Drogenbanden in LateinamerikaBananen, Blut und Kokain – wie die albanische Mafia Ecuador aufmischt
Bosse vom Balkan greifen nach der Macht im Drogenbusiness. Doch nun wird es eng für sie. Ein Kokainbaron wurde gefasst, mehrere starben im Kugelhagel.
Der Boss der albanischen Drogenbosse, Dritan Rexhepi, residierte standesgemäss in einer Luxusvilla in Istanbul, als er von der türkischen Polizei überrascht wurde. Um diesen Mann ranken sich Legenden. Eine davon lautet: Ihm seien mehr Fluchten aus dem Gefängnis gelungen als dem sagenumwobenen mexikanischen Kokainbaron Joaquín «El Chapo» Guzmán.
Seine kriminelle Karriere begann Rexhepi vor mehr als 20 Jahren in Albanien – als Auftragsmörder. In Italien schmuggelte er später Drogen, in Belgien und Spanien machte er als Räuber Schlagzeilen. In die Türkei reiste Rexhepi unter falscher Identität mit einem kolumbianischen Pass ein. Dort wurde er im vergangenen November festgenommen. Die albanischen und italienischen Behörden verlangen seine Auslieferung. Sechs Reisepässe und vermutlich sechs verschiedene Namen soll der Drogenkönig benutzt haben, um seine Spuren zu verwischen.
Das Drogenkartell «Kompania Bello»
In die Metropole am Bosporus kam Rexhepi mit grösster Wahrscheinlichkeit aus Ecuador, wo er seinen zweifelhaften Ruhm begründet hatte. Im Andenstaat soll er vor mehr als zehn Jahren das albanische Drogenkartell «Kompania Bello» aufgebaut haben. Gemäss der europäischen Polizeibehörde Europol handelt es sich um eine der aktivsten Banden in Europa beim Kokainschmuggel aus Lateinamerika.
Wäre Ecuador ein Staat mit einer funktionierenden Justiz, dann sässe Rexhepi immer noch in seiner Zelle im Latacunga-Gefängnis unweit der Hauptstadt Quito. Ein Gericht hatte ihn wegen Drogenschmuggels im grossen Stil zu 13 Jahren Haft verurteilt. 2021 kam er unter Auflagen frei. Bis zum Ende seiner Gefängnisstrafe hätte er sich alle zwei Wochen bei den Behörden melden sollen. Doch der mächtige Drogenboss tauchte unter.
In Ecuador sollen sich etwa 1500 albanische Staatsbürger aufhalten. Neugierige Backpacker dürften die wenigsten unter ihnen sein. Im Gespräch mit dieser Redaktion nennt die albanische Publizistin Fatjona Mejdini drei Gründe, weshalb Ecuador für ihre Landsleute zum Eldorado wurde: «Erstens konnten Albaner bis 2022 visumfrei einreisen und den Aufenthalt als Touristen verlängern. Zweitens: Mit der enorm steigenden Nachfrage nach Kokain in Europa ist in Lateinamerika auch für osteuropäische Banden viel Raum entstanden für kriminelle Aktivitäten. Schliesslich sind die Albaner mittlerweile in der Hierarchie der Drogenmafia weit aufgestiegen: von Strassendealern in Westeuropa zu Drogenbossen in Ecuador.»
Hafenstadt als Hochburg der Drogenmafia
Mejdini arbeitet für das in Genf ansässige Netzwerk Global Initiative Against Transnational Organized Crime (Gitoc) und hat sich in Ecuador zu Recherchezwecken aufgehalten. Neben albanischen Gangs spielen dort laut Mejdini auch Serben und Montenegriner eine Rolle im Drogenhandel. Im Unterschied zu Albanern dürfen sie nach wie vor ohne Visum nach Ecuador kommen. Der Visumzwang für albanische Staatsbürger wurde wegen der Kriminalität eingeführt.
Nach Angaben der Rechercheplattform «Balkan Insight» organisierte Drogenboss Dritan Rexhepi allein in den Jahren 2016 und 2017 von seiner ecuadorianischen Zelle aus den Schmuggel von über sechs Tonnen Kokain.
Das «weisse Gold» wurde meist von der Hafenstadt Guayaquil nach Europa verschifft. Guayaquil am Pazifik gilt mittlerweile als Hochburg der Organisierten Kriminalität und der Drogenmafia.
In den vergangenen Jahren wurden dort vier albanische Drogenhändler erschossen. Laut Forschungsarbeiten der Lateinamerikanischen Fakultät für Sozialwissenschaften (Flasco) in Quito hat sich die Mordrate in Ecuador seit 2017 verneunfacht – von 5 Morden pro 100’000 Einwohner auf 46 im vergangenen Jahr. Zum Vergleich: Die Mordrate in der Schweiz beträgt 0,3 auf 100’000 Personen.
7500 Menschen getötet
Im vergangenen Jahr starben in dem lateinamerikanischen Land knapp 7500 Menschen durch kriminelle Gewalt, wie lokale Medien berichteten. Fast die Hälfte davon wurde in Guayaquil und in der Umgebung erschossen.
