Ihr Browser ist veraltet. Bitte aktualisieren Sie Ihren Browser auf die neueste Version, oder wechseln Sie auf einen anderen Browser wie ChromeSafariFirefox oder Edge um Sicherheitslücken zu vermeiden und eine bestmögliche Performance zu gewährleisten.

Zum Hauptinhalt springen

Gewerkschaften vor Abstimmung
«Mehr bezahlen, weniger Rente»? Linker Slogan stimmt nur für eine Minderheit

Das Plakat "Nein zum BVG-Abbau" wird auf einem Bildschirm angezeigt, waehrend einer Medienkonferenz ueber den Start der Unterschriftensammlung gegen die Pensionskassen-Rentensenkung duch die Referendumsbuendnis, am Freitag, 31. Maerz 2023 in Bern. (KEYSTONE/Anthony Anex)
Jetzt abonnieren und von der Vorlesefunktion profitieren.
BotTalk

Die Schweizer Bevölkerung hat sich längst daran gewöhnt: Steht eine Reform zur Abstimmung, bei der es ums Geld geht, sind die möglichen Konsequenzen oft schwer absehbar. Auch bei der Vorlage über die Reform des BVG sind die Schweiz und ihre Politik im Blindflug; das Kürzel steht für Bundesgesetz über die berufliche Alters-, Hinterlassenen- und Invalidenvorsorge. Hinzu kommt, dass selten zuvor eine Sachlage so kompliziert war. Die Abstimmung findet am 22. September statt. (Lesen Sie hier: So funktioniert das BVG – und das soll die Reform daran ändern.)

Diese Voraussetzungen öffnen zugespitzten oder stark übertriebenen Botschaften im Abstimmungskampf Tür und Tor. Der Slogan des Gewerkschaftsbundes, der das Referendum gegen die Reform ergriffen hat und das Nein-Lager anführt, lautet: «Mehr bezahlen, weniger Rente».

Das trifft jedoch nur für eine Minderheit der Bevölkerung zu. Für die Mehrheit dürfte sich wenig ändern. Ein signifikanter Anteil würde bei einer Zustimmung zur Vorlage sogar eine höhere Rente erhalten oder tiefere Beiträge bezahlen.

«Die Propaganda der Gegner ist für den überwiegenden Teil der Bevölkerung schlicht falsch», schreibt ein Sprecher des Arbeitgeberverbands. Dieser führt die Kampagne der Befürworter der Reform an. Das zuständige Bundesamt für Sozialversicherungen teilt die Kritik. Es ist insofern Partei, als es für den Bundesrat arbeitet, der die Vorlage befürwortet. Gleichzeitig ist es dafür zuständig, die Bevölkerung ausgewogen über die Fakten zu informieren.

«Für die nur obligatorisch oder nur wenig überobligatorisch versicherte Minderheit trifft die Aussage ‹Weniger Rente› pauschal nicht zu», steht in einer Analyse des Amts. Das Gleiche gelte «für die überobligatorisch versicherte grosse Mehrheit».

Das alles verlangt nach einer Aufschlüsselung. Hier ist sie, Schritt für Schritt:

Im Obligatorium stark spürbar

Die Senkung des Mindestumwandlungssatzes auf 6 Prozent betrifft nur jene Personen direkt, die kein oder kaum Geld im Überobligatorium angespart haben. Allerdings würden viele dieser Personen entweder aufgrund der verschiedenen Ausgleichsmassnahmen keine tieferen Renten erhalten. Oder sie würden während des Erwerbslebens weniger Geld einzahlen, weil die Reform tiefere Lohnbeiträge vorschreiben würde. Selbst auf zahlreiche Personen im Obligatorium trifft also die Aussage «Mehr bezahlen, weniger Rente» nicht zu.

Das haben Modellrechnungen des Bundes ergeben. Um wie viele Personen es sich genau handelt, ist nicht klar. Denn es existiert keine Datensammlung, die die Situation in der zweiten Säule für alle Werktätigen zusammenfasst. Eine der wenigen verlässlichen Angaben ist, dass rund 12 Prozent der Versicherten nur nach dem gesetzlichen Minimum versichert sind.

