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Verkauf von Atomstrom
Frankreich fordert Schweizer Geld für neue AKW – ist das ein Bluff?

epa08200308 General view of the nuclear power plant in Cattenom, France, 07 February 2020. The Cattenom Nuclear Power Plant is located about 5 km from Thionville (Moselle, north France). The Franco-Luxembourg Joint Nuclear Security Commission held its eighteenth meeting on February 4, 2020 at the headquarters of the Nuclear Safety Authority (Montrouge, France). The two delegations also reviewed the crisis management structures and the means of communication in emergency situations.  EPA/JULIEN WARNAND
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Die Schweiz baut zwar Kapazitäten an erneuerbarer Energie zu, doch ohne Importe wird sie auch in Zukunft nicht auskommen. Eine wichtige Quelle dürfte weiterhin Strom aus französischen Atomkraftwerken sein.

Im Wissen um diese Abhängigkeit hat die französische Regierung jetzt eine bemerkenswerte Forderung aufgestellt. Wie die NZZ am Sonntag schreibt, sagten Vertreter des Aussendepartements gegenüber internationalen Journalisten Ende März: «Frankreich hält es für opportun, dass sich Länder, die selbst keine neuen AKW bei sich haben wollen, aber gerne Atomstrom aus Frankreich importieren, an den Kosten für den Bau der geplanten neuen AKW in Frankreich beteiligen.» Gemeint sei damit explizit auch die Schweiz.

«Erste Priorität muss der Zubau von Stromproduktion im Inland haben. Sollten wir diese Zielsetzung verfehlen, wonach es zurzeit aussieht, dann müssen Investitionen in Frankreich für eine gesicherte Energieversorgung diskutiert werden», reagiert FDP-Parteipräsident Thierry Burkart auf die Forderung. Burkart schwebt hierfür eine Zusammenarbeit zwischen den grossen Stromversorgern wie Axpo, Alpiq und BKW in Koordination mit dem Bund vor.

Vieles hängt vom 9. Juni ab

Für die Importe und allfällige Auslandsinvestitionen sind die Stromunternehmen zuständig, bestätigt auch das Bundesamt für Energie: «Eine allfällige Beteiligung wäre Sache der Stromunternehmen, bei denen auch die Verantwortung für die sichere Stromversorgung der Schweiz liegt.» Dem Bund fehlt die gesetzliche Grundlage, um sich selbst am Bau französischer Atomkraftwerke zu beteiligen.

Bevor in dieser Sache allerdings irgendetwas passiere, wolle er die Abstimmung über das Stromgesetz vom 9. Juni abwarten, sagt Burkart. Für dieses haben sich Links und Rechts im Parlament auf einen Kompromiss geeinigt, um den schnelleren Ausbau verschiedener Formen von erneuerbaren Energien zu ermöglichen.

«Sollte das Gesetz abgelehnt werden, bräuchte es grosse Anstrengungen an allen Fronten, um zu kompensieren, dass wir uns im Inland gegenseitig blockieren», sagt Burkart. Neben dem schleppenden Ausbau der Erneuerbaren wehrt sich Mitte-links gegen den Ausbau der Atomkraft im Inland.

Die Bevölkerung hatte 2017 per Abstimmung den schrittweisen Atomausstieg beschlossen. Vor dem Hintergrund einer möglichen Energiemangellage versuchen bürgerliche Kreise seit wenigen Jahren jedoch, diese Entscheidung umzustossen.

Frankreich hat riesige Pläne

Sollte jemals Schweizer Geld für Atomkraftwerke nach Frankreich fliessen, dürfte das noch lange dauern: Weder beim Bund noch bei den drei grossen Stromversorgern sind nach eigener Aussage Anfragen aus Paris dazu eingegangen.

Eine Sprecherin des Bundesamts für Energie wirft zudem die Frage auf, ob zusätzlicher Strom rechtzeitig verfügbar wäre, um die sich anbahnende Versorgungslücke der Schweiz zu füllen. Neue Atomkraftwerke zu bauen, dauert auch in Frankreich Jahrzehnte: Bis zu 14 neue Reaktoren wünscht sich Präsident Emmanuel Macron bis 2050.

