Rettung der Credit SuisseDer Bundesrat legt das Notrecht sehr weit aus
Aktionäre werden enteignet, Wettbewerbsrechte ausgehebelt: Im Drama um die Bank greift die Regierung zum Notrecht, zum dritten Mal innert 15 Jahren. Was sagen Staatsrechtler dazu?
Der wortgewaltige Wirtschaftsrechtsprofessor Peter V. Kunz lässt kein gutes Haar an der Übernahme der Credit Suisse durch die UBS auf der Basis von Notrecht. «Der Bundesrat enteignet die Aktionäre ohne Rechtsgrundlage», sagte er im Interview mit dieser Zeitung. Die Rechtsgrundlage sei so dünn, «dass sie brechen würde, wenn man sie anfechten würde».
Unter Juristinnen und Juristen ist das allerdings heftig umstritten, seit der Staat in der Finanzkrise 2008 Notrecht anwendete, um die UBS mit 6 Milliarden Franken vor der Pleite zu bewahren.
Das war damals eine Premiere. Inzwischen ist es das dritte Mal, dass der Bundesrat zur Rettung eines Unternehmens zu Notrecht greift. Diesmal geht es um öffentliche Gelder von bis zu 209 Milliarden Franken.
Auch den – bisher nicht beanspruchten – Rettungsschirm von 4 Milliarden Franken, den er vergangenen Herbst zur Überbrückung eines allfälligen Liquiditätsengpasses des Stromkonzerns Axpo aufspannte, stützte er zunächst darauf ab.
Bezug auf Aussenpolitik
Bei der Credit-Suisse-Auffangübung stützt sich der Bundesrat auf die Artikel 184 und 185 der Bundesverfassung, die sich mit den Beziehungen zum Ausland und der äusseren und der inneren Sicherheit befassen.
Auf den ersten Blick hat das mit dem Finanzmarkt oder gar der Rettung eines einzelnen Unternehmens nichts zu tun. So heisst es im «Basler Kommentar zur Bundesverfassung», der von drei der bedeutendsten Staatsrechtlerinnen und Staatsrechtler verfasst wurde, mit dem Artikel 184 werde dem Bundesrat «die Kompetenz zur operativen Führung der Aussenpolitik» und zu den nötigen Massnahmen «zur Wahrung aussenpolitischer Interessen der Schweiz» zugesprochen.
Die Anwendungsgebiete und Instrumente werden in der Bundesverfassung nicht ausgeführt, aber es geht um Aussenpolitik – zum Beispiel völkerrechtliche Verträge, Sanktionen oder den Abbruch diplomatischer Beziehungen – und nicht um Wirtschafts- und Finanzpolitik.
Interessen des Finanzplatzes mit Landesinteressen gleichgesetzt
Notrecht zur Wahrung aussenpolitischer Interessen setzt gemäss «Basler Kommentar» «eine Gefährdung der Beziehungen zu anderen Völkerrechtssubjekten voraus. Unter diesen Begriff kann etwa der Schutz des internationalen Ansehens der Schweiz fallen.»
Doch der Bundesrat legt diesen Passus seit der UBS-Rettung vor 15 Jahren zunehmend extensiv aus. Er begründete das damals damit, dass «bei einer passiven oder auch nur zögerlichen Haltung der Landesregierung die Reputation des schweizerischen Finanzplatzes im Ausland nachhaltig Schaden genommen hätte». Der Bundesrat setzte also die Interessen des Finanzplatzes mit den Landesinteressen gleich.
Unter den Begriff der Gefährdung der Beziehungen zu anderen Staaten falle «zumindest gemäss behördlicher Auffassung auch der Schutz des Schweizer Finanzplatzes», schreiben die Autorinnen und Autoren des «Basler Kommentars».
Nach der UBS-Affäre verschärfte das Parlament die Bestimmungen zu den Notverordnungen. Denn dem Bundesrat war vorgehalten worden, «sich am Rand des Zulässigen bewegt zu haben», wie Pierre Tschannen, ein anderer bedeutender Staatsrechtler und Verfasser des Standardwerks «Staatsrecht der Schweizerischen Eidgenossenschaft», schreibt. Das Parlament sei zu einem Gremium von Kopfnickern degradiert worden.
Der Griff zum Instrument der Notverordnung habe sich nicht von selbst verstanden, schreibt Tschannen. Denn der entsprechende Artikel der Bundesverfassung sei zunächst auf Lagen wie schwere Unruhen, militärische Bedrohungen, Naturkatastrophen oder Epidemien zugeschnitten.
