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Stimmtherapie für trans Personen in Zürich
Mit 71 will sie ihre Stimme ihrem Geschlecht anpassen

Jean-Jeanne Rivar lacht während einer Sprechstunde zur Anpassung der Sprechstimme. Foto von Manuela Matt.
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Im Universitätsspital Zürich sitzt Jeanne Rivar ihrer Logopädin Britta Balandat gegenüber. Es ist ihr zweiter Termin in der Abteilung Phoniatrie und Klinische Logopädie. Zusammen verfolgen sie hier ein gemeinsames Ziel. Jeanne Rivar definiert es so: «Ich will diese dunkle Stimme nicht mehr. Ich will als Frau gelesen werden.» Dafür besucht sie Britta Balandat: zur Anpassung ihrer Sprechstimme.

Jeanne Rivar lebt im Raum Zürich, ist 71 Jahre alt. Seit ihrer Pensionierung ist sie nur noch als Frau unterwegs und hat kürzlich den Mut gefasst, als letzten konsequenten Schritt ihre äussere Identität der inneren anzupassen.

Die Krankenkasse bezahlt für Jeanne Rivars Transition

Damit die Stimmtherapie und andere Schritte in der Transition vorgenommen und von der Krankenkasse übernommen werden können, musste auch bei Rivar im Vorfeld eine Genderdysphorie diagnostiziert werden. Heisst, es musste ärztlich bestätigt werden, dass ihr biologisches Geschlecht nicht mit ihrem psychisch gefühlten übereinstimmt.

Jean-Jeanne Rivar im Gespräch mit Logopädin Britta Balandat im Universitätsspital Zürich.

Seit zehn Monaten nimmt Rivar das weibliche Hormon Östrogen, ihre partielle Geschlechtsangleichung steht ihr noch bevor. Bereits jetzt besucht sie die Logopädin Britta Balandat, die seit 30 Jahren in ihrem Beruf arbeitet.

Jeanne Rivar kämpft mit einem hohen Laut

In der Stimmtherapie erzählt Rivar von ihrer Woche. Sie habe sich jemanden ausgesucht, um ihre Stimme auszuprobieren. Sie freute sich, als dieses Gegenüber ihr sagte: «Du warst ganz Frau.»

Rivars Logopädin bittet sie zu einer Übung. Wie Käuzchen sollen sich die beiden gegenseitig zurufen. Jeanne Rivar kämpft mit dem hohen Laut, hörbar und sichtbar. Sie ist angespannt. Wenn sie versucht, den hohen Ton zu treffen, reckt sie dabei, wie zur Unterstützung, den ganzen Körper.

In der ersten Sitzung wurde Rivar zwar ein beachtlicher Stimmumfang attestiert, was ihr Mut machte. Aber jetzt sagt sie: «Das wird kein Spaziergang.» Balandat beruhigt: «Wir machen Elemente aus dem Gesangstraining. Wenn keine Erfahrung da ist, dann ist das eine harte Geschichte. Die gesamten Stimmmuskeln müssen sich anpassen.»

Für trans Frauen ist die Stimmanpassung schwieriger

Bei trans Männern sinkt die Stimmlage bereits mit der Einnahme des Hormons Testosteron, da dieses zu einem Wachstum und zu Massenzunahme der Stimmlippen führt. «Und viel Masse schwingt tief, wenig Masse schwingt hoch», sagt Balandat. Begleitend dazu wird die Stimme gefestigt und an der Sprachmelodie gearbeitet.

Bei trans Frauen ist die Stimmanpassung komplizierter. Der cis männliche Vokaltrakt – dazu gehören zum Beispiel Rachen und Mundraum – sei rein anatomisch länger und schlanker gebaut als der cis weibliche, erklärt die Logopädin. So muss neben der Stimmbeweglichkeit auch die Beweglichkeit der Rachenmuskulatur trainiert werden. «Es ist so, wie wenn man die Saiten einer Geige stärker spannt», sagt sie.

Die Logopädin Britta Balandat in weissem Kittel. Schwarz-weisse Fotos im Hintergrund.

Die Glottoplastik, also der chirurgische Eingriff, bei dem Stimmlippen verkürzt werden, biete man nicht als erste Behandlungsmassnahme an, sagt Balandat. Nach der Operation bestehe das Risiko, dass man eine gewünschte Lautstärke nicht mehr erreiche, die Stimme sich heiser oder schlimmstenfalls zu hoch anhören könne.

Im Universitätsspital gibt es eine lange Warteliste

Jeanne Rivar ist nicht die einzige Patientin, die Balandat aufsucht. Momentan sind es etwa 100 Personen pro Jahr, die bei ihr und einer weiteren Logopädin ihre Stimme individuell verbessern möchten. Die meisten seien zwischen 20 und 30 Jahre alt, sagt Balandat, die seit 16 Jahren im Unispital Zürich arbeitet.

Vier bis sechs Therapiestunden im Abstand von jeweils einem Monat sind nötig. Da die beiden Therapeutinnen hier den Löwenanteil von Patientinnen und Patienten aus dem gesamten deutschsprachigen Schweizer Raum beraten, werden die meisten Sitzungen in Gruppen von bis zu zwölf Teilnehmenden abgehalten.

Die Nachfrage für das Angebot, das es im Unispital Zürich seit etwa 20 Jahren gibt, ist gross. Und steigend. Wer sich für die Therapie anmeldet, muss mit einer vier- bis sechsmonatigen Wartezeit rechnen.

