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Sicherheitsexperte zum AKW Beznau
«Der ‹Schrottreaktor› gehört zu den sichersten auf der Welt»

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Portrait von Johannis Nöggerath in seinem Haus und Garten. 05.04.24

Sicherheitsexperte: AKW laufen locker 80 Jahre

Johannis Nöggerath ehemaliger Sicherheitschef des AKW-Leibstadt und Ensi-Mitarbeiter zu alten AKW die länger als vorgesehen laufen

Kritiker sehen im ältesten AKW der Schweiz ein grosses Sicherheitsrisiko. Trotzdem prüft die Axpo nun, ob man es sogar länger als 60 Jahre laufen lassen könnte. AKW-Experte Johannis Nöggerath, sagt, warum man das AKW problemlos weiterlaufen lassen kann. Er war Geschäftsleitungsmitglied der Atomaufsicht und danach bis zu seiner Pensionierung 2020 Sicherheitschef beim AKW Leibstadt. Zudem war er Präsident der Schweizerischen Gesellschaft für Kernfachleute. Er hat Werkstoffphysik studiert und an der ETH promoviert.

Herr Nöggerath, das AKW Beznau ist 55-jährig. Ist der Oldtimer nicht schon heute eine Gefahr?

Die beiden Reaktoren in Beznau gehören zu den ältesten der Welt. Aber sie wurden in einer weltweit einzigartigen Art und Weise nachgerüstet. Die Axpo hat seit der Inbetriebnahme mehr als 2,5 Milliarden Franken in die Nachrüstung und die Modernisierung gesteckt. Nur Deutschland hat die Sicherheitssysteme seiner AKW ähnlich tiefgreifend und umfangreich verbessert wie die Schweiz.

Für die Kritiker ist Beznau aber ein «gefährlicher Schrottreaktor».

«Der Schrottreaktor» gehört trotz des hohen Alters zu den sichersten auf der ganzen Welt. Nur die rund 5 Prozent AKW der dritten Generation, also die allerneuesten, sind noch etwas sicherer.

Eigentlich wurden die Schweizer AKW nur für eine Laufzeit von 40 Jahren vorgesehen. Jetzt prüft die Axpo, ob man Beznau sogar länger als 60 Jahre laufen lassen kann. Ist das zu verantworten?

Man wird das AKW Beznau nach dem, was heute bekannt ist, mindestens 70 Jahre am Netz lassen können – ohne Abstriche bei der Sicherheit. Ob sogar 80 Jahre drinliegen, wird sich zu einem späteren Zeitpunkt zeigen. Bei den beiden neueren AKW in Gösgen und Leibstadt liegen nach heutigem Wissensstand sogar 80 Jahre drin. Leibstadt könnte also bis 2064 oder noch länger Strom produzieren.

Das Atomkraftwerk Beznau.

(Tamedia AG/Thomas Egli, 19.5.2016)

Bleiben wir bei Beznau. AKW-Gegner kritisieren, die beiden Reaktorbehälter seien schon heute spröde und der Betrieb deshalb gefährlich. Ist das nicht ein Risiko?

Klar wird das Material mit den Jahren spröder, das ist bei Reaktorbehältern ein normaler Prozess, weil Neutronen aus der Kernreaktion ständig in die Behälterwände eindringen. Deshalb wird deren Zustand regelmässig überprüft. Das Verhalten des Spezialstahls, aus dem die Wände sind, ist weltweit sehr gut erforscht. Ich habe mir soeben die vom Ensi publizierten Messdaten zu Beznau angeschaut. Die Veränderungskurven zeigen: Die Versprödung der Reaktoren ist so langsam, dass eine Laufzeit von zumindest 70 Jahren kein Sicherheitsproblem darstellt (Anmerkung: Das heisst, das AKW könnte bis mindestens 2040 weiterlaufen).

Falls die Reaktorbehälter in Beznau plötzlich doch schneller spröde werden als gedacht: Könnte man sie nicht einfach auswechseln und hätte dann ein viel sichereres AKW?

Das erlaubt das aktuelle Gesetz nicht. Eine Erneuerung des Reaktorbehälters würde als eine Art Neubau gelten.

Und wenn man das Gesetz anpassen würde?

Prinzipiell ist ein Austausch des Reaktors möglich. Ich kann aber nicht beurteilen, ob es ökonomisch sinnvoll ist. Denn dafür müsste man die Sicherheitscontainer öffnen, in denen sich der Reaktorbehälter befindet. Das wäre recht kostspielig. Es gibt aber eine sehr viel günstigere Alternative: In Finnland hat man einen älteren russischen Reaktorbehälter mittels Wärmequellen auf 500 Grad erhitzt. Mit dieser Wärmebehandlung konnte man die Versprödung des Behältermaterials weitgehend rückgängig machen und eine sichere Laufzeit um mehrere Jahrzehnte verlängern. Aber auch diese Vorgehensweise muss für eine geplante Restlaufzeit betriebswirtschaftlich zu rechtfertigen sein.

Was macht Sie als AKW-Sicherheitsexperte eigentlich so sicher, dass eine Katastrophe wie in Fukushima in Beznau nicht möglich ist?

Erstens gibt es in der Schweiz keine Tsunamis, weil es hier kein Meer gibt.

Grossdemo "Menschenstrom gegen Atom " vor dem AKW Beznau in Villigen (AG) am Sonntag, 22. Mai 2011.

Das Problem in Fukushima war vor allem die Überschwemmung. Eine solche wäre gerade beim AKW Beznau, das auf einer Aarehalbinsel liegt, ebenfalls möglich.

