Nahost nach Assads SturzIsrael attackiert Syrien, und in Damaskus tritt ein neuer Regierungschef an
Mit Luftangriffen auf militärische Ziele will Israels Premier «das Gesicht des Nahen Ostens» verändern. Derweil führt Mohammed al-Bashir Syriens Interimsregierung.
- Israel reagiert auf den Sturz Assads mit zahlreichen Luftangriffen in Syrien.
- Netanyahu betont, Israel wolle den Einflussbereich des Iran schwächen.
- Die Rebellen übernehmen mit Mohammed al-Bashir die Übergangsregierung in Damaskus.
- Der Kreml äussert sich zu Assad.
Israel hat auf den Umsturz in Syrien am Wochenende mit Luftangriffen auf Depots und Waffenlager in dem Nachbarland reagiert. Die Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte in London berichtet von «mindestens 310» solcher Angriffe in den vergangenen zwei Tagen. Die Militärschläge zeigen, dass Regierungschef Benjamin Netanyahu Ernst macht mit der Neugestaltung der Region – zum Vorteil Israels. «Ich verändere das Gesicht des Nahen Ostens, so wie ich es versprochen habe», sagte er.
Nach dem weitgehenden Sieg über die Hizbollah, der massiven Schwächung des Iran durch die Kriege in Gaza und Libanon und dem Ende der Assad-Herrschaft ist er einen grossen Schritt vorangekommen. Am Ende versteht Israel unter Neuordnung die Schwächung oder den Fall des iranischen Regimes. Israel nehme «die iranische Achse Stück für Stück auseinander», so Netanyahu. «Syrien ist ein zentrales Stück der Achse.»
Waffenroute und Aufmarschgebiet im Hinterland
Wichtig bleibt für Israel, dass Syrien keine Bedrohung darstellt, selbst wenn dort ein feindliches Regime herrscht. Syrien war seit dem verlorenen Jom-Kippur-Krieg von 1973 bis heute militärisch stets unterlegen. Die Bedrohung bestand aber darin, dass der Iran und die libanesische Hizbollah freie Hand hatten, das Land als Waffenroute und Hinterland und den Libanon als Aufmarschgelände gegen Israel zu nutzen.
Mit dem Sturz Assads und der Unklarheit über die Nachfolge nutzt Netanyahu seine Chance. Welche Regierungsform auch immer sich nach dem Sieg der überwiegend islamistischen Rebellen bilden wird, sie soll für Israel keine Bedrohung darstellen. Bei Islamisten aber ist die Gegnerschaft zu Israel und die Forderung nach der Befreiung Palästinas sowie Jerusalems eigentlich selbstverständlich.
Dutzende Jets und Helikopter zerstört
Daher zerstört die Luftwaffe seit Sonntag Luftwaffenbasen wie diejenigen in Qamishli in der Kurdenregion, Shinshar bei Homs und Aqraba bei Damaskus. Und das samt Flugzeugen und Technik. Auch Bodentruppen der IDF sollen am Dienstag in kleinerer Zahl vorgestossen sein in Richtung Damaskus, um Militäreinrichtungen zu zerstören.
Allein bei den zwischen 250 und 300 Luftangriffen seit Sonntag sollen Dutzende syrische Jets und Helikopter sowie Radarsysteme, Waffenlager und Depots für weitreichende Raketen getroffen worden sein. Experten gehen davon aus, dass Syriens Luftwaffe in wenigen Tagen komplett vernichtet sein wird, wenn die Israelis in diesem Ausmass weiterbombardieren. Die Rebellen haben keine Luftabwehr.
«Auf immer unabtrennbarer Teil des Staates Israel»
Nach Ansicht Netanyahus darf das neue syrische Regime, das mit allergrösster Sicherheit nicht Israel-freundlich sein wird, keine strategischen Waffen besitzen. Zur Zerstörung von Syriens Chemiewaffen-Programm wurden daher Depots, Produktionsstätten und das Forschungslabor in Barza bei Damaskus bombardiert. Syrien war nach den verheerenden Giftgas-Angriffen auf die Rebellen 2013 von der internationalen Gemeinschaft gezwungen worden, sein Kampfgas zu vernichten. Reste sollen aber geblieben sein.
Zudem haben israelische Truppen direkt nach Assads Fall die 235 Quadratkilometer grosse Pufferzone auf den Golanhöhen besetzt und den syrischen Teil des Hermon-Berges. Dieser Berg dominiert mit seinem Doppelgipfel den Höhenzug und hat militärischen Wert. Der zweite Gipfel war in syrischer Hand, als das Assad-Regime fiel. Die Golanhöhen sind seit dem Krieg von 1967 israelisch besetzt und wurden 1981 völkerrechtswidrig annektiert. Heutzutage verstehe jeder «die Notwendigkeit unserer Präsenz auf dem Golan und nicht am Fuss des Golan», so Netanyahu. «Die Golanhöhen werden auf immer unabtrennbarer Teil des Staates Israel bleiben.»
Bashir, Anfang 40, aus Idlib, soll den Übergang regieren
In Syrien übernimmt gemäss eigenen Angaben der bisherige Regierungschef in der Rebellenhochburg Idlib, Mohammed al-Bashir, die Führung der Übergangsregierung. Geplant sei, dass diese bis März 2025 im Amt bleibe, kündigte er an. Gemäss arabischen Medien erging der Auftrag an ihn am Montag bei einem Spitzentreffen in Damaskus.
An einem weiteren Treffen am Dienstag nahmen der Anführer der Islamistengruppe Hayat Tahrir al-Sham (HTS), Ahmed al-Sharaa, der zuvor unter seinem Kampfnamen Abu Mohammed al-Julani auftrat, sowie Minister der bislang amtierenden Regierung teil. Beide Seiten streben gemäss Berichten eine reibungslose Übertragung der Verwaltungsgeschäfte an. Bashir stammt aus dem nordwestlichen Gouvernement Idlib, der Rebellenhochburg, von der aus HTS ihre Offensive gestartet hat. Gemäss Berichten studierte der Politiker Elektronikingenieurwesen und islamisches Recht. Er ist Anfang 40.
Der gestürzte Machthaber Bashar al-Assad hat nach Darstellung des Kreml persönlich und selbstständig über seinen Rücktritt entschieden. Das sei die «individuelle Entscheidung Assads» gewesen, sagte Kremlsprecher Dmitri Peskow gemäss russischen Agenturen. Assad hat mit seiner Familie Asyl in Russland erhalten.
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