Zürcher Theater in der KriseSchauspielhaus in Schieflage: «Es braucht einen radikalen Neuanfang»
Massiver Zuschauerschwund und 1,4 Millionen Franken Verlust: Angesichts der schlechten Zahlen im Schauspielhaus fordern Bürgerliche Konsequenzen.
Es sind unerfreuliche Zahlen, welche die Verantwortlichen des Schauspielhauses Zürich am Dienstagabend an der Generalversammlung bekannt geben mussten. So schliesst das Geschäftsjahr 2022/23 mit einem Verlust von 1,39 Millionen Franken ab. Dies unter anderem wegen des deutlichen Rückgangs der Zuschauerzahlen und der Sponsoringerträge.
«Das Publikumsaufkommen entsprach über die ganze Spielzeit hinweg nicht den Erwartungen», hält das Schauspielhaus in einer Mitteilung fest. Mit rund 3 Millionen Franken Einnahmen aus dem Ticketverkauf sei das Budgetziel um mehr als 2 Millionen Franken deutlich verfehlt worden.
Die beiden grossen Spielstätten Pfauen und Schiffbau-Halle seien mit 48 Prozent und 54 Prozent ungenügend ausgelastet gewesen. Auch die Bereiche Sponsoring und Fundraising konnten laut der Mitteilung das hohe Niveau der Vorjahre nicht halten und lagen mit Einnahmen von rund 1,45 Millionen unter den Erwartungen.
38,8 Millionen Franken von der Stadt
Um den sich abzeichnenden Verlust zu mindern, ergriff das Schauspielhaus – es erhält jährlich 38,8 Millionen Franken von der Stadt – bereits Sparmassnahmen, unter anderem gilt ein Einstellungsstopp. So liegen die Personalkosten inflationsbereinigt rund eine halbe Million unter dem Vorjahr.
Weiter wurden verschiedene künstlerische Projekte gestrichen und nicht zwingend notwendige Investitionen verschoben. Mittelfristig müssten wieder «deutlich mehr zahlende Zuschauerinnen und Zuschauer» kommen, um den Betrieb finanziell zu stabilisieren, hält das Schauspielhaus fest.
Es war die vierte Saison unter der künstlerischen Leitung von Nicolas Stemann und Benjamin von Blomberg. Im Sommer 2025 übernimmt das Intendantenduo Pınar Karabulut und Rafael Sanchez.
«Publikum will nicht einseitig belehrt werden»
«Die dramatischen Zahlen unterstreichen, dass die Sorgen der FDP völlig berechtigt waren», sagt Michael Schmid, FDP-Fraktionschef im Zürcher Gemeinderat. Das Publikum laufe dem Schauspielhaus in Scharen davon, der Kurs der scheidenden Intendanz sei «komplett gescheitert». Jetzt brauche es einen «radikalen Neuanfang mit hoher Qualität und dem Willen, ein echtes Stadttheater zu sein, welches ein breites Publikum von sich begeistert».
Nach Ansicht von SVP-Gemeinderat Stefan Urech wurden das theaterinteressierte Publikum und treue Abonnenten durch ein «linksideologisches Programm» vertrieben. Während der «durch ein wokes Programm angesprochenen Zielgruppe» im Theater Neumarkt, in der Gessnerallee und in der Winkelwiese stets eine grosse Auswahl an Stücken angeboten werde, sei der nicht auf dieser Schiene fahrende Theaterkonsument heimatlos geworden. Unabhängig von der politischen Ausrichtung wolle das Publikum nicht bei jeder Aufführung «eindimensional belehrt werden», sagt Urech.
Kritik an «Schauspielhaus-Bashing»
Grünen-Gemeinderat Urs Riklin wehrt sich gegen die «Schauspielhaus-Bashing-Kampagne» der Bürgerlichen. In vielen Städten zeichne sich ab, dass das ältere Stammpublikum seit der Pandemie dem Theater zunehmend fernbleibe, während das jüngere Publikum zahlenmässig leicht zulege. Finanziell zahle sich das für viele Häuser weniger aus. Denn jüngere Gäste lösten mitunter aus finanziellen Überlegungen kein Saisonabonnement, sondern entschieden sich spontan für einen Vorstellungsbesuch.
Vielen Theatern müsse daher der Spagat gelingen, das treue, ältere Stammpublikum wie auch ein progressiveres jüngeres Publikum anzusprechen.
Nebst dem Publikumsrückgang müsse aber auch die Situation auf dem Sponsoringmarkt berücksichtigt werden, sagt Riklin. Swiss Re habe sich als wichtige Sponsorin beim Schauspielhaus zurückgezogen. Generell meldeten Kulturbetriebe, dass es schwieriger geworden sei, private Sponsoren zu finden.
SP-Gemeinderätin Maya Kägi Götz verweist auf das veränderte Freizeitverhalten, das nahezu alle Kultureinrichtungen spürten. Dass der Besucherrückgang auf das künstlerische Programm allein zurückzuführen sei, bezweifelt sie. Sie nehme das Schauspielhaus als offenes, für alle Bevölkerungsgruppen zugängliches Haus wahr. In der Theaterpädagogik und der Nachwuchsförderung sollten keine Abstriche gemacht werden.
Schauspielhaus verspricht «guten Mix»
Und was sagt das Schauspielhaus zum Vorwurf, am Publikum vorbeizuspielen? «Wir nehmen diese Kritik sehr ernst und möchten verhindern, dass die geglückte Verjüngung des Publikums zulasten des Publikums geht, welches das Schauspielhaus seit Jahren besucht», sagt Sprecherin Zora Schaad. Schon für die aktuell laufende Spielzeit habe die jetzige Intendanz einen Spielplan zusammengestellt, der auch jene Personen wieder vermehrt ansprechen möchte, die Sprechtheater, Klassikerinszenierungen und texttreue Umsetzungen bevorzugten. Auch in Zukunft werde das Schauspielhaus darauf achten, einen «guten Mix» aus modernen und klassischen Produktionen zusammenzustellen.
Auch Stadtpräsidentin Corine Mauch (SP) findet, «dass es unserem Stadttheater gelingen muss, mit einem breiteren Programm wieder mehr Besucherinnen und Besucher zu begeistern», wie sie auf Anfrage sagt. Sie habe Vertrauen in den Verwaltungsrat, dass er weiterhin die richtigen Entscheidungen treffe. Die Frage einer Subventionserhöhung stelle sich aktuell nicht. Es liege kein entsprechender Antrag des Schauspielhauses vor.
So stehen andere Theater da
Mit finanziellen Problemen hat derzeit auch das Theater Basel zu kämpfen. Dort resultierte Ende Saison ein Verlust von 466’000 Franken. Anderen Häusern läuft es besser. Beim Zürcher Theater Neumarkt resultierte in der vergangenen Spielzeit ein kleiner Gewinn von 8000 Franken. Das Opernhaus Zürich hat das Spieljahr 2022/23 mit einem Gewinn von knapp einer Million Franken abgeschlossen und die Auslastung auf fast 90 Prozent gesteigert.
Auch im Theater Winterthur entwickeln sich Besucherzahlen und Finanzen derzeit positiv. Die Rechnung schliesst mit einem Plus von 15’000 Franken.
Bühnen Bern erreichte in der Saison 2022/23 ebenfalls mehr Zuschauerinnen und Zuschauer und schloss mit einem ausgeglichenen Haushalt ab, wie es auf Anfrage heisst. Beim Theater St. Gallen spricht man von einer guten Auslastung, die vergangene Spielzeit habe man mit einem Gewinn von 20’000 Franken abgeschlossen.
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