Ihr Browser ist veraltet. Bitte aktualisieren Sie Ihren Browser auf die neueste Version, oder wechseln Sie auf einen anderen Browser wie ChromeSafariFirefox oder Edge um Sicherheitslücken zu vermeiden und eine bestmögliche Performance zu gewährleisten.

Zum Hauptinhalt springen

Sieg im Rechtsstreit mit Syngenta
Belastetes Trinkwasser: Bund setzt Kantone unter Druck

Leitungswasser wird aus einer Karaffe in ein Wasserglas gefuellt, fotografiert am 16. April 2021 in Zuerich. (KEYSTONE/Christian Beutler)
Jetzt abonnieren und von der Vorlesefunktion profitieren.
BotTalk

Abbauprodukte des umstrittenen Fungizids Chlorothalonil belasten das Grundwasser – und damit das Trinkwasser, das daraus gewonnen wird. In mehr als der Hälfte der Kantone, darunter Bern und Zürich, wird der Grenzwert von 0,1 Mikrogramm pro Liter überschritten.

Am Mittwoch nun hat das Bundesamt für Lebensmittelsicherheit und Veterinärwesen eine neue Weisung an die Kantone erlassen. Erklärtes Ziel ist ein landesweit einheitlicher Umgang mit diesen Abbauprodukten, den sogenannten Metaboliten.

In den letzten vier Jahren waren dem Bundesamt die Hände gebunden. Grund war ein Rechtsstreit mit dem Agrochemie-Konzern Syngenta, der Fungizide mit dem Stoff Chlorothalonil herstellt. Chlorothalonil wurde auf Anfang 2020 in der Schweiz verboten.

Die Beschwerde von Syngenta

Das Bundesamt beschrieb den Wirkstoff als «wahrscheinlich krebserregend» und folgte damit einer Einschätzung der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit. Die Abbauprodukte stufte das Bundesamt folglich als toxikologisch relevant ein, damit galt fortan der Grenzwert von 0,1 Mikrogramm pro Liter. Die Folge: An vielen Orten wurden Grenzwertüberschreitungen festgestellt, und das Wasser galt nun als verschmutzt.

Syngenta kritisierte, der Entscheid sei aus wissenschaftlicher Perspektive nicht nachvollziehbar und folgenreich, sowohl für die Landwirte als auch für die Agrarindustrie. Der Einsatz von Chlorothalonil gefährde erwiesenermassen weder die Umwelt noch die Gesundheit.

Nach einer Beschwerde von Syngenta 2020 durfte der Bund die Chlorothalonil-Metaboliten nicht mehr als wahrscheinlich krebserregend bezeichnen. Das Bundesverwaltungsgericht hatte den «Maulkorb» vorübergehend verhängt, weil es davon ausging, Syngenta könnte – bis ein Urteil vorliegt – aufgrund der medialen Berichterstattung über das Thema ein wirtschaftlicher Nachteil erwachsen. Nun aber hat das Gericht die Beschwerde von Syngenta grösstenteils abgewiesen.

Bund erlässt neue Weisung

Das Bundesamt reagiert prompt auf das richterliche Verdikt – mit einer neuen Weisung. Auf Geheiss des Bundes müssen die Kantone die Wasserversorger auffordern, Massnahmen für eine Reduktion der Metabolitenkonzentration sofort umzusetzen. Dazu gehört etwa, belastetes Wasser mit unbelastetem Wasser zu mischen oder stark belastete Wasserfassungen aufzugeben.

Bleibt der Grenzwert überschritten, müssen die Kantone weitere Vorkehrungen treffen, etwa zusätzliche Filter einbauen oder Verbindungsleitungen erstellen, um unbelastetes Wasser von anderen Versorgern zu beziehen. Experten beziffern die möglichen Kosten für diese Anpassungen an der Infrastruktur landesweit auf mehrere Hundert Millionen Franken.

Wasserversorgung Zuerich: Die Fischtestanlage im Seewassewerk Lengg in Zuerich am 06. August 2015

Ist die Umsetzung der Massnahmen innert zwei Jahren nicht möglich, können die Kantone eine neue «angemessene Frist» setzen, wie es in der Weisung des Bundes heisst. «Die Kantone werden die Gemeinden unterstützen und keine unverhältnismässigen Massnahmen verlangen», sagt Kurt Seiler, der beim Verband der Kantonschemiker die Kommission Trink- und Badewasser präsidiert. Dem Bund müssen die Kantone die verfügten Massnahmen melden. Die Wasserversorger ihrerseits müssen die Bevölkerung über das Ausmass der Verschmutzung und die Massnahmen dagegen informieren.

Belastung dürfte weiter sinken

Erste Sofortmassnahmen hatten die Wasserversorger bereits 2020 nach dem Verbot von Chlorothalonil umgesetzt – ebenfalls nach Weisungen des Bundes. Zahlreichen Versorgern sei es so gelungen, die Höchstwerte im Trinkwasser einzuhalten, resümiert Christos Bräunle, Sprecher des Fachverbands für Wasser, Gas und Wärme, der als Hüter über das Trinkwasser fungiert. «Dank des Verbots von Chlorothalonil können wir davon ausgehen, dass die Belastung mit den Metaboliten sukzessive zurückgehen wird.»

Dieser rückläufige Trend ist aber längst noch nicht überall zu beobachten. Im Kanton Bern etwa lässt sich noch keine Tendenz feststellen, bilanziert das kantonale Laboratorium Bern. Das ist kein Zufall. «Es gibt grosse Schwankungen», sagt Seiler vom Verband der Kantonschemiker.

Entscheidend sei das Alter des Grundwassers. Sei es älter als das 2020 erlassene Chlorothalonil-Verbot, sehe man keine grosse Bewegung. «Ist es jünger als vier Jahre, erkennt man eine abnehmende Tendenz.» Seiler selber hält das Chlorothalonil-Verbot für richtig. «Es gibt jedoch keinen Grund zur Panik.» Belastetes Wasser sei nicht akut toxisch, er selber trinke es seit sechzig Jahren.

In diesem Sinn äussert sich auch Urs Von Gunten von der Forschungsanstalt Eawag. Der Grenzwert von 0,1 Mikrogramm pro Liter sei sehr konservativ angesetzt, mit hohen Sicherheitsfaktoren. «Es besteht keine unmittelbare Gefährdung der Bevölkerung.»

Das Verbot ist noch nicht fix

Damit die Trinkwasserressourcen langfristig geschützt werden, fordern Fachleute eine Stärkung des Vorsorgeprinzips. Notwendig sei insbesondere, Zuströmbereiche von Trinkwasserfassungen von regionaler Bedeutung auszuscheiden. Wird in diesen Gebieten der Grenzwert überschritten, können die Behörden den Pestizideinsatz einschränken.

Wasserversorgung Zuerich: Wasser im Langsamfilter des Seewassewerk Lengg in Zuerich am 06. August 2015

Andere Ansätze beurteilen Fachleute kritischer. So etwa sieht der Fachverband für Wasser, Gas und Wärme die mehrstufige Aufbereitung des Wassers höchstens als temporäre Massnahme. «Ziel muss sein, dass wir in der Schweiz Grund- und Quellwasser weiterhin ohne oder nach lediglich einfacher Aufbereitung mit UV-Strahlung als Trinkwasser abgeben können», sagt Sprecher Bräunle.

Ob das Chlorothalonil-Verbot hält, ist noch nicht sicher. Auch dagegen legte Syngenta Beschwerde ein. Der Fall ist beim Bundesverwaltungsgericht hängig.