Kamera, als es vorbei war.

Walker ist ein erfahrener Abgeordneter, einer von den nicht wenigen im Unterhaus, die noch ein bisschen griffiger sprechen können als Keir Starmer – und einer von denen, die derzeit offensichtlich besonders sauer sind auf Johnson. Der Premier sei jetzt in einer «sehr, sehr, sehr schwierigen Position», es sei hier eine «sehr, sehr deutliche Linie im Sand gezogen» worden, sagte Walker. Der Premierminister und sein Team sollten jetzt «gut zuhören».

So viele Neuinfizierte wie seit Januar nicht mehr

Walker ist auch Vize-Chef des 1922-Komittees, jenes mächtigen Zusammenschlusses der Tory-Hinterbänkler also, die Johnson seit Wochen immer wieder scharf kritisieren. Johnson hatte noch gegen halb sechs Uhr, etwa eine Stunde vor Beginn der Abstimmungen, das Komitee in dessen Räumlichkeiten in Westminster besucht, um zu retten, was eigentlich nicht mehr zu retten war. Der Premierminister habe dem Anlass angemessen mit sehr ernster Stimme gesprochen, berichteten später die Reporter, die draussen vor der Tür gewartet hatten. Es nutzte nichts.

Die Geschichte dieses Abends ist nun auch eine Geschichte der Zahlen. Die Omikron-Variante sorgt derzeit für einen besorgniserregenden Anstieg der Corona-Fallzahlen, offiziell wurden am Dienstag 59'610 Neuinfizierte gezählt, so viele wie seit Januar nicht mehr.

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Vehement warb die Regierung daher in der mehr als vierstündigen Debatte für die vier neuen Massnahmen: Maskenpflicht in geschlossenen Räumen, ausser in Pubs und Restaurants, Schnelltests statt Selbstisolation nach Kontakt mit positiv Getesteten, ein Covid-Pass für den Besuch grösserer Veranstaltungen sowie eine Impfpflicht für das Personal des nationalen Gesundheitsdienstes NHS.



Vor allem der Covid-Pass, in dem entweder ein Impfnachweis oder ein negatives Testergebnis vermerkt sein soll, hatte für viel Aufregung unter den Konservativen gesorgt. Tagsüber hiess es, bis zu 77 Tory-Abgeordnete könnten gegen den Covid-Pass stimmen. 77, das wäre heftig gewesen – Johnsons operative Mehrheit beträgt derzeit 79 Sitze, und so viele Gegenstimmen aus den eigenen Reihen sind eine Seltenheit, wenn der Premierminister über eine derart komfortable Mehrheit verfügt wie Johnson.

369 zu 126, das ist das offizielle Abstimmungsergebnis, mit dem dann der neue Covid-Pass beschlossen wurde. Von den 126 Gegenstimmen waren 99 Abgeordnete der Tories.

Führungswechsel «muss mit auf den Tisch»

Die Maskenpflicht wurde mit 441 zu 41 beschlossen, 40 Gegenstimmen kamen von den Konservativen. Die Abstimmung zur Impfpflicht für NHS-Angestellte endete 385 zu 100, und die Anzahl aller Gegenstimmen wäre wohl noch etwas höher ausgefallen, wenn nicht eine zweistellige Zahl an Abgeordneten wegen eines positiven Coronatests gefehlt hätte. Alle vier Massnahmen konnte Johnson somit nur mit Hilfe der Opposition durchbringen. Labour werde nicht parteipolitisch abstimmen, hatte Starmer schon tagsüber gesagt, sondern für die Massnahmen, «weil sie notwendig sind».

Wenn Johnson sich nicht ändere, dann müsse nächstes Jahr die Frage eines Führungswechsels «mit auf den Tisch», sagte Geoffrey Clifton-Brown, einer der Tory-Abgeordneten aus dem 1922-Komittee. Unter denen, die gegen die Massnahmen stimmten, waren allerdings nicht nur Tories des extrem konservativ bis rechten Flügels, sondern Tories jeglichen Hintergrunds und Alters. «Der Premierminister ist jetzt in ernsthaften Schwierigkeiten», so formulierte es Daisy Cooper, eine Abgeordnete der Liberaldemokraten.

Viele Tories wollten wohl mit ihrem Nein zu den Massnahmen ein Signal setzen, vorsorglich gewissermassen: Der Brandbeschleuniger Omikron könnte für weitere Lockdowns sorgen, und genau das wollen einige Konservative um jeden Preis verhindern. Für Johnson wird das Regieren als Pandemie-Krisenmanager dadurch nicht einfacher, zumal er auch seine zweite Rolle als Party-Krisenmanager so schnell nicht los sein dürfte.

Spätestens Freitag will der Kabinettssekretär Simon Case das Ergebnis seiner Untersuchung zu verbotenen Partys zur Weihnachtszeit 2020 in Downing Street veröffentlichen. Dazu passend erschien die Mittwochsausgabe des Daily Mirror mit einem «ausserordentlichen» Foto, wie das Blatt schrieb, auf der Titelseite. Zu sehen seien demnach: 24 Menschen auf einer Party im Lockdown-Winter 2020, manche halten ein Weinglas in die Kamera. Alle 24, hiess es, seien Berater und Mitglieder der Tories.