Eine der wichtigsten Schmuggelrouten für Kokain führt vom Hafen in Guayaquil nach Antwerpen, Rotterdam, Valencia und Portsmouth. Meist wird das Rauschgift in Containern mit Bananen, gefrorenem Fisch oder Shrimps versteckt. 2018 beschlagnahmte die albanische Polizei in der Hafenstadt Durrës über 600 Kilo Kokain, das im doppelten Boden eines Containers versteckt war. 2021 entdeckten kosovarische Drogenfahnder in einem Lastwagen 2,2 Tonnen Kokain. Der LKW kam aus Durrës und transportierte offiziell Bananen. Ecuador ist im wahrsten Sinne des Wortes eine Bananenrepublik. Das südamerikanische Land ist der weltweit grösste Exporteur der hellgelben Früchte und verschifft jährlich 7,2 Millionen Tonnen auf dem Seeweg.
«Ecuadors Unglück kommt auch aus Peru und Kolumbien: Die Nachbarländer sind die weltgrössten Kokainproduzenten», sagt die albanische Journalistin Fatjona Mejdini. Seit die kolumbianische Farc-Guerilla die Waffen niedergelegt hat, sind mehrere Splittergruppen entstanden, die in Ecuador mit Drogen dealen und Transportwege kontrollieren. Die selbst ernannten marxistischen Guerillakämpfer waren schon immer auch Narcoterroristen und haben mit dem mexikanischen Drogenboss «El Chapo» zusammengearbeitet.
Laxe Sicherheitskontrollen
Lokale und transnationale Gangs fordern den ecuadorianischen Staat offen heraus. Am 9. Januar überfielen Bewaffnete ein TV-Studio in Guayaquil und nahmen Journalisten vor laufender Kamera als Geiseln. Kurz danach töteten Auftragsmörder einen bekannten Staatsanwalt, der gegen die Angreifer ermittelte. Bereits vor diesen Zwischenfällen hatte die Regierung den Ausnahmezustand verhängt.
Viele Experten erheben schwere Vorwürfe gegen den ehemaligen Präsidenten Rafael Correa, der Ecuador von 2007 bis 2017 regierte. Der Linkspopulist liess eine US-Militärbasis nördlich von Guayaquil schliessen. Von dort aus wurden Aktionen gegen Drogenbanden logistisch unterstützt. Auch die Zusammenarbeit mit der US-Drogenbehörde DEA wurde reduziert. Die Privatisierung der Häfen führte zu laxen Sicherheitskontrollen. Mit einer Amnestie versuchte Correa erfolglos, die Jugendbanden zu neutralisieren und für seine politischen Zwecke zu instrumentalisieren.
Die Drogenbosse wollen das Geld reinwaschen
Wie tief sich die albanische Mafia im Land eingenistet hat, zeigte im vergangenen Jahr eine Recherche der Internetzeitung «La Posta». Demnach pflegte der Schwager des damaligen Staatschefs Guillermo Lasso enge Verbindungen zu albanischen Drogenhändlern. Diese Männer hätten derzeit nur eine Sorge, sagt die Expertin Fatjona Mejdini: die in Ecuador und anderswo vom Drogenhandel gewonnenen Millionen reinzuwaschen.
Auffallend ist, dass Albaniens Ministerpräsident Edi Rama seit ein paar Monaten gebetsmühlenartig eine Steueramnestie fordert. Sie würde es albanischen und ausländischen Staatsbürgern ermöglichen, bis zu zwei Millionen Euro an nicht deklariertem Geld in das Bankensystem des Landes einzuzahlen – ohne die Herkunft des Vermögens offenzulegen. Die albanische Opposition spricht von einem Gesetz zugunsten der Drogen- und Menschenhändler. Nach Protesten der USA und der Europäischen Union ruderte Rama zurück, ganz aufgegeben hat er seinen ominösen Plan noch nicht.
Mehr als die Hälfte der Ankläger und Richter entlassen
Im November wurden in der albanischen Hauptstadt Tirana mehrere hochrangige Polizeibeamte und Kriminelle verhaftet, die Geldwäscherei betrieben haben sollen. Ihre Namen waren im Messengerdienst Sky ECC aufgetaucht, der 2021 von den belgischen Behörden entschlüsselt wurde, was weltweit Verbrechersyndikate in Bedrängnis brachte.
Der albanische Journalist Lutfi Dervishi schrieb unlängst, von 62’000 Nutzern des Kryptodienstes Sky ECC seien 18’000 Albaner. Diese Information stamme aus einer Quelle in den Sicherheitsdiensten, so Dervishi gegenüber dieser Redaktion. Neuerdings müssen Polizeibeamte in Albanien Auskunft darüber geben, ob sie das Handynetzwerk der Mafia heruntergeladen und genutzt haben. Wer unwahre Angaben mache, werde entlassen, drohte der Innenminister.
Alle Hoffnungen in Albanien ruhen derzeit auf die Antikorruptionsbehörde Spak, die mit Unterstützung der USA und der EU im Rahmen einer tiefgreifenden Justizreform gegründet wurde. Das meistverbreitete, meistgehörte und meistgelesene Wort in Albanien ist seit Jahren «veting». Es stammt aus dem Englischen «vetting» und bedeutet die Überprüfung aller Richter und Staatsanwälte.
Dieser Prozess ist auf dem Balkan einmalig: Bisher wurden mehr als die Hälfte der Ankläger und Richter entlassen, weil sie fachlich ungeeignet waren oder ihr Vermögen auf dubiose Weise angehäuft hatten. Die Publizistin Fatjona Mejdini lobt die Arbeit der Antikorruptionsbehörde. «Für die Verbrecher und ihre Helfershelfer wird es auch in Albanien eng.»
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