Doch die seinerzeitige Finanzkrise, so argumentierte der Bundesrat, weise ein «mindestens gleichrangiges Störungs- und Schädigungspotenzial» auf. Denn der Ausfall einer Grossbank würde unter anderem zu einer «Lahmlegung des Zahlungssystems» führen.
«Polizeiliche Generalklausel» wird grosszügig ausgelegt
Auch beim Artikel 185, der Notrecht bei drohenden schweren Störungen der öffentlichen Ordnung oder der inneren oder äusseren Sicherheit erlaubt, hat sich eine grosszügige Rechtsauslegung eingebürgert. Das Bundesgericht legte diese «polizeiliche Generalklausel», wie der entsprechende Absatz des Artikels in Juristenkreisen genannt wird, extensiv aus.
2009 musste das oberste Gericht prüfen, ob die Herausgabe von UBS-Kundendaten an US-Steuerbehörden gestützt auf diese Bestimmung rechtens sei. Es hielt in seinem Entscheid fest: «In Ausnahmesituationen – wie hier – können auch die ökonomische Stabilität und der Schutz des Finanzmarkts ein entsprechend schützenswertes polizeiliches Gut darstellen.» Denn beides umfasse klassische Polizeigüter wie das Eigentum oder Treu und Glauben im Geschäftsverkehr, die bei einem Zusammenbruch des Finanzsystems drastisch beeinträchtigt würden.
Der Eingriff ins Eigentumsrecht sei «gerechtfertigt»
Doch im aktuellen Fall der Credit Suisse wird durch die Anwendung von Notrecht das Wettbewerbsrecht ausgehebelt und das Eigentumsrecht eingeschränkt. Ihre Aktionäre werden faktisch enteignet, und auch die Aktionäre der UBS haben nichts zu sagen. Treu und Glauben scheinen hier keine Rolle zu spielen. Das sei einmalig, sagen Staats- und Verfassungsrechtler. Und stützen den Schritt trotzdem.
«Der Bundesrat musste da ein Fait accompli schaffen», sagt etwa Urs Saxer, Professor für Verfassungs- und Völkerrecht an der Universität Zürich. Angesichts der höchsten zeitlichen und sachlichen Dringlichkeit sei das unvermeidlich gewesen; dem Bundesrat sei nichts anderes übrig geblieben: «Es ist ein starker Eingriff, aber er ist gerechtfertigt», so Saxer.
Einschliesslich der verschiedenen Verordnungen während der Corona-Pandemie ist das der vierte grosse Fall in 15 Jahren, in dem sich der Bundesrat auf die Notrechtsartikel beruft. Und er legt das Instrument, das ihm das Volk 1999 mit der Revision der Bundesverfassung gab, sehr weit aus.
Der Bundesrat hat Recht geschaffen
Damit habe der Bundesrat auch den Streit unter den Rechtsgelehrten entschieden, sagt Andreas Glaser, Staatsrechtsprofessor an der Universität Zürich. «Er hat sozusagen Recht geschaffen. Das ist jetzt das, was gilt.»
Unter Juristinnen und Juristen gebe es zwar immer noch kritische Stimmen. Das seien jetzt aber nur noch einsame Rufer in der Wüste, so Glaser. Die meisten hätten in der Literatur und in den Kommentaren ihre Meinung der Praxis angepasst.
Wie Andreas Lienhard, Professor für Staats- und Verwaltungsrecht an der Universität Bern. Nach den Staatsmilliarden zur UBS-Rettung schrieb er vor Jahren noch, der Bundesrat bewege sich verfassungsrechtlich auf dünnem Eis. Er bezweifelte dabei, ob die beiden Notrechtsartikel 184 und 185 als Rechtsgrundlage genügten.
Heute sieht er das deutlich entspannter. Das Ausmass der finanziellen Unterstützung der Übernahme der Credit Suisse durch die UBS zeige, dass es sich um eine neuartige Dimension handle, die auch der Gesetzgeber bisher nicht für vorstellbar gehalten habe. Lienhard schliesst daraus: «In einer solchen Situation ist der Bundesrat geradezu verpflichtet, zu handeln.»
Doch es gibt auch die Unbeugsamen. Der Zürcher Staatsrechtsprofessor Andreas Kley kritisiert die Anrufung von Notrecht bei der Credit Suisse. Gegenüber der NZZ sagte er, seit der Rettung der UBS 2008 greife der Bundesrat viel zu oft zu Notrecht. «Man handelt kopflos oder zumindest überstürzt, und alle tun so, als sei schlicht keine andere Lösung möglich».
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