Analyse zur Krise EU - PolenGelder für Polen zu sperren, wäre gefährlich
Das Verfassungsgericht in Warschau stellt Landesrecht über EU-Recht. Die EU muss nun entscheiden, wie sie mit dem widerspenstigen Mitgliedsstaat umgehen soll.
Die Führungsriege der Europäischen Union hat diese Woche eine deprimierende Debatte geführt. Es ging beim Gipfeltreffen um europäische Autonomie, vor allem militärische. Und so notwendig diese Diskussion sein mag, so deutlich zeigt sie, wie machtlos die EU ist. Bevor die Europäer in der Lage wären, mit eigenen Kräften den Flughafen von Kabul zu sichern, wird Afghanistan wohl zu einer astreinen Demokratie herangereift sein, sprich: in unvorstellbar weiter Zukunft.
Deshalb könnte man als Zyniker dem Mitgliedsland Polen fast dankbar sein, dass es die EU nun an ihren ureigenen Kern erinnert. An gemeinsame Werte. Und gemeinsames Geld.
Die polnische Regierung macht sich die heimische Justiz untertan und schert sich nicht im Geringsten um den Protest aus Brüssel. Das ist die − offensichtlich von der Regierung bestellte − Botschaft des polnischen Verfassungsgerichts, indem es polnisches Recht über EU-Recht stellte.
Für Polen gehts um 38 Milliarden Euro
Weil das gemeinsame Recht aber das Fundament der Union bildet, wird die EU-Kommission als Hüterin der europäischen Verträge nun gar nicht mehr anders können, als mit dem Entzug von Haushaltsmitteln zu antworten. Mittel und Wege dazu hat sie, und es ist der richtige Zeitpunkt dafür, sie anzuwenden.
Milliardensummen werden gerade in Europa verteilt, um die Volkswirtschaften in Schwung zu bringen und klimaverträglich zu modernisieren. Ein historisches Projekt, das an Bedingungen gekoppelt ist. Die Kommission hält die Tranchen für Polen und Ungarn zurück, weil «Empfehlungen» zu Rechtsstaatlichkeit und Korruptionsbekämpfung nicht befolgt werden.
Allein für Polen stehen 38 Milliarden Euro auf dem Spiel. Und es könnte noch sehr viel mehr werden, wenn die Kommission Vertragsverletzungsverfahren einleitet oder den neuen «Rechtsstaatsmechanismus» anwendet.
Eine Katastrophe von historischem Ausmass wäre es, würden Polen oder Ungarn die EU verlassen.
Geld zu sperren, ist aber ein durchaus gefährlicher Weg. Polen und Ungarn können wichtige Entscheidungen der EU blockieren. Wenn sie nicht mitziehen, wird Europa seine Klimaziele nicht erreichen. Und es ist fast unmöglich, die Regierenden zu bestrafen, ohne die in der Mehrzahl europafreundlichen Menschen zu treffen und noch mehr von ihnen den Populisten in die Arme zu treiben.
Eine Katastrophe von historischem Ausmass wäre es, würden Polen oder Ungarn am Ende dieses Weges die EU verlassen. Deshalb handelt fahrlässig, wer nun von «Polexit» schwadroniert. Eine besondere Rolle fällt Deutschland zu, das schon aus historischer Verantwortung Brücken bauen muss. Angela Merkel hat mit ihrer Politik des geduldigen Verhandelns Europa zusammengehalten. Aber ihre Methode stösst an Grenzen.
Wertedebatte vor Geldverteilung
Wer die Riege der Staats- und Regierungschefs sah, die in Slowenien über die Zukunft Europas beriet, konnte ins Grübeln geraten. Zu den Herren Morawiecki, der in Polen den Rechtsstaat zerstört, und Orban, der Ähnliches in Ungarn tut, gesellten sich der Slowene Jansa, ein Orban-Fan, und der Tscheche Babis, der an prominenter Stelle in den Pandora Papers auftaucht.
Dass der österreichische Kanzler Kurz just in der Woche in einer Korruptionsaffäre versank, war dem Erscheinungsbild der EU ebenfalls nicht zuträglich. Europa tut gut daran, das Verteilen von Geld mit einer Debatte über Werte zu verknüpfen.
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