Neuer Vorstoss gegen die AfDSoll Höcke aus der Politik verbannt werden?
Eine Million Deutsche fordern, dem rechtsextremistischen AfD-Anführer Björn Höcke die Wählbarkeit zu entziehen – mithilfe von Artikel 18 des Grundgesetzes.
Zehntausende sind in den vergangenen Tagen gegen die Alternative für Deutschland auf die Strassen gegangen, in Potsdam, Berlin, Leipzig, Rostock oder Essen. Die Menschen demonstrierten ihre Abscheu vor publik gewordenen Plänen der Partei, Menschen mit Migrationsgeschichte millionenfach aus Deutschland zu deportieren.
Angesichts stetig steigender Umfragewerte der rechtsradikalen Partei scheint das Bewusstsein dafür zu wachsen, welche Gefahr die AfD bedeuten könnte, sollte sie an die Macht gelangen. Gleichzeitig wirken Politik und Medien ratlos, wenn es um Wege geht, wie der Höhenflug der Partei gebremst werden könnte.
In der Politik kommen Verbote bislang schlecht an
Als Indiz dafür mag gelten, dass vermehrt über Verbote der Partei oder einzelner ihrer Landesverbände debattiert wird – eine extreme Massnahme, die das deutsche Grundgesetz aber ausdrücklich zulässt, um gegen Verfassungsfeinde vorzugehen. In der Politik will davon derzeit aber kaum jemand etwas wissen: Die rechtlichen Hürden für ein Verbot scheinen zu hoch, politisch würde es den Vorwurf erhärten, die etablierten Parteien wollten sich eines unliebsamen Konkurrenten entledigen.
In den letzten Tagen ist nun ein neuer Vorschlag populär geworden, den die frühere Verfassungsrichterin Gertrude Lübbe-Wolff im vergangenen Oktober in einem Fachartikel skizzierte: Statt eine ganze Partei zu verbieten, könnte man unter Zuhilfenahme von Artikel 18 des Grundgesetzes einzelnen erwiesen extremistischen Exponenten politische Rechte entziehen – etwa das Wahlrecht oder die Wählbarkeit. Dieser Eingriff wäre zielgenauer und liesse sich schneller realisieren.
Eine Million Unterschriften
Eine Online-Petition nahm Lübbe-Wolffs Vorschlag auf und begann, Unterschriften zu sammeln: Bundeskanzler Olaf Scholz und die Fraktionsvorsitzenden aller Parteien des Bundestags mit Ausnahme der AfD werden aufgefordert, beim Bundesverfassungsgericht den Entzug der politischen Grundrechte von Björn Höcke zu beantragen. In den letzten Tagen schnellte die Zahl der Unterschriften von 300’000 auf über eine Million.
Höcke, Landeschef in Thüringen, führt die AfD aus dem Hintergrund und könnte nach den Landtagswahlen im Herbst Ministerpräsident werden. Landes- und Bundesverfassungsschutz halten ihn für erwiesen rechtsextrem.
Die scharfen Schwerter der «wehrhaften Demokratie»
Artikel 18 zur «Grundrechtsverwirkung» gehört wie Artikel 21, Absatz 2 (Parteiverbote) zu den scharfen Schwertern der «wehrhaften Demokratie», als die sich die Bundesrepublik nach dem Zweiten Weltkrieg neu gründete. Sie sollen verhindern, dass Anti-Demokraten noch einmal die Demokratie nutzen, um diese abzuschaffen, wie einst in der Weimarer Republik.
Bis anhin ist der Artikel in der Bundesrepublik toter Buchstabe geblieben: 1960, 1974 und 1996 scheiterten vier Versuche gegen rechtsextreme Politiker – jeweils nicht vor dem Bundesverfassungsgericht, sondern schon auf dem Weg dorthin. Auch auf die aktuelle Forderung, ihn auf Höcke anzuwenden, reagierten die anderen Parteien skeptisch bis ablehnend: Die Politik habe die Aufgabe, dem Aufstieg der AfD mit politischen Mitteln zu begegnen – nicht diese samt ihren Anhängern aus der Demokratie auszuschliessen. Zudem bestehe die Gefahr, Höcke zum Märtyrer zu machen.
Die Ideengeberin bleibt selbst skeptisch
Auch Gertrude Lübbe-Wolff, die juristische Ideengeberin, warnt vor Illusionen: Gegen das Misstrauen vieler Menschen gegen die etablierten Parteien oder das politische System insgesamt helfe nur eine Politik, «die sich entschlossener und realistischer den nicht verfassungsfeindlichen Anliegen der Bürger zuwendet. Ohne eine in der Mehrheit abwehrbereite Bürgerschaft, die sich demokratiewidrigen Bestrebungen widersetzt, nützt auf Dauer auch das beste verfassungsrechtliche Abwehrsystem nichts.»
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