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Meinung

Analyse zur designierten Schauspielhaus-Intendanz
Man wollte es progressiv – und populär

Pınar Karabulut hinterfragt in ihren Inszenierungen stereotype Genderrollen.
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Im Februar wurde der Vertrag des Zürcher Intendanten-Gespanns Nicolas Stemann / Benjamin von Blomberg unter viel Getöse nicht verlängert, es kam zu Protestaktionen Kulturschaffender (und zum geheimen Aufatmen gewisser Fraktionen am Schauspielhaus). Selbst die österreichische Literaturnobelpreisträgerin Elfriede Jelinek schaltete sich ein, man befürchtete eine ideologische Rolle rückwärts. Doch Stadtpräsidentin Corine Mauch versprach damals: «Die Bemühungen des Hauses, sich im Sinn der Diversität zu öffnen, sind richtig. Mir ist wichtig, zu betonen, dass wir den eingeschlagenen Kurs weiterentwickeln.»

Man kann sagen, dass Mauch ihr Wort gehalten hat mit der Wahl von Pınar Karabulut und Rafael Sanchez als neues Leitungsduo ab Sommer 2025. Die designierte Co-Intendantin ist 36 Jahre jung, ein deutsches Wirtschaftsmagazin zählte sie 2022 zu den «Top 40 unter 40» in der Kategorie Gesellschaft, von 2020 bis 2023 war sie Teil der künstlerischen Leitung der Münchner Kammerspiele.

Die Eltern der jungen Frau, die sich als «durch und durch NRW» (Nordrhein-Westfalen) beschreibt, stammen aus dem anatolischen Kayseri und ihre Inszenierungen aus dem Geist des queerfeministischen Empowerments. Sie sind bunt und poppig, bürsten Klassiker gegen den Strich, Stichwort «Überschreibung», geben Marginalisierten eine Bühne.

Knallig und grell

Karabulut wurde zum Theaterfestival «Radikal jung» in München eingeladen und 2022 zum Berliner Theatertreffen. Man hat sie als «spannendste Newcomerin der Theaterszene» gefeiert, ihre Arbeiten aber auch schon als zu grell, platt und unsubtil abgekanzelt.

Am Theater Neumarkt in Zürich hat Karabulut früh assistiert und 2018 dann auch inszeniert. Die fetzige Aufführung mit dem Titel «The Great Tragedy of Female Power» hatte also nicht mehr während Rafael Sanchez’ Co-Direktion am Neumarkt (2008-2013) Premiere. Aber am Schauspiel Köln waren Sanchez und Karabulut beide seit 2013 sehr präsent.

Rafael Sanchez greift klassische und neue Stoffe populär auf.

Der 48-jährige Basler ist schon als «Spielkind unter den Regisseuren» bezeichnet worden: Das Kippen ins Klamaukige ist geradezu sein Markenzeichen – wie im «Sommernachtstraum», den das damalige Leitungsduo des Theaters Neumarkt, Rafael Sanchez und Barbara Weber, zum Abschied als prallen und zugleich putzigen Kinderkarneval gestaltete. Dass Sanchez auch anders kann, härter, schärfer, hat er in Zürich ebenso gezeigt wie etwa in Köln, wo er jetzt eine Dekade als Hausregisseur gearbeitet hat. Keine Frage, dass man ihn dort schätzt: Der Kölner Intendant, der Zürcher Stefan Bachmann, wechselt im Sommer 2024 ans Wiener Burgtheater, und Sanchez übernimmt die Interimintendanz bis 2025.

Premiere wurde abgesagt

Am Theater Neumarkt hätte das Team Weber/Sanchez damals ein Jahr länger bleiben dürfen: Die Leitung der beiden verbucht die Theater am Neumarkt AG als Erfolg, abgesehen von kleineren Rumplern lief es auch zahlentechnisch gut. Ausserdem ist Rafael Sanchez auch der Regisseur der superpopulären Solo-Theaterabende von Mike Müller wie etwa «Elternabend», «Klassentreffen», «Erbsache» oder «Truppenbesuch», die sich verkauft haben wie geschnitten Brot.

Und dass Sanchez seinen eigenen woken Theaterstreit schon hinter sich hat, verschaffte ihm bei der Bewerbung eventuell Pluspunkte. Tatsächlich musste das Deutsche Theater Berlin die für 2012 angesetzte Premiere von «Clybourne Park» absagen, weil der US-Autor auf schwarzen Hauptdarstellern bestand. «Das konnte und wollte ich nicht», bekannte Regisseur Sanchez damals im «Spiegel»; er hatte nur einen einzigen PoC-Schauspieler eingeplant. Vielleicht würde er heute anders vorgehen.

Luft nach oben ist auch eine Chance

Nein, richtige Stars hat man fürs Schauspielhaus nicht gewinnen können, auch nicht solche mit so strahlenden Beziehungen wie seinerzeit Stemann. Aber vielleicht muss das ja gar nicht sein. Luft nach oben ist auch eine Chance. Zumindest ist, böse gesagt, die Fallhöhe kleiner – und die Offenheit fürs Hiesige womöglich grösser.

Man sei in den entscheidenden Gremien überaus glücklich, genau diese zweipolige Combo am Start zu haben, die progressive Ansätze ebenso vertrete wie populäre, heisst es aus gut informierten Kreisen. Klar, nach der Trennschärfe zwischen den verschiedenen Theatern auf dem Platz Zürich kann auch jetzt wieder gefragt werden. Aber zumindest wird das Duo vermutlich gut miteinander können – und auch mit der Stadt.