Sollten Schweizer Firmen entsprechende Investitionen in Frankreich tätigen, würden sie dafür Liefergarantien erhalten. So dürfte die Forderung Frankreichs gemeint gewesen sein, selbst wenn das Aussendepartement in Paris eine Bitte um Klärung bisher unbeantwortet liess. Zumindest lief es schon in den 1970er-Jahren so, als sich die grossen Schweizer Stromkonzerne finanziell am Bau verschiedener französischer Atomkraftwerke beteiligten.

Diese sind mittlerweile alle abgeschaltet, doch noch immer haben Axpo, BKW und Alpiq langfristige Lieferverträge für französischen Atomstrom. Je nach Laufzeit der französischen Werke, für die sie Gültigkeit haben, enden sie in den 2040er- oder 50er-Jahren.

Bundesrat Albert Roesti, links, spricht mit Christian Imark, SVP-SO, rechts, waehrend der Herbstsession der Eidgenoessischen Raete, am Dienstag, 26. September 2023 im Nationalrat in Bern. (KEYSTONE/Anthony Anex)

Eine belastbare öffentliche Quelle dafür, wie wichtig französischer Atomstrom für die Schweiz ist, gibt es nicht. Ein Axpo-Sprecher schreibt jedoch: «Wir gehen von insgesamt rund 12 Terawattstunden pro Jahr aus.» Das wäre mehr als ein Fünftel des Schweizer Stromverbrauchs.

Wie ernst es Produktionsländern mit Liefergarantien ist, zeigt sich allerdings erst im Falle einer europaweiten Mangellage. Für die Zeit ab 2025 haben sich die EU-Staaten zugesichert, mindestens 70 Prozent ihres Stroms untereinander zu handeln. 

Ob dann noch genug für die Schweiz übrig bleibt, ist unklar. Gleiches gilt für die Frage, ob Liefergarantien eines französischen Staatskonzerns der neuen EU-Regelung während einer europaweiten Mangellage standhalten würden.

«In der Krise sind sich alle Länder selbst am nächsten», sagt darum SVP-Energiepolitiker Christian Imark. «Die Stromkonzerne dürfen natürlich im Ausland investieren, wenn sie das wollen. Eine Garantie für Atomstrom darf aber nicht dazu führen, dass sie im Inland weniger zubauen.»

Der Solothurner Nationalrat Imark ist eine der prominenten Stimmen in der SVP, die sich für ein Ja zum Stromgesetz am 9. Juni einsetzen. Nachdem sich ihre Stimmen im Parlament noch gegenseitig aufgehoben hatten, hat die Delegiertenversammlung der Partei kürzlich die Nein-Parole zur Vorlage beschlossen. (Lesen Sie hier unseren Artikel über die Ja-Stimmen in der SVP)

Alpiq: «Diskussion erübrigt sich»

Gar als «Bluff» bezeichnet Nils Epprecht, Geschäftsführer der atomkritischen Energiestiftung, die französische Forderung. «Frankreich will seine Atomkraftwerke sowieso bauen, weil es sich stärker als Atommacht positioniert, sowohl was die zivile als auch die militärische Nutzung angeht», sagt er. 

Sobald diese einmal Strom ins Netz einspeisten, sei es technisch nicht möglich zu verhindern, dass dieser auch in die Schweiz fliesse. «Jetzt die hohle Hand dafür zu machen, ist ein billiger Versuch Frankreichs, seine seit Jahren überbordenden Kosten im Atomsektor abzuwälzen», sagt Epprecht.

Nach dieser Argumentation würden Investitionen in französische Atomkraftwerke also nicht zur Versorgungssicherheit beitragen. Wichtiger dagegen wäre für die meisten Beobachter der Abschluss eines Stromabkommens mit der EU, das Schweizer Stromfirmen einen besseren Zugang zum europäischen Markt und dessen Daten ermöglichen würde.

Aus rein marktwirtschaftlicher Perspektive lohnen sich Investitionen in neue Atomkraftwerke sowieso kaum mehr. Die Unternehmen schätzen das ähnlich ein. So schreibt Alpiq, man habe kein Interesse, in Frankreich in neue Kernkraftwerke zu investieren: «Daher erübrigt sich für uns die Diskussion.»

Es müsste also noch viel passieren, damit sich die Schweizer Politik und die Stromwirtschaft intensiver mit den französischen Forderungen beschäftigen.