Das stimmt. Aber das hat man nach Fukushima in Beznau auch bis ins kleinste Detail untersucht. Man hat sich gefragt, was bei einem 10’000-jährigen Hochwasser geschehen würde. Und man hat festgestellt, dass die Katastrophe von Fukushima in der Schweiz nicht passiert wäre, weil man hier schon lange vorher alle AKW mit hochrobusten, wasserdichten Notstandssystemen nachgerüstet hatte. Anders als in Fukushima wäre die Kühlung der Reaktoren in der Schweiz nicht ausgefallen. Es wäre deshalb nicht zur verheerenden Kernschmelze gekommen.

Trotzdem: In Fukushima passierte etwas, mit dem niemand gerechnet hatte. Kann nicht auch in der Schweiz ein Worst-Case-Szenario eintreten, an das zuvor keiner gedacht hat?

Das war natürlich die grosse Frage nach Fukushima: Gibt es irgendetwas, an das wir nicht gedacht haben und das uns so überraschen könnte wie die Japaner? Nach Fukushima haben sich weltweit Experten, Behörden und Wissenschaftler intensiv mit der Frage beschäftigt, ob es noch irgendwelche bis jetzt noch nicht bekannte Risiken geben könnte. Es fand ein intensiver Austausch statt. Nach diesem weltweiten Analyseprozess glaube ich tatsächlich, dass man heute alle relevanten Risiken erfasst und berücksichtigt hat.

Kritiker sagen aber, dass die alten Schweizer AKW einem Aufprall eines Airbus 380 nicht standhalten würden, weil sie nicht dafür ausgelegt sind, da es im Baujahr noch gar keine so grossen Flugzeuge gab.

Man kann immer irgendwelche Bedingungen annehmen, unter denen es theoretisch zu einem Unfall kommen könnte. Es könnte ja theoretisch ein riesiger Meteorit ausgerechnet auf ein AKW treffen. Die Sache mit den Flugzeugen hat man ebenfalls eingehend untersucht. Man hat festgestellt, dass es so gut wie unmöglich wäre, ein AKW mit einem grossen Flugzeug zu treffen. Zudem sind gerade die Beznau-Reaktoren gut geschützt, da sie innerhalb der Containments tief liegen, zum grossen Teil unter der Erdoberfläche.

Wäre es für die Schweiz nicht das kleinere Risiko, neue AKW mit einem höheren Sicherheitsniveau zu bauen, statt nun die Laufzeiten der alten auf Teufel komm raus zu verlängern?

Das ist eine gute Frage. Gewiss sind die neusten AKW der dritten Generation noch etwas sicherer. Ein Teil von ihnen hat zum Beispiel passive Kühlsysteme, die selbst ohne jegliche Energiezufuhr bei einem Störfall von aussen noch funktionieren würden. Andere haben Wannen, die im Worst Case die Kernschmelze auffangen würden, ohne dass Radioaktivität in die Umgebung freigesetzt würde. Die Schweizer AKW haben aber dank der Nachrüstungen fast schon ein vergleichbares Sicherheitsniveau.

Was heisst das konkret?

Vergleichen wir die Situation mit Fukushima. Dort war die Unfallwahrscheinlichkeit sehr hoch. In 1000 Jahren war mit einem Unfall zu rechnen, bei dem grosse Mengen Radioaktivität freigesetzt wird. Bei Schweizer AKW auf dem heutigen Sicherheitsstand kommt es rechnerisch in einer Million Jahren zu einem solchen Vorfall. Sie sind also Faktor 1000 mal sicherer. Bei der neusten AKW-Generation ist die Sicherheit nochmals um einen Faktor 10 bis 20 höher als bei den bestehenden Schweizer AKW.

Wenn das AKW Beznau schon so modern und sicher ist, warum muss die Axpo noch prüfen, welche Investitionen für einen Langzeitbetrieb notwendig wären?

Ich gehe davon aus, dass es für Beznau in den nächsten Jahren keine grossen Nachrüstungen mehr brauchen wird. Die Sicherheitssysteme des AKW wurden so stark erneuert, dass es kaum noch Luft nach oben gibt. So wurde beispielsweise die allermodernste Leit- und Steuertechnik eingebaut. Die Kommandozentrale in Beznau gilt als eine der modernsten in ganz Europa. Durch diese und andere Modernisierungen ist die Anlage heute sicherer als im damaligen Originaldesign.

Dann ist das älteste AKW also bereits weitgehend fit für 15 weitere Betriebsjahre?

Möglich ist, dass die Axpo für einen Langzeitbetrieb von 70 Jahren zum Beispiel gewisse Rohrleitungen ersetzen muss, weil das Material von der Dauerbelastung dafür ermüdet sein könnte. Ich gehe aber davon aus, dass aufgrund der intensiven bisherigen Modernisierungen künftige Investitionen weniger hoch sein müssen als in der Vergangenheit. Gleichbleibend schonende Betriebsweise und gleich gute Instandhaltung vorausgesetzt.

Seit dem Neubauverbot ist die Ausbildung für AKW-Ingenieure nicht mehr attraktiv. Wird es in Zukunft in der Schweiz überhaupt noch genug Fachpersonal geben für den langfristigen Betrieb von AKW?

Das ist eine wichtige Frage, die man sich stellen muss. Es war in der Tat nach dem Beschluss, keine neuen AKW mehr zu bauen, schwierig, junge Leute noch zu begeistern. Mittlerweile stellen wir aber auch in den AKW eine Trendwende fest. Es gibt auf einmal wieder viel mehr Leute an der ETH, die Nukleartechnologie studieren.