Stadtratswahlen Zürich«Mutige Kampfansage»: GLP lanciert mit Zweierticket die Secondos-Frage im Stadtrat
Die Grünliberalen schlagen zwei Frauen mit Migrationshintergrund für den zweiten Stadtratssitz vor. Politologen sehen darin einen geschickten Schachzug.

- Die Grünliberalen wollen einen zweiten Sitz in der Zürcher Stadtregierung erobern.
- Serap Kahriman und Monica Sanesi, beide mit Migrationshintergrund, sind als Kandidatinnen im Gespräch.
- Die SP könnte nun unter Druck geraten, ebenfalls Kandidierende mit Migrationshintergrund aufzustellen.
Der Zürcher Stadtratswahlkampf nimmt Fahrt auf. Stadtpräsidentin Corine Mauch und Hochbauvorsteher André Odermatt treten bei den Wahlen im März 2026 nicht mehr an, ebensowenig wie Filippo Leutenegger (FDP). Am Freitag hat nun auch die Grünliberale Partei ihre Karten offengelegt: Sie will in der Stadtregierung einen zweiten Sitz erobern – entweder mit Gemeinderätin Serap Kahriman oder Kantonsrätin Monica Sanesi; entscheiden wird die Mitgliederversammlung am 20. März.
Die GLP will damit «frischen Wind» in die städtische Exekutive bringen, wie sie mitteilt. Sie sei mit 13 Prozent Wähleranteil im Gemeinderat die viertstärkste Kraft und könne tragfähige Mehrheiten bilden. Der bisherige GLP-Gesundheitsvorsteher Andreas Hauri, seit 2018 im Stadtrat, tritt erneut an – ob er auch fürs Stadtpräsidium kandidiert, ist noch offen.
Weil bekannte GLP-Politikerinnen wie Ständerätin Tiana Angelina Moser und Nationalrätin Corina Gredig auf eine Stadtratskandidatur verzichten, rücken nun weniger prominente Namen ins Rampenlicht.
Andere Lebensrealitäten abbilden
Serap Kahriman (35), deren Eltern aus der Türkei stammen, ist seit 2022 Zürcher Gemeinderätin. Kahriman hat einen Master in Rechtswissenschaften und leitet die Koordinationsstelle für Umweltschutz des Kantons Schaffhausen. Sie ist zudem Co-Präsidentin der IG Frauen Gemeinderat und setzt sich für Frauenförderung in der Politik ein.
«Es wäre wichtig, dass auch Menschen mit Migrationsgeschichte in der Zürcher Stadtregierung vertreten sind», sagt Kahriman auf Anfrage. Dort müssten auch andere Lebensrealitäten und andere Blickwinkel auf gesellschaftliche Themen Eingang finden. Am Schluss sei allerdings nicht der Migrationshintergrund entscheidend, sondern die fachlichen Qualitäten.
Auch für Monica Sanesi (53) ist die stärkere Mitsprache von Menschen mit Migrationshintergrund in der Politik ein zentrales Anliegen. Sanesi, nach eigenen Angaben «in oder zwischen der schweizerischen und der italienischen Kultur aufgewachsen», hat an der ETH Zürich Umweltnaturwissenschaften studiert und arbeitet im Umweltbereich. Seit 2019 sitzt sie im Kantonsrat, zudem präsidiert sie den Verein Second@s Zürich.
55 Prozent mit Migrationshintergrund
«Ein wichtiger Teil unserer Demokratie ist, dass unsere diversen Bevölkerungsgruppen in den verschiedenen politischen Ämtern vertreten sind», sagt Sanesi. Bei Personen mit Migrationshintergrund sei dies aktuell leider noch nicht genügend der Fall.
In Zürich haben laut Statistik mehr als 55 Prozent der Menschen einen Migrationshintergrund, doch in der Stadtregierung sind sie noch nicht vertreten. Einzig Corine Mauch hat in gewisser Weise einen Migrationshintergrund, da ihre Eltern bei ihrer Geburt in den USA lebten.
Politologen attestieren den Grünliberalen, mit diesem Vorschlag einen geschickten Schachzug zu machen. Nicht nur, weil im Zürcher Stadtrat Frauen untervertreten sind. Sondern auch mit Blick auf den Migrationshintergrund der beiden Politikerinnen.