Um diese Not weiss auch die Politik: Mitte März reichten drei Vertreterinnen und Vertreter linksgrüner Parteien ein Postulat ein. In diesem wird der Zürcher Stadtrat dazu aufgefordert, zu prüfen, «wie das spezifische medizinische und psychotherapeutische Angebot für binäre und nicht-binäre trans Menschen in der Stadt Zürich gestärkt werden kann».

Ein Vorstoss, den Balandat begrüsst. Es herrsche ein deutlich spürbarer Mangel, sagt sie.

Eine App für die Stimmtherapie

Eine konkrete Vorstellung ihrer «voix preferée», wie Rivar sie nennt, habe sie nicht. Ihr Ziel sei lediglich, in die cis weibliche Stimmlage zu kommen. Um diese zu üben, empfiehlt Balandat ihr die App «Voice Tools», mit der nicht nur beobachtet werden kann, wo man sich mit der Stimmfarbe befindet, sondern wo auch konkrete Töne trainiert werden können. Als Hausaufgabe gibt Balandat Rivar den Ton A3 zum Üben an, den viele Frauen benutzen, wenn sie in der cis weiblichen Lage sprechen. Rivar nennt es im Gespräch kurz «das himmlische A» und lacht.

Jean-Jeanne Rivar sitzt mit langen grauen Haaren während einer Sprechstunde bei Logopädin Britta Balandat im Universitätsspital Zürich, umgeben von medizinischem Equipment.

Im Unispital und auch privat muss Rivar sich konzentrieren, um mit ihrer hellen Stimme zu sprechen. Wenn es am anderen Ende bei einem Anruf dann heisse «Grüezi Frau Rivar», dann weiss sie: Es hat funktioniert. Wenn sie aber merke, dass sie zu tief spreche, dann könnte sie sich «chläpfe».

Auch während der Stimmübungen ist es ein Auf und Ab. Sie sagt «Mist!», wenn ihr etwas nicht gelingt, aber ihre Augen leuchten, wenn Balandat sie mit einem «Sehr gut!» oder «Genau so! Das ist es!» lobt.

Jeanne Rivar arbeitete als Mann und lebte privat als Frau

Jeanne Rivar kommt bei der Therapie ihre Lebenserfahrung entgegen. Schon als Kind fühlte sich Jeanne, damals noch Hans, anders. Sie mochte Kleider, das Macho-Getue ihrer Kameraden während der Pubertät nervte sie. Und «Fussball hat mich aagschnäggelet», sagt sie.

Ihr Leben war eine Odyssee auf der Suche nach ihrer Identität. Sie eckte oft an, wusste aber nicht, warum. Ende der 70er-Jahre machte sie in London die Bekanntschaft mit einer intersexuellen Person. Da realisierte sie: «Das bin ich!» Lange fuhr sie zweigleisig: In der Arbeitswelt war sie als Mann unterwegs, privat als Frau. Vier Jahre nach ihrer Pensionierung entschloss sich Jeanne Rivar zur Geschlechtsanpassung.

Vieles nimmt sie mit Humor. Auch während der Sitzung mit Balandat. Rivar lacht oft während der Übungen. Etwa wenn sie nur «blablabla» sagen muss, Füllwörter wie «okay» oder ein «hmh», mal fragend, zustimmend oder zuhörend nutzen soll.

Jean-Jeanne Rivar spricht während einer Sprechstunde mit Logopädin Britta Balandat in der Frauenklinik des Universitätsspitals Zürich über Stimmtraining zur Behandlung von Genderdysphorie.

Die Arbeit braucht viel Fingerspitzengefühl

Die Arbeit mit Jeanne Rivar ist unkompliziert. Nicht selten aber hat die Therapeutin Balandat Patienten und Patientinnen mit Nebendiagnosen: Depressionen, Angststörungen. Die Beziehungsebene sei wahnsinnig wichtig, sagt sie. «Ich lasse mich sehr stark auf die Betreffenden ein, und das braucht viel Aufmerksamkeit und Fingerspitzengefühl.»

Wie sehr sich Balandat auf ihr Gegenüber einlässt, kann man auch an ihrer Körpersprache feststellen: Wenn die Therapeutin bei Rivar eine stimmlich hörbare Veränderung feststellt, reckt sie den Daumen hoch, einmal klatscht sie vor Freude in die Hände, macht dabei sogar einen kleinen Hüpfer auf ihrem Stuhl.

Jean-Jeanne Rivar sitzt im Universitätsspital Zürich während einer Sprechstunde zur Anpassung der Sprechstimme bei der Logopädin Britta Balandat. Im Hintergrund ist ein Whiteboard mit Notizen sichtbar.

Für die 71-jährige Jeanne Rivar ist das Allerwichtigste, dass sie immer sich selbst sein kann. Die Stimme darf sich nicht fremd anfühlen. Auch nicht bei einem engagierten Gespräch. Das Hauptziel der Stimmtherapie, so sagt es Britta Balandat, sei, dass man zum Schluss in der Lage sei, die Gefühlspalette im Leben auch adäquat stimmlich ausdrücken zu können.

Dafür gibt sich Jeanne Rivar Zeit. Es werde wohl noch zwei Jahre dauern, bis sie nicht mehr in ihre alte Stimme zurückfalle, schätzt sie und sagt: «Und dafür werde ich üben, üben, üben.»