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Paukenschlag im Schweizer Energiebusiness
Notmassnahme für Stromkonzern – Bund stützt Axpo mit Milliardenkredit

Sie musste handeln: Simonetta Sommaruga, Vorsteherin des Eidgenössischen Departements für Umwelt, Verkehr, Energie und Kommunikation.
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Es geht um die Stabilität des Schweizer Stromnetzes: Hat einer der grossen einheimischen Produzenten auf einmal kein Geld mehr, um am Stromhandel teilzunehmen, könnte das ganze System kollabieren – und ein Black-Out das Land lahmlegen. 

Ausserordentliche Sitzung am Montag

Wie es aussieht, wird dieses Szenario nun akut. Der Axpo-Konzern ist in Not geraten – und muss vom Bundesrat gerettet werden. «Verwaltungsrat und Geschäftsleitung von Axpo haben entschieden, beim Bund am 2. September 2022 einen Antrag auf eine Kreditlinie in Höhe von bis zu 4 Milliarden Franken zu stellen. Der Bundesrat und die Finanzdelegation haben diesem Antrag am 5. September 2022 zugestimmt», teilte die Axpo am Dienstagmorgen mit. Der Bundesrat bestätigt den Sachverhalt. Energieministerin Simonetta Sommaruga (SP) und weitere Verantwortliche haben an einer Medienkonferenz am Dienstagmorgen in Bern über die Einzelheiten informiert (hier gehts zu Livestream und Ticker).

Gemäss Medienmitteilung des Bundesrats wird der sogenannte Rettungsschirm aktiviert, den die Regierung in der ersten Jahreshälfte für die Stromkonzerne kreiert hat. Dieser sieht Bundesdarlehen für «systemkritische» Stromunternehmen vor, denen Zahlungsunfähigkeit droht. Als systemkritisch – das heisst unverzichtbar für eine funktionierende Stromversorgung – gelten vor allem Axpo, Alpiq und BKW.

Noch hat die Axpo das Geld zwar nicht abgerufen. Sie wolle sich aber mit dem Gesuch auf den Ernstfall  vorbereiten, sagte Axpo-Chef Christoph Brand. «Wir sehen ein Risiko, dass in den nächsten Wochen oder Monaten Ausschläge stattfinden, welche nicht prognostizierbar sind. Auch das stärkste Fundament kann durch ein zu starkes Erdbeben erschüttert werden», so Brand. 

Hätte die Axpo wegen einem Liquiditätsengpasse nicht mehr am Stromhandel teilnehmen können, hätte das Chaos auslösen und den Betrieb der Kraftwerke gefährden können, sagte Brand. 

Unabhängigkeit tangiert

Die Finanzdelegation der eidgenössischen Räte (FinDel) hat dem Notkredit für die Axpo gestern Montag einer ausserordentlichen Sitzung zugestimmt, wie das in solchen Fällen vorgesehen ist. Diesem Gremium gehören je drei National- und drei Ständeratsmitglieder an. Präsidiert wird das Gremium vom Ständeratspräsidenten Thomas Hefti (FDP). Die FinDel hat nicht nur einen 4-Milliarden-Kredit gesprochen, sondern sogar einen Verpflichtungskredit über total 10 Milliarden. Damit wäre der Bund bereit, die Nothilfe an die Axpo auch noch weiter aufzustocken. 

Im Gegenzug für die Finanzhilfe vom Bund verliert die Axpo einen Teil ihrer Unabhängigkeit. Solange sie den Bundeskredit nicht vollständig zurück gezahlt hat, darf sie keine Dividenden ausschütten. Zudem muss sie den zuständigen Bundesstellen sowie der Elektrizitätskommission (Elcom) und der Eidgenössischen Finanzkontrolle (EFK) Einblick in ihre Bücher gewähren.

Warum helfen nicht die Besitzer-Kantone?

Politisch pikant ist, dass der Bund die Axpo retten muss und nicht die Kantone. Denn eigentlich gehört der Konzern zu 100 Prozent den Kantonen und den Kantonswerken der Nordostschweiz, die jeweils auch Dividenden von der Axpo erhalten. Die grössten Aktionäre sind die Kantone Zürich und Aargau. Die Axpo begründete das Einspringen des Bundes damit, dass sie die Kreditlinien sehr schnell braucht. 