«Es kann der Partei helfen, in der Stadt Zürich besser sicht- und damit auch wählbar zu werden», sagt Michael Hermann, Leiter des Forschungsinstituts Sotomo. Eine Partei brauche möglichst Alleinstellungsmerkmale. Kandidatinnen mit Migrationshintergrund zu portieren, sei in der Stadt Zürich ein möglicher «Unique Selling Point».

Ähnlich äussert sich Lukas Golder, Co-Leiter des Forschungsinstituts GFS Bern: «Die Kandidaturen der GLP sind eine mutige Kampfansage an die etablierten linken Kräfte.» Über die Jahrzehnte seit Einführung des Frauenstimmrechts sei es immer besser gelungen, mindestens geschlechtliche Diversität der Wählerschaft als Vorteil für Regierungen zu präsentieren. «Die Wählerbasis in Städten geht vielleicht schon heute weiter und honoriert auch den Migrationshintergrund als Beitrag zu mehr Diversität.»
Andere Parteien in Zugzwang?
Nach der Nomination der beiden GLP-Secondas stellt sich auch für andere Parteien die Frage, ob sie Kandidierende mit Migrationshintergrund nominieren sollen.
Bei der Stadtzürcher FDP stünde ein Kandidat mit albanischen Wurzeln bereit: Parteipräsident Përparim Avdili. Ob er ins Rennen steigt, lässt er bisher offen. «Es wäre wünschenswert, wenn mehr Leute mit Migrationshintergrund in der Stadtregierung vertreten wären», sagt er. Die Vielfalt der Bevölkerung müsse dort abgebildet sein, aber der Migrationshintergrund dürfe am Schluss nicht das alleinige Kriterium sein.
Und was sagt SVP-Co-Präsident Ueli Bamert? «Wir sind offen für alle Kandidaten, die fachlich geeignet sind.» Auch er würde es begrüssen, wenn mehr Personen mit Migrationshintergrund für die SVP kandidierten, aber letztlich sei die Herkunft nicht das entscheidende Kriterium, sondern dass die Person die nötigen Kompetenzen mitbringe.
«Recht gute Chancen» für zweiten Sitz
Offen ist, inwieweit die GLP mit ihrer Taktik ihrem Ziel eines zweiten Sitzes näherkommt. Als kleine Partei müsse sie sich bei Majorzwahlen besonders anstrengen, sagt Politologe Golder. Zumindest im Kanton Zürich hat die Partei laut Golder mit der Wahl von Tiana Angelina Moser in den Ständerat bewiesen, dass sie bei Persönlichkeitswahlen erfolgreich sein kann. «Die GLP der Stadt Zürich will von diesem Aufwind profitieren», sagt Golder. Allerdings sei die GLP bei Wahlen generell unter Druck, es fehle teilweise an der inhaltlichen Schärfe und Kohärenz.
Michael Hermann dagegen rechnet der GLP «recht gute Chancen» für einen zweiten Sitz aus. Seiner Einschätzung nach wird die SP wegen der Secondo-Frage unter Druck kommen – jene Partei, die gemessen an ihrem Wähleranteil im Stadtrat mit vier Sitzen übervertreten ist. «Zieht die SP nun nicht mit auch mindestens einer solchen Kandidatur nach», sagt Hermann, «kann das bei der Wählerschaft sehr bieder rüberkommen.» Zumal wenn sie tatsächlich mit Raphael Golta und damit einem Bisherigen das Stadtpräsidium verteidigen wolle.
SP-Präsident: «Stimmbevölkerung wäre bereit»
Die SP unter Zugzwang? Der Stadtzürcher SP-Präsident Oliver Heimgartner sagt, seine Partei müsse sich noch mehr dafür einsetzen, Kandidatinnen und Kandidaten mit Migrationsgeschichte für Exekutivämter aufzubauen. Im Vergleich zu anderen Parteien sei die Zürcher SP aber nicht schlecht unterwegs.
Heimgartner erinnert an die Wahl von Islam Alijaj in den Nationalrat und von Mandy Abou Shoak in den Kantonsrat. Die SP-Politikerin mit Wurzeln im Sudan hat eine Stadtratskandidatur nicht ausgeschlossen. Auch SP-Kantonsrat Andrew Katumba, Sohn eines Uganders und einer Ukrainerin, überlegt sich eine Kandidatur.
Heimgartner ist jedenfalls überzeugt, dass die Zürcher Stimmbevölkerung bereit wäre für ein Stadtratsmitglied mit Migrationsgeschichte.
Fehler gefunden?Jetzt melden.