Weniger Militärhilfe für die UkraineDeutschlands Sparhaushalt alarmiert Kiew
Die deutsche Regierung will bei der Unterstützung der Ukraine künftig die Staatsfinanzen schonen. Sie setzt auf ein wackliges Instrument – und erntet Kritik.
Wenn ein grösserer Dissens übertüncht werden soll, dann ist es Zeit für fein gedrechselte «Sprachregelungen». Das Kanzleramt in Berlin liess am Sonntag verlauten: «Deutschland steht fest an der Seite der Ukraine und ist der grösste Unterstützer der Ukraine in Europa, finanziell, wirtschaftlich und auch militärisch.» Und das Finanzministerium machte deutlich, man sei trotz Geldmangels bereit, «die kurzfristige Bereitstellung weiterer Mittel zu prüfen».
Was verschleiert werden sollte: Die Sparzwänge im deutschen Staatshaushalt haben nun konkrete Auswirkungen auf die Militärhilfe für die Ukraine. In dieser Frage stehen sich Kanzleramt und Finanzministerium auf der einen und Aussen- und Verteidigungsministerium auf der anderen Seite gegenüber. Erneut macht die Ampel-Regierung eine schlechte Figur in der Öffentlichkeit. Auslöser war ein Bericht der «Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung».
In einem Schreiben von Finanzminister Christian Lindner (FDP) an Aussenministerin Annalena Baerbock (Grüne) und Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) heisst es, dass neue Massnahmen mit Zahlungsverpflichtungen nur noch ergriffen werden dürfen, wenn «eine Finanzierung gesichert ist». Das bedeutet: Selbst wenn sich die Lage für die Ukraine gravierend ändert, kann nicht ohne weiteres mehr mit zusätzlicher Unterstützung reagiert werden.
Finanzierung über eingefrorene russische Vermögen
In so einem Fall soll auf ein anderes Instrument zurückgegriffen werden: Zinsen aus eingefrorenem russischem Vermögen. Lindner betont, dass mit dieser «in der Umsetzung befindlichen Finanzhilfe» die Ukraine «einen wesentlichen Teil ihres militärischen Bedarfs decken wird». Allerdings ist unklar, ob das Instrument überhaupt funktioniert. Es ist rechtlich umstritten und könnte einen Präzedenzfall schaffen, für Moskau wäre das «Diebstahl».
Beim G-7-Gipfel in Italien war beschlossen worden, der Ukraine einen Kredit in Höhe von 50 Milliarden Dollar zu gewähren. Zins und Tilgung würden aus den Kapitalerträgen bezahlt, die eben das russische Vermögen liefert. Lindner und Scholz würde hier zupasskommen, dass man eigene Hilfen kleiner halten kann.
In Regierungskreisen wurde am Wochenende betont, dass Deutschland der grösste Unterstützer der Ukraine in Europa bleibe. Für die Militärhilfe seien im Haushalt 2025 weitere 4 Milliarden Euro vorgesehen. Was nicht gesagt wurde: Das ist nur etwas mehr als die Hälfte dessen, was bisher in diesem Jahr der Ukraine gewährt worden ist. Und es gibt Berichte, dass bestimmte Waffen und Munition knapp werden. Zudem soll die Lieferung eines weiteren Iris-T-Luftverteidigungssystems im Wert von 300 Millionen bereits auf Eis liegen.
Nach Hilfen von 7,1 Milliarden Euro im laufenden Jahr wurde ein Mehrbedarf von 3,8 Milliarden Euro für 2024 gemeldet, aber das Finanzministerium und das Kanzleramt blockieren bis jetzt eine Freigabe an das Parlament.
Ende der Zeitenwende von Kanzler Scholz?
Doch wie passt das zur Zeitenwende von Kanzler Olaf Scholz und zu seiner Absicht, die Ukraine weiter umfassend zu unterstützen? Sara Nanni, Verteidigungspolitikerin der Grünen, sagte auf Anfrage: «Das kommt zur Unzeit, weil es materiell ein Problem ist. Und es hat direkte Auswirkungen auf den Schutz der Zivilbevölkerung in der Ukraine.» Ausserdem entstehe der Eindruck, dass Deutschland es nicht ernst meine mit seiner Unterstützung. Und weiter: «Unsere Sicherheit hängt davon ab, wie das in der Ukraine ausgeht.»
Auch der Haushalts- und Verteidigungsexperte der Unionsfraktion, CDU-Politiker Ingo Gädechens, äusserte deutliche Kritik: «Olaf Scholz und seine Ampel führen bei der Ukraine ein beispielloses Schauspiel der Scheinheiligkeit auf.» Einerseits verspreche der Kanzler immer wieder, die Ukraine militärisch so zu unterstützen, wie es nötig sei – andererseits wolle er der Friedenskanzler sein. Es gebe hier eine «erschreckende Substanzlosigkeit des Kanzlers». Von heute auf morgen würde man die finanzielle und damit militärische Unterstützung der Ukraine einfrieren, sagte der CDU-Politiker.
In Regierungskreisen wurde solche Kritik zurückgewiesen und eine Vielzahl an Waffen aufgelistet, die aus den bestehenden Zusagen noch bis Ende 2024 geliefert würden, zum Beispiel zwei weitere Iris-T-SLM- sowie zwei Iris-T-SLS-Luftverteidigungssysteme, zehn Gepard-Panzer, 16 Panzerhaubitzen sowie Kampfdrohnen, mehrere Tausend Schuss Artillerie- und Panzermunition und 30 Kampfpanzer Leopard 1.
Ampel-Parteien stürzen ab im Osten Deutschlands
Zurückgewiesen wurde auch die Vermutung, dass die Haushaltspolitik der Ampel-Regierung irgendetwas mit den baldigen Landtagswahlen im Osten Deutschlands zu tun haben könnte, wo SPD, Grünen und FDP Klatschen drohen. In Sachsen und Thüringen könnten alle drei sogar an der Fünf-Prozent-Hürde scheitern. Dort punkten vor allem zwei Parteien, die vehement gegen Ukraine-Hilfen sind und für einen wie auch immer gearteten Frieden werben: die AfD und das Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW). (Lesen Sie zum Thema auch die Sachsen-Reportage «Feindbild Elektroauto – die AfD plant die Revolution».)
In der Ukraine ist man alarmiert. So meldete sich ein alter Bekannter zu Wort. Andri Melnik, früher als Botschafter in Deutschland, heute in Brasilien, liess via X wissen, das sei ein Paukenschlag, dass es vorerst keine zusätzliche Militärhilfe mehr für die Ukraine geben solle: «Das ist eine katastrophale Entscheidung der deutschen Regierung. Ich bin nur wütend und sprachlos.»
Sein Nachfolger in Berlin, Olexi Makejew, äusserte sich etwas diplomatischer, aber doch deutlich: «An der Militärhilfe für die Ukraine zu sparen, heisst, Europas Sicherheit zu gefährden.» Die Mittel seien da, es sei eine Frage des politischen Willens.
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