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Flaute bei Bestellungen
Erste Krisenzeichen in der Schweiz? Konzerne streichen Jobs, Exporte gehen zurück

Derzeit sinkt der Erlös von Gütern, die ins Ausland gehen: Containerverlad bei der Schweizer SBB Cargo.
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Die erste Hiobsbotschaft von heute Donnerstag traf um 6.30 Uhr ein: Der Winterthurer Traditionskonzern Rieter gab bekannt, dass er rund 300 Stellen in Verwaltungsfunktionen streicht. Das könnte aber erst der Anfang gewesen sein. Denn in der Mitteilung an die Mitarbeitenden und die Medien hiess es auch: «Weitere markt- und volumenbedingte Anpassungen in der Grössenordnung von 400 bis 600 Stellen können nicht ausgeschlossen werden.» Zurzeit beschäftigt Rieter weltweit 5555 Mitarbeitende.

Hart trifft es den Standort Winterthur, wo sich der Konzernhauptsitz befindet. Die erste Abbauwelle von 300 Stellen ist gemäss einer Sprecherin «primär in der Schweiz (Winterthur) und in Deutschland» vorgesehen. Der Konsultationsprozess mit den Arbeitnehmervertretungen werde bald beginnen. Die mögliche zweite Abbauwelle werde primär die weltweiten Produktionsstätten treffen, so die Sprecherin weiter.

Rieter produziert in Europa und Asien. Die grössten Fabriken befinden sich in Indien, China, Deutschland und der Tschechischen Republik. In der Schweiz hat Rieter keine Fabriken mehr.

Bei Rieter läuft es im Moment nicht so gut: Konzernhauptsitz in Winterthur.

Die Nachfrage nach neuen Maschinen sei eingebrochen, begründet der Spinnereimaschinenhersteller den Stellenabbau. Eine rasche Erholung zeichne sich nicht ab. «Die derzeitige weltweite Nachfrage nach Textilprodukten bleibt auf niedrigem Niveau.»

Im ersten Halbjahr hat Rieter in fast allen Weltregionen deutlich weniger Aufträge erhalten als im Vorjahreszeitraum. Der Auftragseingang sackte um 63 Prozent ein. Belastend wirkte auch das schwere Erdbeben in dem für Rieter wichtigen Markt Türkei. Dort kam es zur Absage von Bestellungen und zur Verschiebung von Auslieferungen.

Die dominierende Figur bei Rieter ist der Thurgauer Bahnunternehmer Peter Spuhler. Er hält ein Drittel der Aktien und ist damit der mit Abstand grösste Aktionär. Offensichtlich hat er die Geduld verloren. Denn seit dem Höchststand vor zwei Jahren ist die Aktie wegen des flauen Geschäftsgangs bei gleichzeitig steigenden Material-, Energie-, Arbeits- und Produktionskosten um 62 Prozent eingebrochen.

Historisch hohe Baukosten belasten Arbonia

Die zweite Hiobsbotschaft traf um 7 Uhr ein. Der Thurgauer Bauzulieferer Arbonia gab bekannt, dass er ein Werk in Belgien schliesst und bis zum Juni 2024 bis zu 600 Vollzeitstellen streicht. Der Abbau der Stellen finde überwiegend in den deutschen Werken sowie in Belgien statt, sagt eine Sprecherin. Die Schweiz sei, auch weil der Markt verhältnismässig gut laufe, vom Stellenabbau nicht betroffen. Von den zurzeit knapp 6500 Beschäftigten arbeiten nur noch etwa 450 in der Schweiz.

Es gibt weniger zu tun beim Gebäudetechniker: Mitarbeiter von Arbonia.

Nebst Entlassungen sollen gruppenweit temporäre und befristete Angestellte nicht mehr weiterbeschäftigt sowie Arbeitszeiten gesenkt werden. Laut der Sprecherin gilt es vor allem, teure Nachtschichten abzubauen.

Arbonia, die Heizkörper, Türen und Duschabtrennungen herstellt, begründet den Stellenabbau mit dem Rückgang der Bau- und Renovationstätigkeit in ihren wichtigsten Märkten Deutschland, Niederlande, Belgien und Osteuropa. Der Grund seien die historisch hohen Baukosten und die gestiegenen Zinsen. Viele Menschen warteten nun mit dem Bau ihres Eigenheims zu. Im ersten Halbjahr sank der Umsatz von Arbonia um 10 Prozent.

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Gut läuft es für Arbonia eigentlich nur in der Schweiz. «Die Schweiz ist quasi abgekapselt von anderen Märkten», sagte die Sprecherin gegenüber der Wirtschaftsagentur AWP. So seien hier die Zinsen nicht ganz so hoch. Das Unternehmen betreibt nach etlichen Verlagerungsrunden in der Schweiz nur noch zwei Fabriken, eine für Spezialtüren und eine für Duschen.

Die bestimmende Figur bei Arbonia ist ein alter Weggefährte von Peter Spuhler: Der Unternehmer Michael Pieper, dem der Küchen- und Kaffeeautomatenhersteller Franke und der Autozulieferer Feintool gehört, hält 22 Prozent der Arbonia-Aktien. Er ist damit der weitaus grösste Aktionär. Bis vor zwei Jahren war Pieper nebst Spuhler der zweite Ankeraktionär bei Rieter.

Bei Arbonia ist Piepers Mann fürs Grobe Alexander von Witzleben. Er sorgt als exekutiver Verwaltungsratspräsident für harte Sparschritte. Pieper wird dies auch diesmal eingefordert haben. Denn seit dem Höchststand im Februar vergangenen Jahres ist die Aktie von Arbonia um 56 Prozent eingebrochen.