Die anderen beiden grossen Stromkonzerne Alpiq und BKW scheinen vorerst nicht betroffen. Alpiq hatte an der Medienkonferenz kürzlich betont, trotz der steigenden Strompreise erstmal zurechtzukommen. Zum Jahreswechsel hatte Alpiq ähnliche Probleme und daher staatliche Hilfen beantragt, diesen Antrag dann aber wieder zurückgezogen.

Bei BKW sank der Reingewinn im ersten Halbjahr zwar um zwei Drittel auf 71 Millionen Franken, die Liquidität ging aber nur leicht zurück: das Unternehmen verfügte per Ende Halbjahr aber kurzfristige Mittel von knapp einer Milliarde.

Höchste Zeitnot

Vorgesehen ist eigentlich, dass der Rettungsschirm eine reguläre gesetzliche Grundlage erhält. Im Juni stimmte der Ständerat der Vorlage zu; schon nächste Woche soll auch der Nationalrat darüber entscheiden. Statt den Ausgang der parlamentarischen Debatte abzuwarten, wendet der Bundesrat die Bestimmungen nun aber per sofort via Notrecht an. Dies zeigt, wie ernst die Lage für die Axpo ist. 

Der Axpo-Konzern rüstet sich für weitere Turbulenzen an den Strommärkten: Blick auf die Staumauer Muttsee des Pumpspeicherwerks Limmern der Axpo.

Dass der Bundesrat im schlimmsten Fall so handeln würde, stellte Sommaruga schon während der Juni-Debatte im Ständerat klar: «Wir rechnen mit einem Zeitrahmen von 24 bis 48 Stunden, um eine Liquiditätsunterstützung zu gewähren», sagte die Energieministerin damals.  Das knappe Zeitfenster für die Rettung dürfte erklären, weshalb Sommaruga jetzt nicht einmal mehr die ordentliche Bundesratssitzung vom Mittwoch abwartet. 

Stürme an der Börse

Gesichert ist, dass den Stromkonzernen die hohen Preise im Handelsgeschäft zu schaffen machen. Bei einem Stromverkauf über die Börse müssen die Konzerne Sicherheiten hinterlegen. Erst wenn der Strom geliefert wird und das Geschäft abgeschlossen ist, bekommen die Firmen dieses Geld wieder zurück. 

Wenn der Strompreis steigt, dann steigen auch die Sicherheiten, die die Konzerne bei der Börse hinterlegen müssen. Dadurch wächst der Liquiditätsbedarf der Firmen. In den vergangenen Tagen schnellten die Strompreise in Europa in ungeahnte Höhen. Die Hauptgründe dafür sind der Ukraine-Krieg und Russlands Entscheid, kein Gas mehr über die Pipeline Nord Stream 1 nach Europa zu liefern. Diese Verwerfungen bringen nicht nur Schweizer Konzerne, sondern auch europäische Branchengrössen in die Bredouille. Deutschland etwa stützt den Uniper-Konzern mit Milliardenhilfen, um eine Pleite zu verhindern.

In der Schweiz sorgte der turbulente Markt bereits vor Monaten für einen Schreckensmoment: Im Dezember ersuchte die Alpiq den Bundesrat um eine Milliardenspritze, weil sie um ihre Liquidität fürchtete. Später zog sie das Gesuch wieder zurück.

Dass der Bundesrat per Notrecht eine Firma rettet, kommt äusserst selten vor. Dramatisch in Erinnerung geblieben ist die Hilfsaktion für die Grossbank UBS im Oktober 2008. Die weltumspannende Finanzkrise brachte die UBS damals an den Rand des Untergangs. Bundesrat und Nationalbank sprangen mit Liquiditätshilfen von rund 60 Milliarden Franken ein. Die UBS galt als «too big to fail», zu gross, um sie scheitern zu lassen – so ähnlich wie heute Axpo, Alpiq und BKW.