Kolumne von Barbara BleischAlle Menschen sind sterblich. Auch Sie
Am 15. Mai stimmen wir über die Widerspruchslösung bei der Organspende ab. Wie immer man dazu steht: Nichts entbindet von der Pflicht, beizeiten über das eigene Ende zu sprechen.
Wir haben die Wahl: Soll in Zukunft gelten, dass wir ohne dokumentierte Widerrede nach unserem Tod automatisch als Organspendende gelten? Oder sollen wir weiterhin einer Entnahme zugestimmt haben müssen, bevor man unseren toten Körper öffnet? Keine Wahl haben wir bezüglich der Aufgabe, die den engsten Angehörigen zukommt: Sie werden bei beiden Varianten nach dem Willen des Verstorbenen gefragt. Stimmen sie einer Entnahme nicht zu, darf der Leichnam auch im Rahmen der Widerspruchslösung nicht angetastet werden.
Sprechen wir nicht frühzeitig mit unseren Liebsten, wie wir zur Organspende stehen, werden sie so oder so rätseln müssen, was wir gewollt hätten – und dies in einem Moment der grossen Trauer oder gar eines Schocks. Was, wenn die Verstorbene bloss vergessen hat, ihr Veto rechtzeitig kundzutun? Gegen diese Unsicherheit hilft kein Gesetz, sondern nur das persönliche Gespräch.
Der Tod ist präsent wie selten zuvor.
Freilich sprechen wir nicht gern über den eigenen Tod. Meist scheint er äusserst fern. Dabei ist als Organspender besonders attraktiv, wer früh und ohne vorgängige Krankheit stirbt. Diesen tragischen Tod bedauern wir in Filmen, Romanen und Todesanzeigen. Doch dass er uns treffen könnte? Unvorstellbar.
Zwar ist der Tod präsent wie selten zuvor. Bestatter sind beliebte Talkshowgäste, in den Buchhandlungen stapeln sich Bücher über die letzten Dinge, blutrünstige True-Crime-Podcasts boomen. Letzten Mai fand unter dem Stichwort «Hallo, Tod!» das erste schweizweite Kulturfestival zum Tod statt, aktuell tourt eine Wanderausstellung «Dialog mit dem Ende» durch Deutschland, und im Vögele-Kulturzentrum öffnet am Sonntag eine Ausstellung mit dem Titel «Der Tod. Radikal normal».
Radikal normal wäre der Tod ja durchaus. Wir alle wissen um unser sicheres Ende. Doch ergeht es wohl den meisten wie Iwan Iljitsch in der gleichnamigen Erzählung von Leo Tolstoi: Der unbescholtene Gerichtsangestellte erkrankt mit 45 Jahren schwer. Er erinnert sich an den Syllogismus, der ihm im Logikunterricht eingebläut worden war: «Cajus ist ein Mensch, alle Menschen sind sterblich, also ist auch Cajus sterblich.»
Erst auf dem Sterbebett wird ihm schmerzlich bewusst, dass ihm der logische Schluss sein ganzes Leben hindurch zwar auf Cajus anwendbar schien, «keinesfalls aber auf ihn, Iwan Iljitsch, selbst.» Verdrängen tun wir den Tod in erster Linie, wenn es um den eigenen geht.
Dabei wäre es zweifelsohne lehrreich, die eigene Existenz als ein «Sein zum Tode» zuzubringen, wie Martin Heidegger vorschlägt. Denn die stete Vergewisserung darüber, dass es morgen schon vorbei sein kann mit uns, konfrontiert uns mit der Dringlichkeit, das eigentliche Leben nicht aufzuschieben.
Es befreit uns von der «Diktatur des Man», wie es bei Heidegger weiter heisst: Von der Vorstellung, wir hätten dies zu tun oder jenes zu lassen, weil es so von uns erwartet wird, anstatt uns dem zu widmen, was uns selbst am Herzen liegt.
Letzte Wünsche auszuschlagen, ist wohl ebenso schwer, wie über sie zu rätseln.
Ein Gespräch über die Frage, was nach dem Tod mit unserem Körper geschehen soll und wie wir bestattet werden möchten, eröffnet uns die Möglichkeit, über das Leben nachzudenken, das uns noch bleibt.
Wir schulden dieses Gespräch aber auch unseren Liebsten. Nicht nur, weil sie im Moment des Abschieds in Gewissenskonflikte geraten, wenn sie nicht wissen, ob sie in eine Organentnahme einwilligen sollen, ob ein Pfarrer gerufen werden muss oder ob eine Einäscherung gewünscht war.
Wir sollten auch beizeiten über diese Fragen sprechen, weil es das Risiko minimiert, dass auf dem Sterbebett letzte Wünsche geäussert werden, die Angehörige überfordern. Die Partnerin wünscht, dass ihre Asche im Himalaja verstreut wird? Der Vater möchte, dass man zu seiner Beerdigung eine Jodlermesse aufführt? Letzte Wünsche auszuschlagen, ist wohl ebenso schwer, wie über sie zu rätseln. Sie beizeiten zu besprechen, ist im Interesse aller.
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