Schweizer Exporte brechen in allen Weltregionen ein

Die dritte Hiobsbotschaft traf um 8 Uhr ein. Der Schweizer Aussenhandel habe im zweiten Quartal deutlich geschwächelt, teilte das Bundesamt für Zoll und Grenzsicherheit mit. So sanken die Exporte saisonbereinigt gegenüber dem Vorquartal um 2,8 Prozent und die Importe sogar um 5,4 Prozent.

Wichtig aus Sicht der Schweizer Industrie sind die Exporte. Vom Rückgang betroffen sind alle Warengruppen mit Ausnahme von Uhren, Bijouterie und Juwelierwaren. Am stärksten brachen die Ausfuhren von Kunststoffen, Fahrzeugen, Papier und grafischen Erzeugnissen ein. Markant war der Rückgang aber auch bei den zwei wichtigsten Exportbranchen: der Pharma- und Chemieindustrie sowie der Maschinen- und Elektronikindustrie.

Der Rückgang der Schweizer Exporte betrifft alle Weltregionen – von Asien über Europa bis Amerika. Das zeigt, wie weltumspannend der derzeitige Abschwung ist. Dieser wird getrieben vom scharfen Zinsanstieg und von der hohen Teuerung.

Auf eine weitere Abschwächung deutet der neuste Einkaufsmanagerindex hin, der als einer der verlässlichsten Frühindikatoren für die Entwicklung in der Industrie gilt. Den sechsten Monat in Folge zeigt er eine abnehmende Industrieproduktion an, und mittlerweile halten sich die Unternehmen, die Personal abbauen, und solche, die Personal aufbauen, die Waage.

Oder sie sehen sich wegen des schwachen Geschäftsgangs zur Einführung von Kurzarbeit genötigt. Beispielsweise der Vakuumventilhersteller VAT, der die Halbleiter-, Display- und Solarbranche beliefert. Er gab Mitte Juni bekannt, dass er 650 Produktionsmitarbeitende in den beiden Werken in Haag SG in Kurzarbeit schickt, vorerst bis Ende August.

Auch Heizkörperhersteller Zehnder angeschlagen

Die Flaute bekommt auch der Aargauer Heizkörper- und Lüftungshersteller Zehnder Group zu spüren. Das Unternehmen mit weltweit 4000 Angestellten erwirtschaftet gut 80 Prozent seines Umsatzes im EU-Raum. Zwar konnte es im ersten Halbjahr Umsatz und Gewinnmarge leicht steigern, hat aber am Donnerstag wegen der rückläufigen Nachfrage die Prognose fürs Gesamtjahr gesenkt.

Das hat Auswirkungen für das Personal. «Wir setzen derzeit in verschiedenen Ländern auf Kurzarbeit», sagt Finanzchef René Grieder. «In Ländern, wo es dieses Instrument nicht gibt, wie der Türkei oder China, haben wir auch schon Stellen abgebaut.» Weitere Entlassungen seien möglich, falls nächstes Jahr die Nachfrage weiterhin tief sei.

Schwächezeichen rund um den Erdball

Belastend für die Schweizer Exportindustrie wirkt, dass China als Lokomotive der Weltwirtschaft ausfällt. Im zweiten Quartal hat Chinas Wirtschaft deutlich an Schwung verloren. Schwächezeichen kommen auch aus anderen Weltregionen. Die Eurozone ist im ersten Quartal knapp an einer Rezession vorbeigeschrammt. Für die Schweizer Exportwirtschaft besonders schwerwiegend ist, dass der mit Abstand wichtigste Absatzmarkt Deutschland sich in einer Rezession befindet.

Der befürchteten Rezession entgangen sind bislang die USA. Doch in der Vergangenheit führte jede markante Zinserhöhung in der grössten Volkswirtschaft der Welt zu einer Rezession.

Eigenartig am derzeitigen weltweiten Wirtschaftsabschwung ist, dass weder die Konsumenten noch die Beschäftigten davon viel verspüren. Die Konsumlust ist fast überall gross, was unter anderem damit zu erklären ist, dass viele Menschen während der Pandemie grosse Geldsummen ansparen konnten. Ebenso herrscht fast überall Vollbeschäftigung.

Noch, muss man aber sagen. Denn die Gewinne der Unternehmen schrumpfen aufgrund der höheren Lohn-, Material- und Energiekosten bei gleichzeitig schlechterer Auftragslage. Die Gefahr ist gross, dass nach Rieter und Arbonia weitere Unternehmen zu Massenentlassungen greifen.

Denn laut Jean-Philippe Kohl, Vizedirektor und Leiter Wirtschaftspolitik des Branchenverbands Swissmem, sinkt der Auftragseingang vieler Unternehmen in der Maschinen-, Elektro- und Metallindustrie seit Monaten. Betroffen seien alle Hauptabsatzmärkte, also die Eurozone – und da vor allem Deutschland –, die USA und China.

Hauptursache dafür sei die restriktive Geldpolitik der Zentralbanken, die gerade bei Investitionsgütern sofort durchschlage. «Mit steigenden Zinsen steigen die Finanzierungskosten. Das spüren gerade Unternehmen, die teure Maschinen herstellen, etwa eine Werkzeugmaschine für eine Million Franken oder mehr», sagt Kohl.

Ein Licht am Ende des Tunnels sei noch nicht erkennbar. «Mit dem Krieg in der Ukraine, der Auseinandersetzung zwischen den USA und China und der Unsicherheit wegen der Energiesituation diesen Winter gibt es einfach noch zu viele Fragezeichen.»