Schauspielhaus-Regiestar im Interview«Zürich ist mir bis heute nicht ans Herz gewachsen»
Christopher Rüping zieht vor seiner letzten Premiere eine Bilanz seiner Zürcher Zeit. Er sagt, was tiefe Zuschauerzahlen bei ihm auslösen und was man vielleicht hätte besser machen können.
Herr Rüping, finden Sie es falsch, dass der Verwaltungsrat des Schauspielhauses den Vertrag mit den Intendanten Nicolas Stemann und Benjamin von Blomberg nicht verlängert hat?
Ich finde es schade. Nicht für mich selbst: Ich hatte mit 7 Stücken in 5 Jahren eine gute Strecke und werde meine Arbeitsbeziehungen an neuen Orten weiterpflegen, etwa in Hamburg. Aber für das Projekt wäre es nachhaltiger gewesen, es weiterzuführen, es ist noch nicht auserzählt. Es war ein Raum für tolle Leute, erstklassige Arbeiten, notwendige Entwicklungen: Unseren «Kompass», eine Aufstellung der Grundsätze zum Zusammenarbeiten, halte ich zum Beispiel für eine fruchtbare Wegleitung. Übrigens fand ich auch damals bei Matthias Lilienthals Intendanz an den Münchner Kammerspielen: Die fünf Jahre waren zu kurz. In Zürich kam zudem Corona dazwischen.
Wo hat es sonst noch gehakt?
Vielleicht hätte man das ehrgeizige Konzept mit den Hausregisseuren und -regisseurinnen ein wenig überarbeiten müssen. Denn dieses führte zu einer schwierigen Stellung einzelner Ensemblemitglieder, die nicht von Beginn an zu einer festen Gruppe rund um einen Hausregisseur gehörten. Die Leute hatten ziemlich unterschiedliche Ausgangslagen.
Manche fühlten sich aussen vor. Die neue Intendanz verzichtet auf Hausregisseure.
Ich war total positiv überrascht von der Wahl der neuen Intendanz Pınar Karabulut und Rafael Sanchez. Ich glaube an das Co-Leitungsmodell, und die beiden sind eine superaufregende Setzung! Pınar kenne ich ein bisschen; Zürich hat hier eine vielversprechende Entscheidung getroffen.
Es wird oft geklagt, dass Zürich keine Theaterstadt ist.
Zürich ist nicht Wien, das ist klar. Keine Stadt ist wie Wien, wo man als Theatermensch quasi auf Händen getragen wird. Aber es stimmt schon: Zürich tickt anders als andere Städte. Ich persönlich kenne Zürich ja seit langem, habe hier schon im Theaterstudium ein Semester verbracht und fand es schrecklich. Und die Stadt ist mir bis heute nicht ans Herz gewachsen; was ich mag, ist die Stadionbrache, in deren Nähe ich gewohnt habe, sodass ich mit meinem Hund rasch an der Limmat war. Es hat auch bei meinen eigenen Arbeiten mit den Zuschauerzahlen nicht so funktioniert, wie ich mir das gewünscht hätte. Das geht nicht spurlos an einem vorbei.
Wovon sprechen Sie?
Zum Beispiel von meiner Lieblingsinszenierung «Einfach das Ende der Welt».
Sie erhielt renommierte Auszeichnungen wie die Einladung zum Berliner Theatertreffen, die Wahl zur «Besten Inszenierung des Jahres» und den Nestroy-Preis für die «Beste deutschsprachige Aufführung».
Internationale Anerkennung tut gut, aber vom Livepublikum «gesehen» zu werden, ist das Wichtigste. Die Inszenierung ist eine meiner persönlichsten Arbeiten und gleichzeitig eine Umarmung des Publikums, sehr zugänglich, narrativ und schauspielerisch auf extrem hohem Niveau. In anderen Städten wurde sie frenetisch gefeiert, hier füllte sie kaum die Halle. So etwas verletzt. Umgekehrt ist meine Sarah-Kane-Inszenierung «Gier» viel abstrakter, kam aber beim hiesigen Publikum gut an. Manchmal versteht man die Reaktionen schlicht nicht. Und ich frage mich auch: Was bleibt von der eigenen Arbeit, wenn ich nun gehe? Für diese Frage ist Anton Tschechows «Die Möwe», meine letzte Inszenierung hier, gerade das Richtige.
Inwiefern?
Es ist ein Stück der Selbstverortung, es geht um Generationenkonflikte, es geht darum, sich Platz zu nehmen und dann wieder Platz zu machen. Da ist auf der einen Seite das arrivierte, ältere Künstlerpaar, auf der anderen Seite das junge und hungrige – das scheitern wird. Ich sehe mich in meiner Laufbahn genau dazwischen. Muss von meiner Arbeit überhaupt etwas bleiben? Solche Fragen kann man anhand der «Möwe» untersuchen. Auch die verschiedenen Publikumsgenerationen mit ihren heterogenen Ansprüchen werden da widergespiegelt. Für mich ist es jetzt exakt das richtige Zürich-Abschiedsstück.
Am Freitag ist Premiere. Wie geht es Ihnen mit Ihrem Finale?
Es hat tatsächlich alles diese Wehmut des letzten Mals: die letzten Bauproben, die letzten Endproben, das letzte Mal in dieser festen Konstellation zusammen sein, die erst hier so richtig zusammengefunden hat.
Beim legendären Publikumsgipfel am Pfauen klagte ein Stammgast, dass zu wenig illusionistisch inszeniert würde; dass bei Tschechow-Abenden zum Beispiel der Samowar fehle.
Ja, dieser Gipfel war für mich in der Tat ein Anstoss, mich zum ersten Mal an einen Tschechow heranzuwagen. Zugegeben, wir haben kein klassisches Setting, es gibt wieder keinen Samowar. Ursprünglich hatte Tschechow sich das Stück als Satire gedacht und wehrte sich gegen eine einfühlende, illusionistische und tragische Deutung.
Er hat das Stück dann aber zur Tragödie umgeschrieben.
Er konnte fast nicht anders. Erst als Tragödie hatte es Erfolg. Mich persönlich fasziniert seine Darstellung von Leere. Die Figuren kreisen – wie wir heute – wahnsinnig um sich selbst und jagen vergeblich einem intensiven Lebensgefühl nach. Es gelingt ihnen nie, sich selbst als winzigsten Punkt auf einem winzigen Punkt mitten im All zu sehen und zu relativieren, Stichwort «Pale-Blue-Dot-Effect». Ich lese «Die Möwe» als Meditation über die Vergänglichkeit und über das richtige Leben angesichts der Flüchtigkeit von allem.
Premiere von «Die Möwe»: Pfauen, 22. Dezember
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