Bandenkriminalität in BrasilienBehörden warnen davor, auf Fotos Handgesten zu machen
Ein Victory-Zeichen oder Rockergruss kann in Brasilien tödlich enden. Im Jahr 2024 sollen kriminelle Banden mehr als ein Dutzend Personen wegen missinterpretierten Gesten ermordet haben.

- In Brasilien ist die Gewohnheit weitverbreitet, auf Fotos nicht nur zu lächeln, sondern zusätzlich auch noch zu gestikulieren.
- Solche auf Social Media geposteten Gesten werden von kriminellen Banden allerdings immer wieder missverstanden – als Handzeichen einer verfeindeten Gang.
- Allein 2024 wurden deswegen über ein Dutzend Menschen ermordet.
Auf dem Foto, das sie vermutlich das Leben gekostet hat, lacht Rayane Alves fröhlich in die Kamera. Eine junge Frau, 25 Jahre alt, mit Baseballkappe und Zahnspange. Neben ihr steht Rithiele, ihre Schwester, drei Jahre älter. Beide halten eine Hand in die Höhe, Daumen, Zeige- und kleiner Finger abgespreizt. Gemeint war das wohl als coole Geste, der Rockergruss, auch «Pommesgabel» genannt: Auf geht’s, Party! Doch der Boss einer lokalen Bande glaubte, stattdessen das Handzeichen einer verfeindeten Gang erkannt zu haben – und befahl darum den Mord an den beiden Schwestern.
In Brasilien, der Heimat von Rayane und Rithiele Alves, hat ihr Tod viel Aufsehen erregt. Nicht nur, weil sie über Stunden hinweg gefoltert wurden, bevor man sie umbrachte, sondern auch, weil das Verbrechen kein Einzelfall ist.
Erst Anfang dieses Jahres wurde in Feira de Santana, im Bundesstaat Bahía, ein Zwanzigjähriger auf offener Strasse erschossen. Mordmotiv, glaubt die Polizei, war wohl ebenfalls ein Handzeichen auf einem Handyfoto, das Mitglieder einer Gang falsch interpretiert hatten. In Ceará, ganz im Norden von Brasilien, wurde ein 16-Jähriger aus einem ähnlichen Grund im Dezember totgeprügelt. Und wenige Wochen davor, im November letzten Jahres, wurde ein Jugendlicher in Manaus, im brasilianischen Amazonasgebiet, wegen eines Videos im Netz sogar geköpft.
Zwei hochgehaltene Finger als Sympathiebekundung für eine Gang
Allein 2024 gab es in Brasilien laut Berechnungen der Organisation «Armed Conflict Location and Event Data Project» mehr als ein Dutzend Morde aufgrund von falsch verstandener Gesten. Fast viermal so viele wie noch im Vorjahr – und die Dunkelziffer, glauben Experten, ist noch viel höher.
Eine Erklärung für diesen tragischen Trend ist die weitverbreitete brasilianische Gewohnheit, auf Fotos nicht nur freundlich zu lächeln, sondern zusätzlich auch noch zu gestikulieren. Kaum zückt jemand eine Handykamera, wandern meist schon die Daumen der Abgelichteten nach oben. Oi, tudo tranquilo: Hey, alles im grünen Bereich!
Wenn das Foto in die falschen Hände gerät, kann eine unverfängliche Geste aber schnell gefährlich werden. Zwei Finger, die zum Victory-Zeichen hochgehalten werden, könnten Kriminelle zum Beispiel auch als Sympathiebekundung für das Comando Vermelho interpretieren, eine der grössten Gangs im Land. Drei Finger wiederum, so wie beispielsweise beim Rockergruss, wären andersherum ein Hinweis für eine Mitgliedschaft bei deren Erzrivalen, dem Primeiro Comando da Capital.
Ganze Viertel in Rio de Janeiro und São Paulo sind in der Gewalt der Banden
Die beiden Gangs und ihre Untergruppen liefern sich in Brasilien seit Jahren blutige Revierkämpfe. Es geht um Drogenhandel, Glücksspiel, Prostitution und vor allem: sehr viel Geld. In Rio de Janeiro und São Paulo haben die Banden mittlerweile ganze Viertel in ihrer Gewalt. Längst aber sind sie auch in anderen Teilen des Landes aktiv, in einstmals ruhigen Kleinstädten im Landesinneren ebenso wie im Süden Brasiliens und ganz oben, im traditionell strukturschwachen Norden.
Dort ist die Situation mittlerweile so angespannt, dass eine Popsängerin unlängst sogar ein Video aus dem Netz nehmen musste wegen einer unbedachten Handbewegung. Und Behörden und Touristenführer warnen davor, irgendwelche wie auch immer gearteten Gesten auf Fotos zu machen. Sicher ist sicher.

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