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Polen gegen die EU
Das grosse Ablenkungsmanöver

Er warf der EU vor, einen «nationalitätenlosen Superstaat» anzustreben: Polens Ministerpräsident Mateusz Morawiecki im EU-Parlament in Strassburg.
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Wer Signale der Entspannung oder Kompromissbereitschaft erwartet hatte, musste sich enttäuscht sehen. Polens Ministerpräsident Mateusz Morawiecki wies heute Dienstag vor dem EU-Parlament alle Kritik am Urteil des polnischen Verfassungsgerichts zurück, das den Vorrang des europäischen vor dem nationalen Recht infrage gestellt hat. Er warf Brüssel und dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) in Luxemburg vor, an einem «nationalitätenlosen Superstaat» zu arbeiten.

Die Drohung aus Brüssel, Gelder zurückzuhalten, kritisierte Morawiecki als Erpressung. «Die Kompetenzen der EU haben ihre Grenzen. Wir können nicht länger schweigen, wenn sie überschritten werden.» Mit seiner Verteidigungsrede versuchte Morawiecki, vom eigentlichen Kern des Konflikts abzulenken.

Vertragsverletzungsverfahren gegen Polen

Die rechtsnationale Regierung in Warschau hat die Gewaltenteilung im Land praktisch abgeschafft. Politisch missliebige Richterinnen und Richter wurden auf allen Ebenen durch regierungsnahes Personal ersetzt. Dazu passt, dass in Polen der Justizminister auch oberster Staatsanwalt in Person ist und Richtern nach Belieben Fälle zuteilen oder entziehen kann.

Die EU-Kommission hat gegen Polen eine Reihe von Vertragsverletzungsverfahren lanciert, die zum Teil schon vor dem EuGH gelandet sind. So sieht der Gerichtshof in Luxemburg durch die Entlassung, Versetzung oder vorzeitige Pensionierung von missliebigen Richtern die Unabhängigkeit der Justiz infrage gestellt. Polnische Richter sind aber auch EU-Richter, da sie jeden Tag europäisches Recht umsetzen müssen. Im Visier des EuGH ist auch eine neue Disziplinarkammer, die nur mit der Regierung nahestehenden Juristen besetzt ist.

Das EU-Recht müsse in Grenoble, Göttingen oder Danzig gleich angewandt werden, sagte EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen.

Polens Regierung will sich auch mit Blick auf die Neuwahlen 2023 durch den EuGH nicht beim Umbau der Justiz stören lassen und unliebsame Urteile künftig ignorieren können. Deshalb hat das polnische Verfassungsgericht den Richtern in Luxemburg im umstrittenen Urteil abgesprochen, überhaupt für Fragen der Organisation der polnischen Justiz zuständig zu sein. Wobei laut dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) selbst die Zusammensetzung des polnischen Verfassungsgerichts schon illegal ist.

«Sehr besorgt»: EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen bei ihrem heutigen Auftritt im EU-Parlament, beobachtet vom polnischen Regierungschef Mateusz Morawiecki (rechts im Hintergrund).

Auch Verfassungsgerichte in anderen EU-Staaten hätten dem EuGH schon Schranken aufgezeigt, sagte der polnische Regierungschef Morawiecki. Allerdings sind die Fälle nicht vergleichbar.

«Ich bin sehr besorgt», sagte EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen heute im EU-Parlament in Strassburg. Es sei das erste Mal, dass ein Gericht eines Mitgliedstaates zum Schluss komme, dass die EU-Verträge mit der nationalen Verfassung nicht im Einklang seien. Von der Leyen ist selber unter Druck, da sie nach Auffassung vieler EU-Parlamentarier zu lange auf Dialog gesetzt und der Konfrontation ausgewichen ist.

Die Bürgerinnen und Bürger müssten darauf vertrauen können, dass EU-Recht in Grenoble, Göttingen oder Danzig gleich angewandt werde, sagte von der Leyen. Sie rief die polnische Regierung auf, alle widerrechtlich abgesetzten Richter wieder zu installieren und die umstrittene Disziplinarkammer aufzulösen.

Für Polen geht es um 62 Milliarden

Brüssel dürfte sonst in einem ersten Schritt Gelder aus dem Corona-Wiederaufbaufonds für Polen vorerst nicht freigeben. Polen hätte Anspruch auf immerhin 62 Milliarden Euro an Krediten und Zuschüssen. (Lesen Sie zum Thema die Analyse «Gelder für Polen zu sperren, wäre gefährlich».)

Der konservative Fraktionschef im EU-Parlament, Manfred Weber von der deutschen CSU, warf Morawiecki vor, Streit zu säen und Europa zu schwächen. Darüber freue sich vor allem Russlands Präsident Vladimir Putin. Polen trete faktisch aus der EU als Rechtsgemeinschaft aus.

Der polnische Regierungschef liess sich davon nicht beirren. Morawiecki plädierte für mehr Europa, insbesondere in der Aussen- und Sicherheitspolitik. Polens Platz sei in der EU, die er als «starke wirtschaftliche und politische Organisation» pries. Morawiecki sah sich im Kreuzfeuer der Kritik aus fast allen politischen Lagern. Lautstarken Zuspruch gab es allerdings von den Abgeordneten der rechtspopulistischen Alternative für Deutschland (AfD) oder des französischen Rassemblement Nationale (RN) von Marine Le Pen.