Neue Ornithologie-StudieZugvögel kommunizieren auf ihren langen Reisen miteinander
Eine Analyse von Gezwitscher legt nahe, dass Tiere verschiedener Arten Informationen austauschen. Geben sie sich gegenseitig Reisetipps?
![Kraniche kehren bei Sonnenuntergang aus der Nahrungssuche in die Sümpfe bei Linum, Deutschland, zurück, 19. Oktober 2014.](https://cdn.unitycms.io/images/3O2AU_60aNfBPoCYklqama.jpg?op=ocroped&val=1200,800,1000,1000,0,0&sum=5eUQCUgkMGo)
- Forschende um Benjamin Van Doren von der University of Illinois haben mithilfe von KI das nächtliche Gezwitscher von Zugvögeln ausgewertet.
- Ihre Studie legt nahe, dass die Tiere artübergreifend Informationen austauschen, die etwas mit der Navigation zu tun haben könnten oder damit, Rastplätze zu finden.
- Auch andere Forschende zeigen, dass Zugvögel unterwegs viel weniger auf sich allein gestellt sind als bisher angenommen, dass sie vielleicht sogar soziale Netzwerke bilden.
Treffen sich ein Rotschwanz-Waldsänger und ein Kletterwaldsänger auf dem Rückflug ins Sommerquartier: «Ich bin todmüde und hungrig, weisst du, wo ein guter Rastplatz ist?», fragt der Rotschwanz-Waldsänger. «Halte durch, es ist nicht mehr weit, 20 Minuten von hier kannst du ausruhen und dir den Bauch vollschlagen», antwortet der Kletterwaldsänger.
Natürlich können sich Zugvögel in Wahrheit nicht unterhalten wie Menschen. Doch eine Studie in der Fachzeitschrift «Current Biology» legt nahe, dass Zugvögel verschiedener Arten auf ihren langen und gefährlichen Reisen miteinander kommunizieren und dabei Informationen austauschen. «Wir können nicht sicher sein, was sie sagen», sagt Studienautor Benjamin Van Doren von der University of Illinois nach einer Presseerklärung seiner Universität. «Aber es könnte mit der Navigation zu tun haben oder damit, geeignete Rastplätze zu finden.»
Wie nachts die Orientierung beim Vogelzug funktioniert
Zu Zeiten des Vogelzugs sind weltweit jedes Mal Milliarden Tiere unterwegs. Viele Arten fliegen allein und nachts. Bisher sei man davon ausgegangen, dass die Tiere ihren Weg von selbst fänden mithilfe einer angeborenen Reiseroute, gepaart mit Erfahrungen aus früheren Flügen, schreiben die Autorinnen und Autoren der Studie. Ihre Ergebnisse deuteten jetzt aber darauf hin, dass auf der Reise ein «sozialer Austausch von Informationen» stattfindet, der «bei der Navigation, der Orientierung oder beim Überleben hilft».
Auf die Idee, die Kommunikation zwischen verschiedenen Arten während des nächtlichen Vogelzugs zu untersuchen, sind die Forschenden gekommen, weil die meisten Vögel nicht stumm vor sich hin fliegen, sondern während ihrer Reise zwitschern und zwatschern. Ausserdem «überlappen sich die Reiserouten verschiedener Arten oft räumlich und zeitlich», schreiben die Forschenden in ihrer Studie. In einer einzigen Nacht seien gleichzeitig Hunderte Millionen Tiere aus Dutzenden verschiedenen Spezies unterwegs. Es ist eine Massenbewegung. «Die meisten Menschen sind sich dessen nicht bewusst, weil es passiert, während wir schlafen», sagt Van Doren.
KI hilft beim Auswerten von Vogelgezwitscher
Für seine Untersuchung wertete das Team um Van Doren 18’300 Stunden nächtliches Vogelgezwitscher aus, das andere Ornithologinnen und Ornithologen während des herbstlichen Vogelzugs an 26 verschiedenen Orten in den USA aufgenommen hatten. Mithilfe einer künstlichen Intelligenz stellten die Forschenden fest, dass das Stimmengewirr von 27 verschiedenen Zugvogelarten stammte: Neben den Rufen von Rotschwanz-Waldsängern und Kletterwaldsängern identifizierte das Programm unter anderem die Stimmen von Grauwangendrosseln, Rosenbrust-Kernknackern, Blaurücken-Waldsängern und Pieperwaldsängern.
Danach liessen die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler eine künstliche Intelligenz berechnen, wie oft die Rufe verschiedener Arten in Zeitintervallen von 15 Sekunden, einer halben Minute und einer ganzen Minute gleichzeitig zu hören waren. Das Programm fand heraus, dass die Vögel öfter miteinander zwitschern, als das per Zufall zu erwarten wäre. Nach Ansicht der Forschenden bedeutet das, dass eine Art der anderen antwortet, dass sich die Tiere also sozusagen unterhalten.
Möglicherweise bilden die Tiere soziale Netzwerke
Dieses Ergebnis passt zu einer Studie, die im Sommer 2024 in der Fachzeitschrift PNAS erschienen ist. Die Biologinnen Emily Cohen und Joely DeSimone von der University of Maryland, die auch an der aktuellen Studie beteiligt waren, kamen darin zu dem Ergebnis, dass Zugvögel an Rastplätzen, an denen viele verschiedene Arten zusammentreffen, Informationen austauschen.
Das alles deutet darauf hin, dass Zugvögel auf ihren langen und gefährlichen Reisen viel weniger auf sich allein gestellt sind als bisher angenommen. Möglicherweise bilden die Tiere soziale Netzwerke, in denen sie sich artübergreifend gegenseitig unterstützen. Schon länger ist bekannt, dass sich manche Vogelarten gegenseitig vor Feinden warnen. Zwar ist es wahrscheinlich nicht die Intention der Tiere, die andere Spezies zu beschützen. Doch Fakt ist, dass etwa Eichelhäher mit ihrem krächzenden Warnruf viele verschiedene Vogelspezies und sogar manche Säugetiere alarmieren und dazu veranlassen, in Deckung zu gehen.
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