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Ein unschönes Novum droht
Als Todesanzeigen die Sportzeitung füllten

Die Mannschaft des FC St. Gallen in den Jahren nach dem Ersten Weltkrieg.
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Es sind Zeilen, die fehl am Platz wirken: Die «Schweizerische Fussball-Zeitung», das offizielle Organ des Fussball- und Athletikverbandes (SFAV), druckt im Herbst 1918 seitenweise Todesanzeigen ab. Der FC YF Zürich beklagt das Abraffen des «jungen, vielversprechenden linken Flügels», der FC Olten das Dahinscheiden seines Mittelstürmers, dem besten Spieler, wie in der Meldung steht. Und der FC Gränichen trauert um seinen Mittelläufer, der noch kürzlich voller Begeisterung von den kommenden Cupspielen gesprochen habe. Dann der Satz, der einen nicht so rasch loslässt: «Nach kaum achttägigem schweren Leiden verschied er in den Armen seines älteren Bruders.»

Europa ist nach dem gerade zu Ende gegangenen Ersten Weltkrieg ausgemergelt, Unruhen samt Landesstreik erschüttern die Schweiz. Und, als hätten die Menschen nicht schon genug ertragen müssen, grassiert die spanische Grippe. Sie wird weltweit zwischen 25 und 50 Millionen Todesopfer fordern – davon hierzulande 25’000, oft junge Frauen und Männer. Fussballer in ihrem besten Alter.

Auch wenn sich die Vorzeichen verändert haben, so ist man verblüfft über die Parallelen zur jetzigen Zeit: Auch 1918 herrscht in der Schweiz ein Versammlungsverbot. In der«Fussball-Zeitung» steht im «Merkzettel gegen die Grippe», man solle sich fleissig die Hände Waschen, Menschenansammlungen auf Strassen, im Tram und in Lokalen ausweichen. Und bei scheinbar leichterem Unwohlsein jeden weiteren Kontakt mit Menschen meiden. Einzig, dass empfohlen wird, Salzwasser zu gurgeln, wirkt nun etwas schief.

Einzigartig in Europa

Eine erste Welle traf die Schweiz im Sommer 1918, eine noch heftigere rollt im Herbst über das Land. Ihren Höhepunkt erreicht die Epidemie im Oktober und November. Neben dem öffentlichen Leben ist auch der Zugverkehr beschränkt, dem wichtigsten Verkehrsmittel für grössere Distanzen. Weil es kriegsbedingt an Kohle fehlt, dem Antriebsmittel für die Dampflokomotiven, stellt die SBB den Verkehr am Sonntag über Monate ein.

Eine Todesanzeige in der «Schweizerischen Fussball-Zeitung» im Herbst 1918.

Es ist der Wochentag, an dem üblicherweise die Fussballspiele ausgetragen werden. Hinzu kommt, dass der Bund während dem Krieg die Pflicht zur Selbstversorgung beschlossen hat, aus Fussballfeldern sind Anbauflächen geworden. Zudem fehlen immer wieder Spieler, weil sie ins Militär einberufen worden sind. Hindernisse über Hindernisse – der Spielbetrieb der Serie A (Vorgängerin der Nationalliga A) steht zeitweise beinahe still. Im Herbst 1918 können nur 15 von 55 vorgesehen Partien ausgetragen werden.

Doch es wird weitergemacht, wie zuvor während des Ersten Weltkriegs, wie später während des Zweiten. Die Welt kann aus den Fugen geraten, die Menschheit scheinbar dem Untergang geweiht sein, aber abgebrochen worden ist eine Saison im Schweizer Fussball – im Gegensatz zu allen anderen europäischen Ländern – nie. Insofern könnte es dieses Jahr zu einem Novum kommen.

Statt mit dem Zug wird 1918/1919 mit Lastwagen, Fuhrwerken und Fahrrädern an die Spielorte gefahren. Und manchmal geht es zu Fuss zum Match, vier Stunden für einen Weg, wie Philippe Guggisberg erzählt, Kommunikationsverantwortlicher der Swiss Football League, der in diesen spielfreien Wochen die Zeit findet, in den Archiven der Swiss Football League (SFL) zu wühlen.

Der Kleine profitiert

Die höchste Schweizer Liga wird damals in drei Gruppen ausgetragen (West, Zentral, Ost). Weil das Reisen erschwert ist, zieht man Duelle lokaler Teams vor, die eigentlich viel später hätten stattfinden sollen. Die Spielplangestaltung wird bis aufs Letzte ausgereizt – allerdings gibt es noch keine Europacup-Partien, ist der Terminkalender nicht vollgestopft wie heute. Und dennoch wird die Meisterschaft verfälscht, weil etwa der FC Biel Woche für Woche Forfait erklären muss, weil sein Platz für den Kartoffelanbau genutzt wird und er kein anderes Spielfeld zur Verfügung hat.

Das führt im April 1919 zum Entscheid, Auf- wie Abstiege zu sistieren. Die Meisterschaft wird allerdings fertig gespielt: Étoile-Sporting La Chaux-de-Fonds wird mit Siegen gegen die anderen Gruppenersten Servette und Winterthur Meister. Es bleibt bis heute der einzige Titelgewinn der Neuenburger.