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Polen brüskiert EU
Nationales Recht vor EU-Recht – Tusk ruft zu Protesten auf

Mit «polnischem Grundgesetz nicht vereinbar»: Gerichtspräsidentin Julia Przylebska.
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Polens politisch kontrolliertes Verfassungsgericht hat entschieden, dass zentrale Artikel der EU-Verträge, die Polen zur Rechtsstaatlichkeit verpflichten und dem Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) weitreichende Vollmachten geben, der polnischen Verfassung widersprechen. Das Gericht folgte damit Ministerpräsident Mateusz Morawiecki. Dieser hatte am 29. März beantragt, grundlegende Bestimmungen der EU-Verträge für verfassungswidrig zu erklären. Diese verpflichten Polen im Rahmen der loyalen Zusammenarbeit, Vorgaben aller EU-Organe – zu diesen gehört der EuGH – zur Gestaltung des Justizsystems vollständig umzusetzen.

Bereits am 14. Juli entschied das polnische Verfassungsgericht, einstweilige Anordnungen des EuGH zu Fragen der Richterauswahl und Gerichtsbildung seien verfassungswidrig. Am Donnerstag betonte die eng mit der nationalpopulistischen Regierungspartei PiS verbundene Verfassungsgerichtspräsidentin Julia Przylebska bei der Verkündung des neuen Urteils: «Die Organe der EU handeln ausserhalb der Grenzen der Kompetenz, die ihnen von Polen zuerkannt wird... Der Versuch des Europäischen Gerichtshofs, sich in das polnische Justizwesen einzumischen, verstösst gegen (...) die Regel des Vorrangs der Verfassung und gegen die Regel, dass die Souveränität im Prozess der europäischen Integration bewahrt bleibt.» Polen könne dann «nicht als souveräner, demokratischer Staat funktionieren».

«Doppelgänger» am Urteil beteiligt

Diese Entscheidungen des Verfassungsgerichts folgen mehreren Grundsatzurteilen des EuGH und noch unabhängiger Richter am Obersten Gericht und Obersten Verwaltungsgericht Polens: Diese hatten etliche Teile der seit 2015 durchgesetzten «Justizreform» für rechtswidrig erklärt: etwa Beschlüsse zur Richterauswahl, einen rechtswidrigen, weil politisch kontrollierten Landesjustizrat (KRS) oder eine gleichfalls politisch abhängige Disziplinarkammer am Obersten Gericht. Diese ist sowohl dem EuGH wie polnischen Richtern zufolge kein ordentliches Gericht und muss abgeschafft werden; ihre Entscheidungen sind ungültig.

Auch Polens Verfassungsgericht steht im Zweifel. Am Urteil vom Donnerstag nahmen auch sogenannte «Doppelgänger» teil: also Juristen, die von der PiS-Regierung rechtswidrig berufen wurden anstelle noch 2015 rechtskonform berufener Richter. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte erklärte Entscheidungen, an denen diese Nicht-Richter beteiligt sind, für rechtswidrig. Das Europäische Parlament erklärte Polens Verfassungsgericht am 16. September für «illegitim».

Brüssel hat Strafgelder beantragt

Die Entscheidung des Verfassungsgerichts war nicht einstimmig. Der Richter Piotr Pszczolkowski erklärte, das wahre Ziel des Antrages des Regierungschefs und des unzulässigen Urteils sei es, «die rechtlichen Folgen konkreter Urteile des EuGH aufzuheben». Polnische – noch unabhängige – Gerichte sollten gelähmt werden, damit sie die «Justizreform» nicht kontrollieren könnten.

Einem EuGH-Urteil vom 15. Juli zufolge muss Polen etliche Gesetze ändern, mit denen Polen die etwa 10‘000 Richter des Landes diszipliniert: Das gilt für KRS und Disziplinarkammer, oder für Änderungen im Disziplinarrecht, die Richtern verbieten, sich in Fragen der Rechtsauslegung an den EuGH zu wenden. Diese müssen ebenso abgeschafft werden wie ein «Maulkorbgesetz», das Richtern etwa mit Strafe droht, wenn sie sich auf EU-Recht berufen und diesem entgegenstehende heimische Gesetze oder Verordnungen missachten, wozu sie nach EU-Recht ebenfalls verpflichtet sind. In einem weiteren, am Mittwoch ergangenen Urteil ermächtigte der EuGH noch unabhängige Richter am Obersten Gericht, rechtswidrig ernannte Richter an einer Ausserordentlichen Kontrollkammer, die jedes rechtskräftige Urteil aufheben kann, den Richterstatus abzusprechen und ihre Entscheidungen für nicht existent zu erklären.

Polens Regierung missachtete schon vor den Urteilen des Verfassungsgerichtes auch Verfügungen des EuGH, die nicht im Zusammenhang mit dem Abbau des Rechtsstaats in Polen standen: So befolgt Polen eine Verfügung des EuGH vom Mai 2021 nicht, in einem Streit mit Tschechien wegen schwerer Regelverletzungen beim Braunkohletagebau Turow im Dreiländereck zu Tschechien und Deutschland diesen unverzüglich einzustellen. Im September verhängte der EuGH deshalb ein tägliches Strafgeld von 500‘000 Euro. Die EU-Kommission hat wegen der Warschauer Missachtung der EuGH-Entscheidungen zum Rechtsstaat weitere Strafgelder beantragt.