Transatlantische BeziehungenDie EU sollte endlich beginnen, sich unabhängig zu machen
Der Ukraine-Krieg erfordert klare europäische Antworten – und zwar jetzt. Denn nach den US-Wahlen kann Europa nicht mehr auf Amerika zählen.
Spricht man derzeit von den Beziehungen zwischen Europa und den USA, geht das leider nicht ohne das schlimme F-Wort. Thierry Breton, der aus Frankreich stammende EU-Kommissar, hat es provoziert mit einem Brief an Elon Musk, den X-Chef. Musk dürfe in seinem live auf X übertragenen Gespräch mit dem Präsidentschaftskandidaten Donald Trump keinesfalls europäische Bürgerinnen und Bürger durch Hass und Hetze aufwiegeln, mahnte Breton. Musk antwortete dem Kommissar, indem er das Schimpfwörtchen «fuck» in eine ganz besonders üble Beleidigung einflocht. Vorsichtshalber eher sinngemäss: Kümmere dich um deinen eigenen Dreck, du Europäer!
Das ist genau das Amerika, das die meisten in Europa nicht wollen. Ganz verzaubert blickt man dort daher auf Kamala Harris – zumindest bei dem erheblichen Teil, der Donald Trump fürchtet und verachtet. Dahinter steckt einerseits der Glaube, die demokratische westliche Welt möge mit einer schwarzen US-Präsidentin einen Neuanfang erleben. Dahinter steckt aber andererseits auch die nostalgische Hoffnung, die USA würden weiterhin Europa aus der Patsche helfen in den Grosskrisen dieser Welt, vor allem in der Ukraine. Aber diese Hoffnung ist trügerisch.
Joe Biden wird in die Geschichte eingehen als der letzte überzeugte Freund Europas im Amt des US-Präsidenten. Kamala Harris ist bislang nicht als überzeugte Transatlantikerin in Erscheinung getreten und wird das auch nicht mehr in der gewohnten Weise tun. Europa muss endlich lernen, auf eigenen Beinen zu stehen. Diese Erkenntnisse sind absolut nicht neu, aber offenbar in Europa nicht überall angekommen.
Europa hat seine Führungsmächte verloren
Der Krieg in der Ukraine, der neuerdings auch auf russischem Boden geführt wird, verlangt nach eindeutigen europäischen Antworten. In einer idealen Welt würde deshalb Deutschland als eine Führungsmacht des Kontinents den Verteidigungshaushalt dauerhaft massiv ausbauen und die Partnerstaaten dazu bewegen, Europas Budget für Waffenlieferungen an die Ukraine zu verdoppeln, verbunden mit einer EU-weiten Offensive auf dem Feld der Diplomatie: Sieh her, Putin, wir halten durch – willst du nicht endlich ernsthaft über einen Frieden verhandeln?
Aber die europäische Welt ist nicht ideal. Im Gegenteil, es ist ein trauriges Bild, das die Europäische Union in diesem Sommer abgibt. An der Spitze ihres wirtschaftlich stärksten Mitgliedsstaates steht eine Ampelregierung, die mit ihrem Haushaltskrach in aller Welt den Verdacht erweckt, sie lasse die Ukraine im Stich. Deutschland hat keine Regierung mehr, die diesen Namen verdient. Frankreich, die zweite Führungsmacht, hat ihre politische Mitte verloren. Und die Geschäfte führt der Trump-Freund Viktor Orban. Er nutzt die ungarische Ratspräsidentschaft, um Sand ins Getriebe der EU zu streuen. Umso bizarrer wirkt die Sommerpause, in der sich die Union gerade befindet. Und mag die Welt in Aufruhr sein – in Brüssel steht im August der Betrieb still.
Europa wird in Krisen gemacht, lautet eine alte Weisheit, darauf sollte man nach wie vor vertrauen. Aber die EU sollte endlich anfangen, sich wirklich unabhängig zu machen. Die Ferien für Europa sind vorbei, wer auch immer die Wahlen in den USA gewinnen wird.
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