Die Gegner der Vorlage kritisieren die vom Bund angewandte Methode als «völlig weltfremd». Dies, weil der Bund die Berechnungen unter der Annahme gemacht hat, dass die Betroffenen ein Leben lang den gleichen Lohn haben. In der Realität trifft das auf niemanden zu. «In der Praxis sind die Auswirkungen negativer», sagt Gabriela Medici, Zentralsekretärin beim Gewerkschaftsbund.

Als Beispiel zieht sie die Pensionskassen der Stiftung Proparis heran, in der rund 70’000 Personen aus knapp 10’000 Gewerbebetrieben versichert sind. 58 Prozent davon würden nach Einführung der Reform eine tiefere Rente erhalten. Das berichtete diese Zeitung vorletzte Woche gestützt auf eine Auswertung der Stiftung.

Wenige im Überobligatorium betroffen

Die meisten Versicherten mit überobligatorischen Leistungen werden durch die Veränderungen der Reform am Obligatorium nicht direkt betroffen sein. Die etwas komplizierte Erklärung dafür: Ihr überobligatorisch angespartes Kapital ist zum Zeitpunkt der Pensionierung so viel höher als das obligatorische, dass die Senkung des Umwandlungssatzes zwar die Rentengarantie senkt. Doch weil dieses selbst mit dem noch tieferen Umwandlungssatz des Überobligatoriums übertroffen wird, spielt das für diese Versicherten keine Rolle.

Der Gewerkschaftsbund sieht das anders. «Das Gesetz gilt für alle. Doch nicht einmal der Bund kann sagen, wie die Reform umgesetzt wird und was sie für Konsequenzen haben wird», sagt Zentralsekretärin Medici. «Klar ist: Mit der Reform sinken die Garantien auf dem BVG-Grundsockel, den alle haben, und zwar um 12 Prozent. Das erweitert den Spielraum der Pensionskassen, weitere Senkungen zu beschliessen.»

Eine kürzlich publizierte Umfrage von Swisscanto unter den Pensionskassen zeigt, dass der Umwandlungssatz die Talsohle noch nicht erreicht hat. Bis 2029 dürfte er von heute durchschnittlich 5,3 auf 5,2 Prozent sinken. Diese Schritte dürften die Kassen aber grösstenteils unabhängig von der Reform vollziehen. 

Die Hälfte lässt sich das Kapital auszahlen

Klar ist, dass 20 Prozent aller Versicherten direkt von der Reform betroffen sein werden, obwohl sie auch überobligatorisches Kapital angespart haben. Dies sei so, schreibt der Bund, «da ihre berufliche Vorsorge nur wenig über das gesetzliche Minimum hinausgeht». Bei diesen Personen kommt also die Rentengarantie des Obligatoriums zum Tragen.

Zählt man zu diesen Betroffenen die 12 Prozent hinzu, die nur obligatorisch versichert sind, wäre rund ein Drittel aller Personen mit Pensionskasse von den Reformen im Obligatorium betroffen. Allerdings verzichtet rund die Hälfte auf eine Rente und lässt sich stattdessen mit der Pensionierung das in der beruflichen Vorsorge angesparte Kapital auszahlen. Aus diesem Grund argumentieren die Befürworter der Reform, dass nur 15 Prozent aller Versicherten überhaupt zu den Betroffenen zählen. Zudem sind die Auswirkungen für diese bei weitem nicht durchwegs negativ.

Für Gewerkschafterin Gabriela Medici steht trotzdem fest: «Am meisten betroffen sind ausgerechnet jene, die sich Rentenverluste am wenigsten leisten können. Das sind Leute in normalen, mittelständischen Berufen wie Maler, Bäckerinnen oder Metzger. Die Privilegierten kommen wieder einmal ungeschoren davon.»

Mit Blick in die Vergangenheit stimmt der Slogan halbwegs

Die Gewerkschaften wollen «Weniger Rente» nicht nur mit Bezug auf die BVG-Reform verstanden wissen, sondern meinen damit die generelle Entwicklung der letzten Jahre. Tatsächlich haben in den letzten Jahren die meisten Pensionskassen mit Überobligatorium ihre Umwandlungssätze deutlich unter den Mindestumwandlungssatz gesenkt. So konnten sie sich trotz gestiegener Lebenserwartung finanziell stabil halten. Gelitten haben darunter die neu Pensionierten, die tiefere Renten akzeptieren mussten.